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Absatzkrise: GM-Ausputzer nimmt Opel ins Visier

Stephen Girsky soll das Europa-Geschäft von General Motors retten. Dass er etwas bewegen kann, hat er bei der Opel-Mutter schon bewiesen. Damit hat er sich nicht nur Freunde gemacht.

Als Analyst der Automobilbranche hatte Stephen Girsky den Verantwortlichen bei General Motors (GM) immer wieder schwer zugesetzt. In seinen fast zwanzig Jahren als Branchenbeobachter hatte der jetzige GM-Manager dem US-Autogiganten wiederholt vorgeworfen, „der Realität nicht ins Auge blicken zu wollen“. Die Firma bewege sich wie ein Supertanker, der den Kurs nicht ändern wolle. „Es ist ziemlich offensichtlich, dass wir die Dinge in Europa anders anpacken müssen“, sagt Stephen Girsky. Der Vice Chairman von GM meint damit im speziellen Opel.

Dann wechselte Girsky die Seiten, rückte zum Vice Chairman des amerikanischen Autobauers auf. Und plötzlich steht er selbst unter Druck. Er soll aufräumen, wo das größte Chaos herrscht: im Europa-Geschäft. „Wir sind da drüben ein Haufen Amerikaner, die versuchen, Franzosen deutsche Autos zu verkaufen. Und dann wundern wir uns, warum das nicht funktioniert.“

Drei Jahre nach der Rettungsaktion durch die US-Regierung verbuchte GM einen Rekordgewinn von 7,6 Milliarden Dollar. Fast überall auf der Welt stiegen die Absatzzahlen. Die Aktien, immer noch zu 27 Prozent im Besitz der US-Regierung, dümpeln allerdings weiter vor sich hin. Und das ist zum größten Teil auf die Probleme der Firma in Europa zurückzuführen. Auf dem Alten Kontinent erzielte GM im vergangenen Jahr 18 Prozent des Gesamtumsatzes - und verbuchte einen Verlust über 747 Millionen Dollar.

Das ist nichts Neues: Die europäischen Probleme bestehen seit 1999. Inzwischen summieren sich die Fehlbeträge auf insgesamt mehr als 14 Milliarden Dollar. Im Schnitt verlor das Unternehmen 630 Dollar (480 Euro) bei jedem Auto, das 2011 in Europa gebaut wurde. In Nordamerika dagegen erzielte GM pro Fahrzeug einen Gewinn von 2460 Dollar.

Gute alte Zeit I: Der Rekord-Rekord

GM hätte sich 2009 fast von Opel getrennt. Aber Girsky und andere überredeten den Verwaltungsrat des Unternehmens dazu, die Verkaufspläne fallen zu lassen. Jetzt befindet sich Europa aus amerikanischer Sicht in einer miserablen wirtschaftlichen Verfassung. Und die Verluste bei Opel dürften sich ausweiten.

Nun kommt es auf den 49-jährigen Girsky an, das Steuer herumzureißen: Eine Herkules-Aufgabe. Opel hat Image-Probleme. GM hat zu viele Fabriken in Europa. Aber aufgrund von Gewerkschaftsverträgen können die Amerikaner vor 2014 keine Anlage schließen. Politiker vor Ort und Gewerkschaften geben zwar zu, dass sich bei Opel etwas ändern muss. Gleichzeitig bekämpfen sie aber Werksschließungen auf eigenem Boden.

Vom Erfolg Girskys in Europa könnte abhängen, ob GM ein vollständiger Wiederaufstieg gelingt. Und wie sich der Vice Chairman auf dem Alten Kontinent schlägt, das könnte auch das Rennen um die Nachfolge von Chief Executive Officer Dan Akerson beeinflussen.

Girsky war die treibende Kraft hinter der Allianz mit dem französischen Hersteller PSA Peugeot Citroën - einem Abschluss, den Analysten als wenig vorteilhaft für GM kritisiert haben.

Vom scharfzüngigen Analysten zur GM-Chefetage

Stephen Girsky
Stephen Girsky

© dapd

Als typisch lässt sich sein Aufstieg in die GM-Führungsriege nicht gerade bezeichnen. Girsky wurde im New Yorker Stadtbezirk Queens geboren. Er besuchte die Harvard University und suchte sich nach dem Studium eine Stelle als Automobilanalyst. Gegen Ende der achtziger Jahre absolvierte er ein kurzes Praktikum bei GM. Und startete dann als scharfzüngiger Analyst bei der Investmentbank Morgan Stanley durch. Bei den Telefonkonferenzen zu den Quartalsergebnissen löcherte er die GM-Manager mit zahllosen Fragen.

Besonders der ehemalige GM-Chef Rick Wagoner hatte unter Girskys Kritik zu leiden. Wagoner heuerte Girsky 2005 dann kurzerhand als Berater an. Elf Monate später kündigte Girsky. „Ich fühle mich wie in einem kleinen Ruderboot. Ich bin neben diesem Supertanker her gerudert und habe ihm ein paar Stöße versetzt“, sagte Girsky damals.

Zwei Jahre später gründete er die S.J. Girsky & Co, um Kunden der Automobilbranche zu beraten. Kurz darauf wurde GM vom Abwärtssog der weltweiten Wirtschaftskrise mitgerissen. Die Steuerzahler mussten mit Milliarden einspringen. In einem Konkursverfahren wurde der Autogigant unter Kontrolle der US-Regierung umstrukturiert. CEO Wagoner musste gehen. Fabriken wurden geschlossen. GM befreite sich 2009 aus dem Gläubigerschutz. Und ein von der Gewerkschaft UAW verwalteter Pensionstrust ernannte Girsky zu seinem Vertreter im Verwaltungsrat des Autoproduzenten.

Nach dem Konkurs fungierte Edward E. Whitacre als Chairman von GM. Ende 2009 berief Whitacre Girsky als seinen Berater. Innerhalb weniger Monate übernahm Girsky die Verantwortung unter anderem für die globale Produktplanung.

Gute alte Zeit II: Der GT

Girsky kritisiert die langsamen Entscheidungsprozesse und einen mangelnden Willen zur Veränderung bei GM. Kollegen und Untergebene haben seine Ungeduld schon oft zu spüren bekommen. Dauern Präsentationen etwas länger oder ziehen sich Meetings dahin, dann fährt er gerne mal abrupt dazwischen: „Worum geht es hier eigentlich?“ oder „Warum reden wir darüber immer noch?“ Seine E-Mails bestehen meist nur aus einem Satz und enden in einem Fragezeichen.

„GM hatte einer Veränderung bedurft. Und er brachte Veränderung“, sagt Whitacre, der 2010 als Chairman und CEO zurücktrat und von Akerson abgelöst wurde. Dieser drängte bei Girsky auf Mäßigung.

„Steve erträgt Dummköpfe einfach nicht“, sagt Akerson. „Aber den anderen hört er zu und er wird seinen Kurs ändern.“ Girskys Chancen auf den Chefposten dürften noch steigen, wenn er das Europa-Geschäft sanieren kann. Zwtl.: Europa ist ein hartes Pflaster für Autohersteller Das ist ein dickes Brett. Der europäische Automarkt dürfte in diesem Jahr um drei bis fünf Prozent schrumpfen. Seit 2007 ist der Absatz in Westeuropa um 14 Prozent zurückgegangen. Es gibt einfach zu viele Autofabriken auf dem Kontinent.

GM verkauft zwar einige Chevrolets in Europa. Aber der Großteil des Absatzes entfällt auf Opel. Die GM-Tochter, die in Großbritannien auch die Marke Vauxhall produziert, hat schon lange Mühe damit, sich auf dem Markt zu positionieren. Weder gehören die Opel-Modelle zum echten Luxussegment wie die Autos von BMW. Noch gehen sie als Billigautos durch wie etwa die Fahrzeuge der Südkoreaner.

Als GM 2009 kurz davor war, die verlustreiche Tochter an den Zulieferer Magna International zu verkaufen, sperrten sich einige Verwaltungsrats-Mitglieder, unter ihnen Akerson und Girsky. Er argumentierte, Fertigungsanlagen und Konstruktionen von Opel hielten die entscheidenden Technologien zur Kraftstoffeffizienz, für Diesel-Motoren und einige der besten Modelle von GM vor. Die Buicks der USA seien nichts anderes als umgearbeitete Opel-Fahrzeuge. Ein Opel-Verkauf öffne der Konkurrenz die Tür zu GMs geistigen Eigentum.

Und Girsky hält an seiner Meinung fest. Opel zu behalten, sei der richtige Schritt gewesen, bekräftigt er. Das muss er jetzt den skeptischen Aktionären und Analysten beweisen.

Wie die Wende gelingen soll

„Man kann gar nicht oft genug darauf hinweisen, wie tief dieses Problem geht“, sagt Rebecca Lindland von IHS Automotive Consulting und bezieht sich dabei auf die Lage in Europa. „Das ist die Schwierigkeit bei GM, die intern nicht zu lösen ist. Und es dreht sich auch nicht nur um einen Problemkreis. Es ist ein ganzes Mosaik an Schwierigkeiten - so einfach wie die Überkapazität und so komplex wie der Euro.“ Zwtl.: Neuer Chef, neue Modelle - der Kampf um Opel Im vergangenen Herbst ersetzte Akerson Nick Reilly durch den deutschen Ingenieur Karl Stracke als Chef von Opel und GM Europe.

Dann installierte er Girsky als Vorsitzenden des Opel-Aufsichtsrats und verteilte Sitze im Verwaltungsrat an GM-Topmanager. Mit Girskys Unterstützung tauschte Stracke einige Führungskräfte bei Opel aus und strich die Bonuszahlungen für Angestellte. Damit sollte den Gewerkschaften das Signal übermittelt werden, dass die Fabrikarbeiter nicht die einzigen seien, die Opfer zu bringen hätten.

Die Fertigungsanlagen von GM in Europa sind zu etwa 65 Prozent ausgelastet gegenüber mehr als 85 Prozent bei Volkswagen, BMW und Hyundai, schätzt Morgan Stanley. GM ist der Ansicht, mindestens ein Werk schließen zu müssen, eher aber zwei, um Produktion und Nachfrage in Einklang zu bringen.

Girsky hat sich in die Verhandlungen mit den hiesigen Gewerkschaftsführern und den jeweiligen Regierungen eingeschaltet - ungewöhnlich für einen Manager aus Detroit. Führende Gewerkschaftsvertreter haben ihn bereits scharf kritisiert, er würde die Standorte gegeneinander ausspielen.

Der Opel-Betriebsratsvorsitzende Wolfgang Schäfer-Klug wollte zu Girsky nicht Stellung beziehen. Mit Blick auf den von Amerikanern bevölkerten Aufsichtsrat von Opel sagt er: „Wie Europäer Amerika sehen, und wie die Amerikaner Europa begreifen, ist wirklich ein fortlaufender Prozess.“

Über die Standortgarantie bis 2014 hinaus dürften die Manager in Detroit bald festlegen, wo in den kommenden Jahren welche GM-Autos und Lastwagen gebaut würden, sagen mit den Plänen Vertraute. Die Entscheidungen könnten den Arbeitern Aufschluss über ihre Zukunft nach 2014 geben. Arbeitnehmervertreter des britischen GM-Werks Ellesmere Port rechnen mit der Schließung, wenn sie nicht den nächsten Opel Astra bauen dürfen.

GM hofft, mit neuen Modellen das Image des Autobauers in Europa aufpolieren zu können. Mit dem Mokka will Opel ab Herbst als erster deutscher Hersteller ein Kompakt-SUV auf dem europäischen Markt anbieten.
Gemeinsam wollen darüber hinaus GM und Peugeot Fahrzeuge entwickeln und Teile und Material kaufen. Das soll ab 2017 jeweils eine Milliarde Dollar im Jahr sparen.

GM will zusammen mit Peugeot ein Mini-Fahrzeug etwa ab 2016 auch in Lateinamerika verkaufen. Der Deal sei nicht dazu bestimmt, die unmittelbaren Probleme von GM in Europa anzupacken, sagt Girsky. Aber er könnte zu einer breiteren Allianz führen, die die Kosten von GM senkt und dazu beiträgt, die Lücken bei Produkten und in der Technologie zu füllen. Das hilft am Ende vielleicht auch Opel. (dapd)

Sharon Terlep

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