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Trübe Aussichten. Der niedrige Ölpreis schwächt die Kauflust der Schwellenländer.

© dpa

Absturz an den Börsen: Droht eine neue Wirtschaftskrise?

Die Börsen stürzen ab. Das ist bitter für Anleger, die gerade wieder eingestiegen sind. Das billige Öl und China belasten das ökonomische Klima.

Die Händler auf dem Frankfurter Börsenparkett feierten am Dienstag Fastnacht und saßen verkleidet hinter ihren Bildschirmen. Lust zum Feiern hatten sie freilich nicht. Die Talfahrt am Aktienmarkt geht weiter. Am Dienstag rutschte der Deutsche Aktienindex Dax zeitweise erneut um zwei Prozent ab. Nachdem der Index, in dem die 30 wichtigsten deutschen börsennotierten Unternehmen notiert sind, am Montag unter die Marke von 9000 Punkten gesunken war, riss der Dax am Dienstag dann auch noch die psychologisch wichtige Marke von 8800 Punkten. Zwar konnte sich der wichtigste deutsche Börsenindex dann wieder fangen, doch die Nervosität ist groß. Seit Jahresanfang summiert sich das Minus auf rund 17 Prozent. Doch nicht nur deutsche Aktionäre lassen Federn. In Tokio büßte die Börse fünf Prozent ein, in den USA startete die Wall Street mit Verlusten.

Warum geben die Börsen nach?

Gehandelt werden an der Börse vor allem eins: Erwartungen. Noch vor einem Jahr waren die Optimisten in der Mehrheit und ließen den Dax im April auf über 12 000 Punkte steigen. Doch nun ist die Stimmung gekippt. Dass die Anleger so panisch reagieren und sich von ihren Aktien trennen, hat einen einfachen Grund: Es kamen zuletzt zu viele schlechte Nachrichten. Das Wachstum in China schwächelt, der Ölpreis fällt immer weiter, und selbst den USA geht es wirtschaftlich längst nicht mehr so gut wie noch vor ein paar Monaten. Das alles sorgt für Unsicherheit – und Unsicherheit mögen Anleger gar nicht. Viele steigen daher jetzt aus, der Herdentrieb verstärkt den Abwärtstrend.

Ist das reine Hysterie?

Nein. Vor allem der sinkende Ölpreis ist eine echte Gefahr. Kostete ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent Mitte 2014 noch mehr als 100 Dollar, sind es heute nur noch knapp 33 Dollar. Und niemand erwartet, dass Öl auf absehbare Zeit wieder teurer wird. Die Ölländer fördern deutlich mehr als weltweit gebraucht wird. Was für Verbraucher eine gute Nachricht ist, weil sie billig tanken und heizen können, ist für die Weltwirtschaft gefährlich. Der niedrige Ölpreis drückt massiv die Einnahmen von Förderländern wie Russland, Brasilien, Saudi-Arabien oder Venezuela. Geht denen das Geld aus, kaufen sie weniger. Das bereitet den Exportnationen Probleme.

Für zusätzliche Verunsicherung sorgen die Nachrichten aus China. Die Wirtschaft in der Volksrepublik wächst weniger stark als in der Vergangenheit. „Immer mehr Anleger zweifeln an der Fähigkeit der chinesischen Führung, die Märkte und die Konjunktur zu steuern“, sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Auch aus den USA kamen zuletzt beunruhigende Nachrichten. So haben die Vereinigten Staaten zu Jahresbeginn weniger Jobs geschaffen als erwartet. Auch viele US-Konzerne sind mit ihren Jahreszahlen hinter den Erwartungen zurückgeblieben oder haben sie nur so gerade erfüllt. Die Investmentbank JP Morgan schätzt die Wahrscheinlichkeit für einen Wirtschaftsabschwung in den USA daher bereits auf 25 Prozent – was sehr hoch ist.

Reißt die Börse die Wirtschaft mit?

Vor Deutschland liegen große Herausforderungen. Die Integration der Flüchtlinge kostet Milliarden, zudem müssen marode Straßen, Brücken und Schulen saniert werden. Und als Hightech- Land braucht Deutschland einen schnellen Ausbau des Breitbandnetzes. So lange es dem Land und der Wirtschaft gut geht, kann das klappen. Gefährdet der Kurssturz die Finanzkraft der Wirtschaft und das Wachstum?

Nein, meint der Präsident des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn. „Der Börsenabsturz geht von China aus, dessen Wirtschaft uns große Sorgen bereitet“, sagte Sinn dem Tagesspiegel. Aber man solle nicht überdramatisieren, betont der Ökonom, „in anderen Teilen der Welt läuft die Konjunktur noch ganz ordentlich“. Aber sehen das die Unternehmen auch so? Der jüngste Ifo-Geschäftsklima-Index, in dem das Institut die Erwartungen der Unternehmen abfragt, zeigte eine deutliche Ernüchterung – allerdings zugegebenermaßen auf hohem Niveau. Das, sagt Sinn, spiegele die neue Unsicherheit der Wirtschaft wider, zeige aber auch, „dass die aktuelle Wirtschaftslage trotz der sichtbaren Wolken am Horizont noch gut ist“. Das liege insbesondere an der bislang noch stabilen Binnenkonjunktur.

Was hilft der Wirtschaft?

Der Konsum und der Export. Am Dienstag vermeldete das Statistische Bundesamt einen neuen Exportrekord. Die deutschen Ausfuhren stiegen im vergangenen Jahr um 6,4 Prozent auf knapp 1196 Milliarden Euro, der Bundesverband des Groß- und Außenhandels rechnet damit, dass die Rekordjagd 2016 weiter gehen wird.

Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), sieht den Rekordüberschuss aber nicht nur als Erfolg, sondern auch als Gefahr. „Fast 40 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung hängen am Export“, betont der Ökonom. Wenn es Europa oder der Weltwirtschaft schlecht gehe, zahle Deutschland einen hohen Preis. Auch ein Anstieg des Euro, der am Dienstag kräftig zugelegt hat, ist Gift für den Export. Dennoch geht die Bundesregierung für dieses Jahr weiter von einem Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent aus, der Bundesverband der deutschen Industrie sogar von zwei Prozent.

Ist die Talfahrt vor diesem Hintergrund gerechtfertigt?

Nein, sagen Händler und Ökonomen. Der Kurseinbruch sei überzogen. Der Pessimismus zu groß. Manche sehen schon wieder Kaufkurse. Immer noch halten viele Banken an ihren Dax-Prognosen von 11 000 Punkten und mehr zum Jahresende fest.

Welche Rolle spielen die Notenbanken?

Sie fallen als Motor des Aktienmarktes aus, Impulse durch ihre großzügige Geldpolitik gibt es nicht. Eugen Keller vom Bankhaus Metzler sieht sie sogar als Wachstumsbremse. Denn die niedrigen Zinsen brächten Banken und Versicherungen in die Bredouille. Anlagenotstand und verschärfte Regulierung führten dazu, dass sie ihr Geld vor allem in Staatsanleihen und Pfandbriefe anlegten. Einige Häuser hätten zudem viele faule Kredite in den Büchern.

Welche Branche trifft der Crash besonders?

Zu den schlechtesten Werten im Dax gehörten in den letzten beiden Tagen die Aktien der Banken. Schwächt sich die Weltwirtschaft ab, dürften bei ihnen etliche Kredite ausfallen. Es gibt daher bereits Befürchtungen, dass sich ausgehend vom Bankensektor eine neue Finanzmarktkrise anbahnen könnte, heißt es bei der National-Bank.

Die Deutsche Bank sah sich deshalb bereits gezwungen, ihre Zahlungsfähigkeit zu bekräftigen: Trotz des Rekordverlusts sei genug Geld da, um die Zinsen auf ihre Schuldscheine zu bezahlen, teilte Bankchef John Cryan mit. Sein Institut sei „absolut grundsolide“. Muss eine Bank die eigene Validität extra betonen, ist aber in der Regel etwas faul. Bei der Deutschen Bank waren es vor allem die Investoren neuartiger Anleihen (Coco-Bonds), die angesichts des Börsencrashs mächtig Angst bekamen. Die Bank hat ihnen zwar eine hohe Rendite versprochen (bis zu sieben Prozent) – dafür gehen die Investoren aber das Risiko ein, dass ihre Papiere im Ernstfall abgeschrieben werden.

Wie steht es jetzt um die Privatanleger? 

Natürlich sinkt auch der Wert ihrer Aktien im Depot deutlich. Dabei hatten die Bundesbürger im vergangenen Jahr wieder mehr Vertrauen in die Börse gefasst. Nach Angaben des Deutschen Aktieninstituts (DAI) ist die Zahl der Aktionäre in Deutschland im vergangenen Jahr um 560 000 auf gut neun Millionen gestiegen. So viele wie seit drei Jahren nicht mehr. Das sei ein gutes Zeichen für die Aktienkultur, sagte DAI-Chefin Christine Bortenlänger am Dienstag.

2,9 Millionen Bundesbürger kauften direkt Aktien, rund 6,1 Millionen investierten in Aktien und Aktienfonds. Die rapide Talfahrt der Börse seit Anfang des Jahres dürften die Aktionärszahlen wieder gedrückt haben. Viele Bürger sind jedoch auch an den Aktienmärkten engagiert, ohne es zu wissen. So investieren auch Lebensversicherungen, Pensionskassen und -fonds Geld in Aktien. Nach Angaben des Versichertungsverbands GDV stecken 3,9 Prozent aller Kapitalanlagen der Versicherer in Aktien, das sind umgerechnet 60 Milliarden Euro.

Wohin fließt das Geld, das jetzt aus Aktien abgezogen wird?

Zum einen gibt es immer noch Aktienkäufer, sonst könnten Anleger nicht verkaufen. Generell fließt das Geld aber in sichere Staatsanleihen, vor allem in Bundesanleihen, auch wenn damit nichts zu verdienen ist. Die Rendite bei zehnjährigen Bundesanleihen liegt derzeit bei rund 0,2 Prozent, bei Laufzeiten von zwei und fünf Jahren ist sie sogar negativ. Tagesgeld bringt nach Angaben des Finanzportals FMH derzeit im Schnitt 0,33 Prozent, in der Spitze 1,25 Prozent.

Auch Gold erscheint als Option und gilt wie oft in Krisenzeiten als sicherer Hafen: Der Goldpreis jedenfalls ist mit fast 1200 Dollar je Feinunze so hoch wie seit sieben Monaten nicht mehr. Verbraucherschützer raten Anlegern, jetzt die Nerven zu behalten. „Aktien sind auf lange Sicht die ertragsstärkste Kapitalanlage“, meint Niels Nauhauser, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Baden- Württemberg. Allerdings müssten Anleger Schwankungen aushalten. „Wer jetzt schon die Nerven verliert, ist mit Aktien falsch beraten“, findet der Verbraucherschützer.

Wie geht es am Aktienmarkt in den nächsten Monaten weiter?

Das weiß niemand, auch wenn die meisten Experten den Absturz für überzogen halten. Aber die Unsicherheit und die Nervosität sind so ausgeprägt wie seit langem nicht. Bis auf 8300 Punkte könnte es im Dax noch nach unten gehen, sagt Analyst Jens Klatt. Noch skeptischer ist Manfred Hübner von Analysehaus Sentix, das jede Woche mehr als 1000 Investoren befragt. Anleger hätten das Gespür für Risiko verloren, die Medizin der Notenbanker wirke nicht mehr. Der Crash sei in vollem Gange. Ende 2016 sieht Hübner den Dax bei nur noch 8000 Punkten. Das wäre auf Jahressicht ein Minus von 25 Prozent. Doch die Optimisten sind nicht verstummt. Oliver Roth vom Handelshaus Oddoseydler hält das Minus längst für übertrieben. So schlecht sei das Umfeld für die Börse nicht. Die Wende könne schon Mittwoch kommen. Man sehe die letzten Zuckungen eines – von Pessimismus geprägten – Bärenmarktes.

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