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Wirtschaft: Abwandern oder bleiben?: Die Sachsen suchen ihr Glück in Bayern

Die Bevölkerung Sachsens schmilzt dahin. Ende 1999 wurden 4,46 Millionen Freistaatler gezählt, knapp 30 000 weniger als 1998.

Die Bevölkerung Sachsens schmilzt dahin. Ende 1999 wurden 4,46 Millionen Freistaatler gezählt, knapp 30 000 weniger als 1998. Im Zehnjahresvergleich, gegenüber 1989, musste Sachsen gar einen Verlust von 453 000 Menschen hinnehmen, was rund zehn Prozent der Einwohner entspricht. Die Bevölkerungsdichte gilt mit derzeit 242 Einwohnern je Quadratkilometer als die niedrigste seit 100 Jahren. Mit einer Trendumkehr ist nicht zu rechnen. Die Wirtschaft wird in den nächsten Jahren Fachkräfte benötigen. Prognosen gehen davon aus, dass Sachsen in 15 Jahren nur noch 4,1 Millionen Einwohner zählen wird. Die Ursachen für den sächsischen Bevölkerungsschwund haben sich in den vergangenen zehn Jahren gewandelt. Von 1989 bis 1992 dominierten die Abwanderung insbesondere in die westlichen Bundesländer. Höhepunkt war das Jahr 1990, als rund 160 000 Sachsen das Land verließen. Dann wandelte sich das Bild, von 1993 bis 1997 war der Saldo der Wanderungsbewegung sogar zumeist positiv. Doch weil mehr Sachsen sterben als geboren werden, ging die Bevölkerung dennoch zurück. Allein im Jahr 1999 lag der so genannte Sterbefälleüberschuss bei 19 000 Personen, was der Einwohnerzahl der Kreisstadt Kamenz entspricht. Der Altersdurchschnitt ist von 39,4 Jahren 1990 auf jetzt 42,6 Jahre gestiegen, die jungen Leute werden knapp. Derzeit sind 20 Prozent der Bevölkerung jünger als 20 Jahre, in 15 Jahren werden es nur noch etwa 16 Prozent sein.

Eine Änderung ist schon deshalb nicht zu erwarten, weil jede Frau in Sachsen statistisch gesehen nur rund 1,2 Kinder zur Welt bringt, der Bundesdurchschnitt liegt bei 1,4. Als so genanntes "Bestanderhaltungsmaß" aber gilt eine Zahl von 2,1 Kindern. Zum Bevölkerungsschwund tragen seit 1997 auch wieder Abwanderungsverluste bei. Dieser Verlust betrug 1999 fast 11 000 Personen. Zudem machen sich in Sachsen die Frauen langsam rar. Zwar lebten 1999 noch 142 000 mehr Frauen als Männer im Freistaat, vor zehn Jahren aber war der Frauenüberschuss noch doppelt so hoch. Außerdem setzt der Frauenüberschuss derzeit erst mit dem 53. Lebensjahr ein, in dem Frauen für gewöhnlich keine Kinder mehr bekommen. In einigen Dörfern in der Oberlausitz, wo die Arbeitslosigkeit mit rund 20 Prozent besonders hoch ist, sind kaum mehr junge Frauen zu finden. Im Jahr 1999 verlor die Region 5587 Frauen gegenüber 5076 Männern.

2008, so heißt es in einer Prognose des Statistischen Landesamtes, werden in Sachsen die Männer in der Überzahl sein. Die höchsten Wanderungsverluste in andere Bundesländer waren 1999 gegenüber Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen zu verzeichnen, die größten Wanderungsgewinne ergaben sich bei Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Dabei konzentriert sich der größte Teil der Wanderungsverluste mit über 6200 Personen auf die Altersgruppe zwischen 18 und 45 Jahren, allein bei den 21 bis 25-Jährigen liegt das Defizit bei über 2000 Personen. Dabei musste die Stadt Chemnitz besonders hohe Verluste hinnehmen, die fast 2000 ihrer Bürger an das Bundesgebiet abgab, bei Dresden schlägt ein Minus von 681 Personen zu Buche und Leipzig konnte 267 Bürger allein im Jahr 1999 aus dem Bundesgebiet hinzugewinnen.

Mit 81 Einwohnern je Quadratkilometer ist der Niederschlesische Oberlausitzkreis im Osten Sachsens die am dünnsten besiedelte Region. Für Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) ist die Abwanderung aus Sachsen kein Grund zur Beunruhigung. Eigenen Worten zufolge habe er es schon immer gut gefunden, "wenn die jungen Leute einmal die Nase rausstecken, um woanders etwas zu lernen." Von 1993 bis 1998 wurde Auszubildenden, die sich außerhalb Sachsens eine Lehrstelle suchten, ein zinsloses Darlehen als Hilfe gewährt, was von rund 8000 Personen in Anspruch genommen wurde. Auch wer als Arbeitsloser Sachsen verläßt, kann mit Unterstützung rechnen. Die Abwanderung soll also keineswegs gestoppt werden. Im Gegenteil. Mobilität werde gefördert, heißt es beim Landesarbeitsamt in Chemnitz. Seit etwa einem Jahr gibt es in der sächsischen Stadt in Zusammenarbeit mit dem Bundesarbeitsministerium und dem Arbeitsamt ein Projekt, das sogenannte "Regie-Büro Ost-West", das Arbeitsstellen im westlichen Bundesgebiet akquiriert und umsiedlungswillige Arbeitslose unterstützt, bei der Wohnungssuche hilft, Behördengänge vorbereitet. Rund 200 Personen, zumeist qualifizierte Fachkräfte, wie es heißt, sollen so im vergangenen Jahr zumeist in den Raum Bayern und Baden-Württemberg vermittelt worden sein. Andere Arbeitsämter kooperieren mittlerweile direkt mit Arbeitsämtern in Westdeutschland, wie beispielsweise Bautzen mit Freising. Auf diese Weise haben im vergangenen Jahr 93 Personen aus Ostsachsen im Westen einen Arbeitsplatz gefunden und dafür einen Zuschuss von 5000 Mark bekommen.

Die Wirtschaft beobachtet die Abwanderung von Fachkräften noch immer mit Zurückhaltung. Die Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft (VSW) hat Ende vergangenen Jahres allerdings erstmals von einem Fachkräftebedarf gesprochen, der in den nächsten fünf Jahren auf 35 000 geschätzt wird, mehr als die Hälfte davon Facharbeiter, gut ein Drittel Ingenieure. Die Unternehmen würden bezüglich der Abwerbung von Fachkräften zunehmend sensibilisiert, heißt es beim VSW.

Ralf Hübner

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