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Wer mit dem Auto liegen bleibt, ist auf Pannenhelfer angewiesen. Viele Autofahrer sind deshalb Mitglied in einem Automobilklub.

© Mauritius

ACE-Chef Wolfgang Rose: „Viele suchen eine Alternative zum ADAC“

Der Auto Club Europa profitiert derzeit kräftig von den Skandalen des großen Konkurrenten, sagt ACE-Chef Wolfgang Rose im Interview mit dem Tagesspiegel

Herr Rose, wie viele Mitglieder hat der ACE im letzten Monat vom ADAC abgeworben?

Die Zahl der Neuzugänge ist deutlich, um knapp ein Drittel gestiegen. Normalerweise werben wir pro Woche zwischen 600 und 700 neue Mitglieder. Aktuell sind es mehr als 1000. Wir sind da nicht gezielt aktiv. Aber wir stellen fest, dass viele Menschen  derzeit nach einer Alternative  zum ADAC suchen.

Nach Bekanntwerden der Manipulationen haben Sie von einer „aufgeblasenen Selbstinszenierung“ und „peinlichen Farce“ beim ADAC gesprochen. Da ist die Schadenfreude nicht zu überhören.

Ich habe eine andere Wahrnehmung. Von Häme kann keine Rede sein, wir haben uns sogar ziemlich zurückgehalten. Ohnehin sind wir gut beraten, wenn wir uns nicht über den Marktführer definieren, sondern aus uns selbst heraus.

 Der ADAC ist ungefähr 30 Mal größer als der ACE. Erwarten Ihre Mitglieder jetzt keine Offensive?

ACE-Chef Rose
ACE-Chef Rose

© picture alliance / dpa

Das ist ein schmaler Grat. Die einen sagen: Warum nutzt Ihr die Gunst der Stunde nicht und verstärkt das Gewitter, das beim Konkurrenten niedergeht? Die anderen warnen: Haltet Euch zurück.

"Die Kontrolle beim ADAC hat versagt"

Sie kennen den ADAC schon länger. Wie konnte es zu diesen Turbulenzen kommen?

Ich bin kein Insider und kann dazu keinen diagnostischen Befund liefern. Ich teile aber den allgemein entstandenen Eindruck: Die Kontrolle hat versagt.  Nicht nur für den ADAC gilt, dass jede unkontrollierte Macht zu Missbrauch führt.

 Reicht denn der Rücktritt des Präsidenten und seines Kommunikationschefs?

Ich sehe keinen Anlass, hierzu Ratschläge zu erteilen.

Ist für Sie plausibel,  dass zwei Personen alleine einen 19-Millionen-Mitgliederverein mit Milliardeneinnahmen so in Schwierigkeiten bringen konnten?

Auf den ersten Blick ist das kaum vorstellbar. Andererseits zeigt sich auch bei anderen großen Organisationen, dass es häufig autokratische Führungsstrukturen und -stile gibt. Da entscheidet der Präsident oder Vorstandsvorsitzende, und alle folgen – solange es gut geht.

Beim ADAC ging es ziemlich lange gut.

Vielleicht, weil sich niemand getraut hat hinzuschauen und nachzufragen. Auch die Politik und die Medien haben den ADAC ja hofiert. So eine ungeteilte Zustimmung kann autokratische Führungsstrukturen begünstigen.

Wie nah stehen Sie der deutschen Automobilindustrie?   

Der ACE ist 1965 von den Gewerkschaften gegründet worden, quasi als Selbsthilfeeinrichtung für Gewerkschaftsmitglieder. Im Fokus standen dabei weniger die Pannen- und Abschlepphilfe, sondern die rechtlichen Risiken des Autofahrens. Deshalb gehört die Verkehrsrechtsschutzversicherung bis heute zu unseren Kernleistungen. Unsere Geschichte zeigt, dass wir nicht dem Mythos Auto huldigen. Unser Verhältnis zum Auto ist seit den Gründertagen nüchterner: Autofahren wurde auch für Arbeiter immer relevanter, immer mehr  Menschen wollten mobil sein – aber das Auto ist nur eine Form der Mobilität.

"Ich frühstücke nicht mit Herrn Zetsche"

 Preise wie den „Gelben Engel“ wird es beim ACE also nicht geben?

Natürlich nicht. Diese Frage hat sich nie gestellt und wird sich auch künftig nicht stellen. Das würde  Irritationen bei unseren Mitgliedern auslösen.

Warum? ACE-Mitglieder haben doch auch Lieblingsautos.

Ich glaube, das Lieblingsauto unserer Mitglieder ist immer das, was gut und sicher fährt. Für diese Einschätzung brauchen wir keine besonderen Beziehungen zur Autoindustrie. Ich frühstücke nicht mit Herrn Zetsche und ich esse nicht zu Abend mit Herrn Winterkorn. Deshalb muss ich auch keine Sorgen haben, dass man mich künftig auslädt, wenn ich etwas Unbequemes sage oder schreibe. Unsere letzte Hauptversammlung haben wir im Daimler-Museum in Stuttgart veranstaltet. Dafür haben wir Miete bezahlt und ein Daimler-Vorstandsmitglied war auch nicht da.

Ihre Mitgliederzeitschrift „ACE Lenkrad“ testet Autos. Warum?

Weil die Leser unseres Clubmagazins das erwarten und es gerne lesen. Die „Lenkrad“-Redaktion bekommt wie alle anderen Medien auch von den Herstellern kostenlos Testwagen zur Verfügung gestellt. Die  bewerten wir. 

 Fühlen Sie sich den deutschen Herstellern ähnlich wie der ADAC verpflichtet?

Bei unseren Tests mit Sicherheit nicht. Wir unterziehen alle einer kritischen Würdigung – die deutschen ebenso wie die ausländischen Marken. Im Übrigen gilt: Das gute Abschneiden deutscher Hersteller hat womöglich auch etwas mit den Erfolgsgründen der deutschen Industrie in aller Welt zu tun – sie baut eben gute Autos.

 Statt der Industrie stehen Sie vielleicht den Gewerkschaften zu nah.

Daher kommt unsere Bodenhaftung. Wenn von einer Nähe zur Automobilindustrie die Rede ist, dann sehen wir uns den dort arbeitenden Menschen verpflichtet und weniger den Führungsetagen. Erich Klemm, der scheidende Konzernbetriebsratschef von Daimler, sitzt in unserem Aufsichtsrat. Vor Jahren haben wir zum Beispiel den Streik der Bauarbeiter im Autobahnbau unterstützt und bei den Autofahrern um Verständnis geworben, dass es mit dem Ausbau etwas langsamer vorangeht.

"Wir sind kein Gemischtwarenladen"

Auch der ACE verkauft Reisen und Finanzdienstleistungen, Sie bieten eine Kreditkarte an.  Ist ein Autoclub nur noch als Gemischtwarenladen  attraktiv?

Wir sind kein Gemischtwarenladen. Wir müssen uns aber immer fragen, welche Aktivitäten noch vom Vereinszweck abgedeckt sind. Der Verkauf von T-Shirts sicher nicht. Aber eine Kreditkarte ist nun einmal ein gängiges Zahlungsmittel nicht zuletzt beim Tanken.  Auch bei einem Autokredit sehe ich eine Verbindung zur Mobilität. Wir verdienen damit übrigens kein Geld – eher im Gegenteil. Wir bieten es an, weil unsere Wettbewerber es auch tun und weil es eine gewisse Nachfrage gibt.

So gewinnt das Geschäft immer mehr an Gewicht und verdrängt den eigentlichen Vereinszweck?

Autoclubs brauchen – wie übrigens viele andere sogenannten Idealvereine – einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zur Erfüllung ihrer Vereinsziele. Unser Verlag, die Notrufzentrale – all diese Geschäfte brauchen wir. Gebündelt sind sie in einer eigenen GmbH.

 Sie sind Vereinspräsident und gleichzeitig Geschäftsführer der GmbH. Ist das nicht problematisch?

Das ist keine Verquickung von Interessen, sondern diese Doppelfunktion stellt sicher, dass die GmbH kein Eigenleben entfaltet, das den Vereinsinteressen zuwiderläuft. Außerdem wird der Vorstand von einem Aufsichtsrat kontrolliert, in dem ehrenamtliche Vertreter aus den Regionen  und Entsandte der Gewerkschaften sitzen. Diese dürfen keine Geschäftsbeziehungen zum ACE unterhalten. Ausgeschlossen  ist also, dass wir Geschäfte mit uns selbst machen und unsere Kontrolleure ruhig stellen, indem wir ihnen dicke Aufträge erteilen.

Der Umsatz der ACE-Gruppe ist mit 93 Millionen Euro im Vergleich zum ADAC überschaubar. Wie ist das Verhältnis Mitgliedsbeiträge zum Geschäft?

Rund zwei Drittel des Umsatzes sind Mitgliedsbeiträge, einschließlich der Umsätze, die wir beim Vertrieb von Jobtickets für den Hamburger Verkehrsverbund HVV machen.

"Demokratie in Massenvereinen zu organisieren, ist nicht ganz einfach"

 

Ist die Trennung von Geschäfts- und Vereinsinteressen beim ADAC schief gelaufen, weil die Beteiligten den Überblick über die  Milliarden verloren haben – also alles nur eine Frage des Volumens?

Ich glaube, dass sich jeder Verein – egal wie groß er ist –  eine Struktur geben sollte, die eine wirksame Kontrolle gewährleistet. Das ist nicht immer bequem und je größer die Organisation wird, desto schwieriger wird es. Demokratie in Massenvereinen zu organisieren, ist nicht ganz einfach.

Warum braucht man überhaupt  einen Autoclub, wenn man Pannenhilfe auch über einen Schutzbrief bei der Versicherung organisieren kann?

Die Frage lautet: Will ich, dass anonyme Shareholder mit Hilfeleistung Geld verdienen, was bei Schutzbriefversicherungen und den Mobilitätsgarantien der Hersteller der Fall ist? Oder will ich die Unterstützung im Notfall einem Selbsthilfeverein übertragen, der keine Gewinninteressen verfolgt? Unser Vereinsvermögen fließt an die Mitglieder zurück und wird nicht in allen möglichen Geschäftsfeldern angehäuft.

 Das behauptet der ADAC auch.

 Deshalb muss es nicht von vornherein falsch sein. Unser Mitgliedsbeitrag aberist viel geringer, wir müssen scharf kalkulieren. Für große Werbekampagnen in eigener Sache bleibt nichts. Übrigens: Es ist kein purer Altruismus der Versicherungswirtschaft, dass sie günstige Schutzbriefe anbietet. Die Prämien sind so niedrig, weil die Anbieter wissen, dass ihre Kunden häufig auch in einem Autoclub sind, der die Pannenhilfe im Notfall übernimmt. Mir persönlich ist es lieber, dass mir jemand bei einer Panne hilft, der nicht von wirtschaftlichen Interessen getrieben wird.

 Ihre Pannenhelfer arbeiten nicht im Auftrag von Versicherern oder Autoherstellern und bekommen keine Prämien, zum Beispiel für den Batterieverkauf?

Nein. Wir haben auch keine eigene Flotte, sondern wir arbeiten mit 500 Vertragspartnern zusammen.

 Die dann womöglich auch für den ADAC unterwegs sind?

Nein, das versuchen wir auszuschließen.

 Im Berliner Politikbetrieb scheint der ADAC vorerst als Lobby verbrannt. Springen Sie in die Lücke?

Nein, aber die Lücke verschafft hoffentlich frische Luft zum politischen Durchatmen und uns die Chance, den Diskurs zu bereichern. Der bisherige Einfluss des ADAC gründete unter anderem darauf, dass er unablässig zugespitzt und die Politik damit beeindruckt hat. In der Verkehrspolitik geht es aber nicht immer um Schwarz oder Weiß. Wer wie wir eher differenziert, wird seltener gehört, das könnte sich künftig allerdings ändern. Wir beanspruchen kein politisches Mandat – aber wir stehen als Ratgeber bereit.

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