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Wirtschaft: Agrarbranche: Die Öko-Wende ist keine Lösung

Auf der grünen Weide der Marienhöfe kauen 24 Milchkühe zufrieden ihr Gras. 40 Schweine suhlen sich genüsslich im Schlamm.

Auf der grünen Weide der Marienhöfe kauen 24 Milchkühe zufrieden ihr Gras. 40 Schweine suhlen sich genüsslich im Schlamm. Hier auf dem Demeter-Bauernhof in Bad Saarow, wo nach biologisch-dynamischem Prinzip gewirtschaftet wird, ist die Welt noch in Ordnung: Die Ställe bieten Platz und Licht, Weidegänge gehören für die Vierbeiner zur Tagesordnung und das Futter stammt selbstverständlich vom eigenen Feld.

Ganze 73 Jahre halten die Marienhöfe nun schon den Öko-Landbau hoch. 80 Hektar Anbaufläche werden mit Kompost gedüngt. Synthetische Dünge- und Pflanzenschutzmittel sind überhaupt nicht erlaubt. "Mehr als zwei Generationen lang", sagt Biobauer Fridtjof Albert, "lernen wir hier mühsam die Grundlagen des Ökolandbaus". Und jetzt, wo der BSE-Schlammassel da sei, schimpft Albert, "glauben die Leute, man müsse nur den Kunstdünger weglassen und alles wird gut."

Es sieht beinahe so aus: Aufgeschreckt von künstlicher Massentierhaltung und gepanschtem Tierfutter hat die Bundesregierung zum großen Schwenk der deutschen Agrarwirtschaft geblasen. "Weg von der konventionellen und hin zur ökologischen Landwirtschaft" lautet die Parole. Agrarministerin Renate Künast will die Lebensmittelsicherheit für Verbraucher erhöhen. Innerhalb der nächsten zehn Jahre, so ihr Ziel, sollen mindestens 20 Prozent der Bauern nach ökologischen Richtlinien produzieren.

Doch schon heute ist klar, dass diese Rechnung nicht so einfach aufgehen wird. Nicht nur, dass Ökostrategen und Politiker seit Monaten erbittert darüber streiten, was man überhaupt unter "Ökolandbau" zu verstehen hat. Auch die Ökobauern selbst sind mit dem großen Run auf ihre Felder vollkommen überfordert. "Für den Verbraucherschutz", befinden denn auch Experten, wie der Gießener Professor Friedrich Kuhlmann, "wird der ökologische Landbau keine Lösung sein".

Allein auf die Frage, welche Lebensmittel ökologisch unbedenklich sind, kann kaum jemand eine klare Antwort geben. Obwohl hier zu Lande von den mehr als 400 000 Landwirten nur 10 400, und damit nicht einmal fünf Prozent, ihren Betrieb nach ökologischen Richtlinien bewirtschaften, ist die Erklärungsnot groß. Laienhaft sollte man annehmen, dass die Ökobauern auf lösliche mineralische Düngemittel und auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel oder Wachstumsregulatoren verzichten und in die Mägen von Kühen und Schweinen nur Futter aus ökologischer Erzeugung kommt.

Doch weit gefehlt: Wer Bio-Kost auf seinem Teller haben möchte, muss sich durch einen undurchschaubaren Dschungel von sage und schreibe 120 Öko-Etiketten schlagen. Denn die meisten Öko-Verbände, ob sie nun Demeter, Bioland oder Biopark heißen, verfügen über eigene Richtlinien.

Und niemand traut seinem Branchen-Nachbarn über den Weg. So beschuldigt der Bioland-Vorstand Thomas Böhm die Kollegen von Biopark des Etikettenschwindels. Angeblich kontrolliere der Verband seine Höfe nicht ausreichend. "Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen", kontert Biopark-Chefin Heide-Dörte Matthes. Schließlich gebe es gerade bei Bioland, wo die Richtlinien "sehr locker" ausgelegt würden, zahlreiche Unregelmäßigkeiten.

Öko ist offenbar nicht gleich Öko: Während nach einer EU-Verordnung in ganz Europa ein Betrieb nur teilweise auf Öko-Landbau umgestellt werden muss, um sich Öko-Betrieb nennen zu dürfen, kochen die deutschen Biofanatiker ihr eigenes Süppchen. Ihr Dachverband, die Agöl, legt eine weit umfassendere Umstellung des Betriebes fest. Ebenso gibt es in der Produktkennzeichnung Unterschiede: Bei Produkten aus Agöl-Mitgliedsbetrieben müssen 95 Prozent der Zutaten aus ökologischem Anbau stammen, nach EU-Richtlinien genügen 70 Prozent Öko-Anteil für einen entsprechenden Hinweis auf der Verpackung.

Wo sich nicht einmal die Bauern selbst einig sind, da können auch Lebensmittel-Verarbeiter und Händler kein System erkennen. Und es ist verständlich, dass es bisher niemandem gelungen ist, einheitliche Öko-Standards festzuschreiben, die den deutschen Verbrauchern an der Ladentheke die Sicherheit geben können, dass auch Öko drin ist, wo Öko drauf steht. Einen einzigen Versuch hat der Ökodachverband Agöl unternommen, als er vor drei Jahren zusammen mit der Centralen Marketinggesellschaft CMA und dem Bauernverband das so genannte Ökoprüfsiegel (ÖPZ) entwickelt hat. Das ÖPZ sollte für Landwirte, Lebensmittelindustrie und Handel gemeinsame Qualitätsstandards setzen. Doch die Strategen hatten wenig Fortune: "Das Agöl-Zeichen ist am Handel vorbei entwickelt worden", sagt Joachim Brozio von Edeka. Die Lizenzgebühren seien zu hoch und der Bekanntheitsgrad des Siegels bei den Verbrauchern zu niedrig. Nicht einmal 80 Lizenznehmer kleben deshalb das Siegel auf ihr Produkt.

Die Händler gehen lieber eigene Wege. In den Regalen der Metro-Märkte etwa finden sich 150 Bio-Produkte, darunter auch Fertig- und Tiefkühlkost, die den Namen der Hausmarke "Grünes Land" tragen. Auch die Edeka-Kette, einst eine der ersten Lizenznehmer des ÖPZ, kennzeichnet heute ihre Bio-Produkt-Palette mit einem eigenen Label. Selbst die etwa 100 Bio-Erzeugergemeinschaften stehen vor einem logistischen Problem. Sie können die explosionsartig gestiegene Nachfrage im Fleisch und Tierfutterbereich mit ihren regional beschränkten Vertriebssystemen nicht bewältigen. "Wir benötigen jetzt überregionale Kooperationen", fordert Steffen Mucha, Geschäftsführer der Öko-Bauernhöfe Sachsen GmbH (ÖBS), der knapp 30 Biobauern angehören. Um das Einzugsgebiet der erzeugenden Betriebe zu vergrößern, hat die ÖBS zusammen mit der brandenburgischen Erzeugergemeinschaft die Biofleisch Nordost gegründet. Allerdings sind solch Zusammenschlüsse noch eine Ausnahme und nicht die Regel.

Bei all dem Wirrwar nimmt es nicht Wunder, dass Bauer Anton Fortwengel, der einen 80-Hektar-Betrieb mit 60 Kühen und 35 000 Hühnern in der Nähe von Cloppenburg besitzt, die Ökopläne der Bundesregierung für "nicht umsetzbar" hält. Eine Umstellung seines konventionellen Bauernhofes zöge für ihn drastische Einkommensverluste nach sich. Denn in Deutschland dürfen Betriebe erst im dritten Erntejahr nach der Umstellung ihre Erzeugnisse als Öko-Ware verkaufen - und das bedeutet erhebliche Gewinnverluste. In einer Studie hat der Deutsche Bauernverband (DBV) die Umstellungskosten für einen Durchschnittsbetrieb mit einem Erlös von 225 000 Mark berechnet. Auch wenn der Bund die Umstellung mit jährlich 28 000 Mark fördert, sinkt der Ertrag des Bauern in den ersten zwei Jahren auf 170 000 Mark. Erst im dritten Jahr steigt der Erlös auf 220 000 Mark - 5000 Mark weniger als mit dem konventionellen Anbau erwirtschaftet wurde. "Soll ich", wehrt Bauer Fortwengel angesichts solch trüber Aussichten ab, "für die Öko-Wende der Regierenden das Bauernopfer spielen?"

Jetzt will Verbraucherministerin Künast zum entscheidenden Agrarwende-Schlag ausholen. Nicht nur das Chaos in der Öko-Szene soll gelichtet werden. Auch der Hausfrau soll mit einem staatliches Prüfzeichen Orientierungshilfe gegeben werden. Daran arbeiten seit geraumer Zeit Fachgremien im Ministerium. Mit einem schlüssigen Konzept, vertröstet Norbert Kirchner, zuständiger Referent im Ministerium, Bauern, Lebensmittelbetriebe, Händler und Verbraucher gleichermaßen, sei frühestens in ein paar Wochen zu rechnen.

Doch mit staatlichen Prüfsiegeln allein ist die Agrar-Wende nicht zu schaffen. Wie und vor allem mit welchen Bauern und Händlern die Verbraucherministerin die Umstellung auf ökologische Landwirtschaft schaffen will, bleibt angesichts der völlig zersplitterten Öko-Szene unklar.

"Anstatt ganz Deutschland auf ökologischen Landbau umzustellen und neue Unruhe zu stiften", weist der Gießener Agrarökonom Kuhlmann einen möglichen Ausweg, "sollte die europaweit gültige ISO-9000-Norm der Industrie in der konventionellen Landwirtschaft eingeführt werden." Das setzt in ganz Europa gleiche Standards für die Qualität der Lebensmittel und bevorzugt weder konventionellen noch ökologischen Landbau im Wettbewerb. Und die Verbraucher könnten auch wieder beruhigt einkaufen gehen.

Dagmar Rosenfeld

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