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Wirtschaft: Aids-Medikamente: Einigung im Streit

Wenn es um Leben und Tod geht, muss der Schutz geistigen Eigentums zurückstehen. So lässt sich der Applaus verstehen, den der Rückzug der Pharmaindustrie im Streit um den Vertrieb billiger Aids-Medikamente in Südafrika bekommen hat.

Wenn es um Leben und Tod geht, muss der Schutz geistigen Eigentums zurückstehen. So lässt sich der Applaus verstehen, den der Rückzug der Pharmaindustrie im Streit um den Vertrieb billiger Aids-Medikamente in Südafrika bekommen hat. Hat also die Hoffnung todkranker, armer Menschen auf billige Medikamente Vorrang vor dem Recht der Pharmaindustrie, ihre Erfindungen durch Patente zu schützen? Ja, sagt die Mehrheit aller Weltbürger. Doch wer aus moralischen Gründen zustimmt, sollte zumindest bereit sein, über mögliche Konsequenzen dieses Arguments nachzudenken. Denn die ungestrafte billige Nachahmung teurer Erfindungen könnte den Anreiz nehmen, diese Medikamente zu entwickeln, was für die Aidskranken schlimmere Folgen hätte. Das ist der Grund, warum Unternehmen aus moralischen Gründen nicht mit Wohltätigkeitsorganisationen verwechselt werden sollten. Das ist zugleich der Grund, warum der Schutz des Eigentums die Grundlage jeder marktwirtschaftlichen Rechtsordnung darstellt.

Geistiges Eigentum ist kostbar und flüchtig zugleich. Nicht nur Aids und andere schwere Massenerkrankungen sind der Anlass, dass Ökonomen und Juristen seit geraumer Zeit sehr intensiv über geistige Eigentumsrechte und Patente nachdenken. Konfliktsstoff findet sich von der Biotechnologie bis zur Unterhaltungsindustrie. Dass geistiges Eigentum einen besonderen Schutz verlangt, hat einen doppelten Grund: (1) Erfindungen sind der Motor des Wissens und seiner technischen und wirtschaftlichen Verwertung. Eine Gesellschaft, die Eigentumsrechte auf Wissen missachtet, könnte Wachstum und Wohlstand gefährden. Denn nur, wer hoffen darf, die Früchte seiner Erfindung zu ernten, hat einen Ansporn zur Kreativität. (2) Geistiges Eigentum ist viel leichter zu stehlen als physisches Eigentum. Wer Dinge klaut, muss sie seinem Besitzer real entwenden. Um geistiges Eigentum zu entwenden, reicht es, das intellektuelle Muster und Bauprinzip zu kennen. Genau deshalb gibt es Patente und Coyrights, welche die Nachahmung des Wissens verbieten.

Doch der Schutz geistigen Eigentums hat, wie alles im Leben, seinen Preis: Patente kann man als Schutzrechte für geistiges Eigentum interpretieren. Man kann sie aber auch deuten als Monopole auf Zeit. Denn sie geben den Erfindern das Recht exklusiver Nutzung; wer partizipieren will, muss Lizenzgebühren bezahlen. Das schafft dem Erfinder eine Monopolrente. Liberale Wettbewerbsordnungen sind aber äußerst zurückhaltend, Monopole zuzulassen. Es gibt keinen Grund, beim geistigen Eigentum diese Vorsicht aufzugeben. Denn Patent-Monopole unterbinden Wettbewerb durch Recht und Zwang: Die Konkurrenz wird demotiviert. Das aber verhindert Innovation. Noch ist die 100 000-Mark-Frage unbeantwortet, ob wir wirklich weniger Erfindungen hätten, wenn es keine Patente gäbe oder nur andere Erfindungen.

Das ist noch nicht alles: Die Inhaber von Patenten gehören meist zur technischen Intelligenz entwickelter Länder. Da ihnen auch die Monopolrente der Patente zufließt, bedingt der Schutz geistigen Eigentums einen Transfer von Ressourcen zu Ungunsten der Entwicklungsländer, die auf Erfindungen angewiesen sind, selbst aber nicht Quelle der Erfindung sind. Das führt zurück zum Streit um die Aids-Medikamente in Südafrika. Patente, soviel steht fest, stiften für den Schutz geistigen Eigentums großen Nutzen. Als Monopole auf Zeit verursachen sie aber Kosten. Es wird also auf eine Güterabwägung hinauslaufen: Als Regel könnte daraus folgen: (1) Je größer der Kreativitätsaufwand, um so strenger sollte das Patent sein. Je trivialer die Erfindung, um so weniger nötig sind Patente und Lizenzen. (2) Das Recht auf völlig kostenlose Imitation müsste strikt auf arme Länder begrenzt werden. Dann wäre die Möglichkeit der lizenzgebührenfreien Replikation von Erfindungen eine raffinierte Form der Entwicklungspolitik. Bei der Imitation einer Idee würden den Entwicklungsländern unter stengen Auflagen die Lizenkosten erlassen; auf diese Weise können Entwicklungsländer am technischen Fortschritt partizipieren, ohne dass davon eine Gefährdung des Fortschritts ausginge.

Rainer Hank

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