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Aktien: Börsenkandidaten spüren Folgen der Finanzkrise

Das Geschäft mit Neuemissionen ist schwach: Der letzte große Börsengang liegt ein halbes Jahr zurück. Doch auch mit der Aktie der HHLA wurden die Anleger nicht glücklich. Größte Hoffnungen setzt die Branche nun auf die Deutsche Bahn.

Der Teufel steckt auch an der Börse im Detail. Überraschend musste Devil, der Braunschweiger IT-Großhändler, am vergangenen Donnerstag sein Kapitalmarktdebüt absagen – mangels Nachfrage. An diesem Dienstag hätte es soweit sein sollen. Nach ereignislosen Monaten wäre mit Devil der erste Neuzugang dieses Jahres im Prime Standard gefeiert worden, dem streng regulierten Börsensegment der Frankfurter Börse.

Doch das Unternehmen, das Elektronik-Fachhändler mit Hard- und Softwareprodukten verschiedener Hersteller beliefert, musste sich von seinen Plänen verabschieden. Statt beim Verkauf seiner Aktien gut 22 Millionen Euro einzunehmen, wurde das Orderbuch geschlossen. Es hatte sich nur zur Hälfte mit Zeichnungsaufträgen gefüllt. Devil prüft nun „weitere Finanzierungsoptionen“.

Vorerst Ruhe auf dem IPO-Markt

Der Braunschweiger Großhändler ist nicht der einzige Börsenkandidat, der die Folgen der Finanzkrise zu spüren bekommt. „Nach dem Kursrutsch am Aktienmarkt im Januar ist auf dem IPO- Markt vorerst Ruhe eingekehrt“, sagt Andreas John, bei der Frankfurter DZ Bank für das Geschäft mit Börsengängen zuständig. Banken und Emissionshäuser hätten eine „Vollbremsung“ gemacht – und dies weltweit. Nach Berechnungen der Unternehmensberater von Ernst&Young sank die Zahl der weltweiten Börsengänge im ersten Quartal um 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal. Die Investoren sind verunsichert von den Turbulenzen am Kapitalmarkt und halten sich bei IPOs (Initial Public Offerings), also Neuemissionen, schon seit Monaten zurück. Wenn schon etablierte Standardwerte an der Börse abstürzen, so das Kalkül, warum sollte man unnötige Risiken bei den Neulingen eingehen? „Bis zum Sommer werden nicht mehr viele Unternehmen den Sprung an die Börse wagen“, schätzt John.

Ein einziges Unternehmen, der Finanzdienstleister AVW Immobilien, ging in Deutschland im ersten Quartal an den geregelten Markt. „Gesunde Geschäftsmodelle sind nach wie vor börsenfähig“, sagt Volker Fitzner vom Beratungsunternehmen Pricewaterhouse-Coopers (PwC). „Die Kandidaten sollten sich aber fragen, ob ein IPO angesichts der erzielbaren Preise ausgerechnet jetzt sinnvoll ist.“ Der letzte große Börsengang liegt ein halbes Jahr zurück: Die Hamburger Hafen und Logistik AG startete am 2. November 2007 im Prime Standard. Mit einem Erlös von fast 1,2 Milliarden Euro war es einer der größten IPOs im vorigen Jahr. Wirklich glücklich wurden die Aktionäre aber auch mit der HHLA-Aktie nicht: Sie notiert inzwischen unter dem Ausgabekurs.

Evonik - spektakulärer Rückzug

Um Peinlichkeiten dieser Art zu vermeiden, verzichten Börsenkandidaten auf vollmundige Ankündigungen. Oder sie ziehen sich frühzeitig zurück: Die spektakulärste Absage kam vor zwei Monaten von Evonik. Die RAG-Stiftung blies den zuvor mit großem Aufwand betriebenen Börsengang des Mischkonzerns ab. Stattdessen werden nun Gespräche mit Finanzinvestoren geführt. Auch Talanx (Versicherungen), die HSH Nordbank oder der Gabelstaplerproduzent Kion haben das Thema von der Tagesordnung genommen. „Der Markt hat offensichtlich kein Interesse“, sagt Heinrich Lind, Partner bei Ernst & Young.

Wenige Firmen wagen sich mit ihren Börsenplänen überhaupt an die Öffentlichkeit. Zuletzt waren dies zum Beispiel der Softwarezulieferer GK Software aus dem Vogtland oder die Bitterfelder Solarfirma EverQ. Insgesamt 40 konkrete Börsenkandidaten listet das Fachmagazin „Going Public“ für 2008 noch auf. Doch die Profis bezweifeln, dass es so viele werden. „Mit einem Schuss Berufsoptimismus ist 2008 noch mit bis zu 20 echten Börsengängen zu rechnen“, sagt DZ-Banker John. Das wären immer noch weniger als die Hälfte des Vorjahres (siehe Grafik), als 50 bis 60 Börsengänge für 2008 vorausgesagt wurden. „Ich schätze, es könnten bis zu 15 IPOs im regulierten Markt werden“, glaubt Ute Gerbaulet, die Leiterin des Aktienemissionsgeschäfts der Commerzbank. Die Investoren seien sehr wählerisch, zeigten vor allem Interesse an erneuerbaren Energien oder Zulieferern. Volker Fitzner von PwC hält schon zehn bis 15 Neuemissionen im regulierten Markt (Prime und General Standard) für „ambitioniert“.

Hoffen auf die Strahlkraft der Bahn

Größte Hoffnungen setzt die Branche auf die Deutsche Bahn, die im Herbst zu einem knappen Viertel an die Börse kommen soll. „Die Bahn könnte ein Eisbrecher für den Neuemissionsmarkt sein“, hofft Ute Gerbaulet. „Die Welt wird auf den deutschen Aktienmarkt schauen“, meint Andreas John. Fast alle Banken und Berater begleiten die Bahn an den Kapitalmarkt – konkrete Aussagen zu Chancen und Risiken des Börsengangs sind daher nicht zu bekommen.

Über die mögliche Strahlkraft eines gelungenen Starts der Börsenbahn sind sich aber alle einig. Im Windschatten eines Emissionsvolumens von mehreren Milliarden Euro könnten sich nach Einschätzung der Experten auch andere Firmen zu einem Börsengang entschließen. Eine Garantie gibt aber auch der Erfolg eines Groß-IPOs nicht. „Visa war zum Beispiel kein Eisbrecher“, gibt Heinrich Lind von Ernst & Young zu bedenken. Der Kreditkartenkonzern hatte Ende März fast 18 Milliarden Dollar (fast zwölf Milliarden Euro) an der Wall Street eingesammelt. Das Geschäft mit Börsengängen kam anschließend trotzdem nicht in Gang.

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