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Wirtschaft: Aktienhandel: Anlageberater ohne Handy und E-mail-Adresse

Für die amerikanische Investmentgesellschaft Edward D. Jones hat es die Internetrevolution nie gegeben.

Für die amerikanische Investmentgesellschaft Edward D. Jones hat es die Internetrevolution nie gegeben. Fast feierlich verkündet das in einem Vorort von St. Lewis, Missouri, ansässige Anlagehaus, dass es niemals in den Online-Aktienhandel einsteigen werde. Selbst während der Zeit der Börseneuphorie ließ man die Hände von den Technologiewerten. Der geschäftsführende Gesellschafter John Bachmann gesteht, in den vergangenen vier Jahren nicht ein einziges Mal seinen Computer eingeschaltet zu haben. Der 62-jährige meidet Mobiltelefone und antwortet auf E-mails mit handschriftlichen Nachrichten, die von seiner Sekretärin abgetippt und versandt werden. Die Makler bei Jones arbeiten in Einzelbüros und knüpfen ihre Kundenkontakte, indem sie von Tür zu Tür gehen und ihre Produkte vorstellen. Die wenigsten von ihnen haben eine wirtschaftliche Ausbildung. Per E-mail sind sich nicht zu erreichen, ihre meist handgeschriebenen Benachrichtigungen werden per Post zu den Kunden befördert.

Ein hoffnungslos veraltetes Modell, möchte man meinen. Doch der Schein trügt: In den vergangenen Jahren hat Jones selbst dann noch zugelegt, als seine auf Modernität setzenden Konkurrenten den Rückzug antreten mussten. Die gemessen an der Anzahl der Händler siebtgrößte Anlagegesellschaft auf dem US-Markt eröffnet an jedem Wochentag vier neue Büros und plant, die Zahl der Makler von derzeit 7653 bis zum Ende dieses Jahrzehnts auf 25 000 zu erhöhen. Vom neuen Standort Großbritannien will das Unternehmen auch nach Kontinentaleuropa expandieren. Im vergangenen Jahr kam Jones auf einen Vorsteuergewinn von 230 Millionen Dollar bei einem Gesamtumsatz von 2,1 Milliarden Dollar. Die Kapitalverzinsung lag in den ersten drei Monaten dieses Jahres bei 25 Prozent und damit um 20 Prozent über dem Branchendurchschnitt.

Doch die aus den achtziger Jahren stammende Technologie der Gesellschaft beginnt langsam, weiteres Wachstum zu behindern. Das veraltete Nachrichtensystem, das jedes Büro in den USA und Kanada mit der Zentrale verbindet, ist für viele Dienste völlig ungeeignet, darunter für E-mails. Seit einiger Zeit wird bei Jones ein neues Glasfaser- Netzwerk getestet, das jedoch erst in einigen Jahren einsatzbereit ist. Bereits das Installieren neuer Drucker hatte einst acht Monate gedauert. "Solche Praktiken sind kritisch zu sehen, da sie die Wachstumsziele gefährden", sagt Professor Michael Porter von der Harvard Business School, der das Geschäftsmodell von Jones vor zwei Jahren in seinen Lehrplan aufgenommen hat. "Die Schwierigkeit besteht darin, die Technologie aufzurüsten ohne die volkstümliche Atmosphäre zu zerstören, die bislang den Erfolg beflügelte."

Für Unternehmen wie Jones ist die Balance zwischen Technologie und Firmenkultur eine stetige Herausforderung. Besonders deutlich wurde dies während des Booms der Internetwerte im Juli 1999, als die siebzehnköpfige Firmenleitung zur jährlichen Konferenz für fünf Tage nach Alaska flog. Rich Malone, Leiter der Informationsabteilung, machte einen Vorschlag, von dem er ahnte, dass er schwer zu vermitteln sein würde: Vorsorglich sollte ein Online-Handel für Wertpapiere eingerichtet werden. Bachmann und die anderen Manager waren prompt dagegen. Sie meinten, dies würde die Firmenkultur zerstören.

Auch wenn einige Makler auf modernere Arbeitsmittel drängen, für die meisten Mitarbeiter, wie den 37-jährigen David Parmer, ist Technik zweitrangig. Parmer, der seit sieben Monaten bei Jones arbeitet, hat wie viele seiner Kollegen zunächst in anderen Berufen gearbeitet. Er hat die Vorgabe, jeden Tag mindestens 25 neue Kundenkontakte zu knüpfen. Täglich fährt er durch seine ländliche Wohngegend und geht von Tür zu Tür. Sein Mobiltelefon klingelt dabei nie. "Meine Kunden wollen sich nicht in Minutenschnelle von ihren Papieren trennen", sagt er. Im Durchschnitt halten die Kunden bei Jones ihre Fondsanteile über zwanzig Jahre. Viele der Anleger sind Rentner, wie Mary Mahler, die gerade eine halbe Million Dollar geerbt hat. "Unter einer Million geben sich die meisten Makler anderer Unternehmen nicht mit einem ab", sagt sie. Ein Händler bei Jones verdient durchschnittlich 146 000 Dollar jährlich - verglichen mit 173 850 Dollar im Branchendurchschnitt. Unternehmenschef Bachmann hat mit 2,4 Millionen Dollar im vergangenen Jahr sogar nur ein Zehntel dessen erhalten, was zum Beispiel der Vorsitzende von Merril Lynch verdient. Im Vergleich zu den Vorständen anderer Unternehmen führt Bachmann, der 1959 mit einem Praktikum bei Jones begann, auch privat ein eher bescheidenes Leben.

Bevor ein Jones-Makler seinen ersten Kunden begegnet, absolviert er 120 Tage in einem Schulungszentrum, wo er mit strikten Regeln vertraut gemacht wird. "Unterbrich nie einen Kunden", lautet eine. Eine andere besagt, dass man nichts bei sich tragen soll, was an eine Bibel erinnern könnte. Jones-Makler sollen nicht für Mitglieder der Mormonen-Kirche gehalten werden. Große Bedeutung haben handgeschriebene Briefe, von denen die Makler täglich bis zu einem Dutzend verfassen. Diese Kultur ist der Schlüssel zum Erfolg, meint Professor Porter. Deshalb könne Jones langsam über die Einführung technischer Neuerungen entscheiden. "In vieler Hinsicht ist Jones seiner Zeit voraus. Die meisten Leute wollen einfach einen konservativen Berater, dem sie vertrauen können", sagt Porter.

"Rückblickend hätte ich besser auf meinen Jones-Berater hören sollen", sagt der Unternehmer Scott Chaney, der 1999 ein Konto beim Internetbroker E*Trade eröffnete und seitdem mit Technologietiteln 40 000 Dollar verlor. Den Rest seiner Anlage will er nun auf sein altes Depot bei Edward Jones transferieren und in "stabilere" Werte investieren. Nach eigenen Angaben hat Jones nur 9815 seiner 4,7 Millionen Depots an die Online-Konkurrenten verloren. Wie viele Jones-Kunden zusätzlich zu ihrem traditionellen Depot ein Online-Konto errichtet haben, ist nicht bekannt. Bei allen technischen Neuerungen, die Jones ins Haus stehen, wird sich eines aber nicht ändern. "Wir lieben das Internet", meint Bachmann. "Wir werden es jedoch nie für den Aktienhandel einsetzen."

Susanne Craig

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