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Aktienmarkt: Professioneller Optimismus

Banker, Fondsmanager und Vermögensverwalter bleiben trotz Finanzkrise gelassen – ein Warnsignal für Anleger.

Berlin/Frankfurt am Main - „Das ist noch nicht das Ende.“ Unerschütterlich optimistisch wischte Roland Ziegler, Chef-Aktienstratege der renommierten BHF-Bank, diese Woche alle Zweifel vom Tisch. „Wir stehen im fünften Jahr einer Aktien-Hausse. Es wird nicht das letzte sein“, sagte er in Frankfurt am Main. Öl bei 100 Dollar, der Euro bei 1,50 Dollar – kein Problem. Finanzkrise? Welche Krise? Spätestens im Frühling 2008, wenn die von den Wirtschaftsprüfern abgesegneten Bank-Bilanzen vorlägen, werde es an der Börse mit den Kursen wieder deutlich nach oben gehen. Ziegler wagte eine „konservative Prognose“: Ende nächsten Jahres werde der Dax bei 8700 Punkten stehen. Gemessen am aktuellen Stand wäre dies ein Gewinn von gut zehn Prozent – nach einem Plus von 19 Prozent im laufenden Jahr und 22 Prozent im vergangenen.

Der BHF-Stratege steht nicht alleine. Während sich viele Volkswirte mit einer drohenden Rezession in den USA, Inflationssorgen und Finanzkrisenszenarien herumplagen, hat bei Börsianern der Optimismus Konjunktur. Jüngst angefeuert wurde er von US-Notenbankchef Ben Bernanke. Er stellte am Donnerstag – angesichts neuer Turbulenzen auf dem US-Hypothekenmarkt – sinkende Zinsen im Dezember in Aussicht. Was sich eigentlich wie eine Warnung vor unerwarteten Verwerfungen auf dem Kreditmarkt anhörte, wurde an der Börse gefeiert: Bernanke habe den Startschuss für die Jahresendrallye am Aktienmarkt gegeben, frohlockten Händler. Verschiebt auch die Europäische Zentralbank am kommenden Donnerstag erneut eine Zinserhöhung – was alle erwarten–, dann könnten die Weihnachtseinkäufe an der Börse beginnen.

Wie immer Anfang Dezember denkt die Branche an ihre Jahresbilanz. Die Kunden wollen Gewinne sehen – entsprechend hektisch fallen die Verkaufsbemühungen der Fondsmanager und Banker zum Jahresende aus. 2007 ist der Stress groß, weil deutsche Anleger Vorsicht bewiesen und monatelang Milliarden aus Aktienfonds abgezogen haben. Insgesamt sammelten in Deutschland aufgelegte und vertriebene Aktienfonds in den vergangenen zwölf Monaten zwar noch 19,8 Milliarden Euro ein. In den zwölf Monaten zuvor waren es aber mit 66 Milliarden Euro mehr als drei Mal so viel.

Auch Gertrud Traud, Chef-Volkswirtin der Helaba, die bis vor wenigen Wochen noch auf der Seite der Pessimisten zu finden war, verbreitet gute Laune. Nach einer vorübergehenden Wachstumsschwäche werde die US-Wirtschaft 2008 eine Art Frühlingserwachen erleben, ausgelöst von der starken Weltwirtschaft. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 60 Prozent werde eine „Wachstums- und Inflationsrochade“ eintreten. Aktien seien 2008 daher eine gute Wahl: Bis auf 8600 Punkte könne der Dax bis zum Herbst steigen.

Börsenaltmeister Gottfried Heller, Geschäftsführer der Fiduka Depotverwaltung, bemüht seine Lebenserfahrung, die ihn an steigende Kurse im kommenden Jahr glauben lässt: „Ich habe 14 Finanzmarktkrisen aktiv an der Börse miterlebt“, sagt er im Gespräch mit dem Tagesspiegel am Sonntag. „Im Durchschnitt ist der Standard & Poor’s 500 im Folgejahr jeder Krise um 18 Prozent gestiegen.“ 2008 sieht Heller aber nicht nur gute Kurschancen für die im Standard & Poor’s-Index notierten 500 größten US-Unternehmen. Im Jahr der Präsidentschaftswahlen in den USA werde die Finanzmarktkrise weltweit in den Hintergrund gedrängt. „Bush wird den von der Hypothekenkrise betroffenen Hausbesitzern mit Programmen oder Steuererleichterungen aus der Patsche helfen“, glaubt Heller. Meldungen vom Freitag, wonach die US-Regierung Immobilienfinanzierer bereits unter Druck setze, deuten in diese Richtung. „Der Aktienmarkt wird 2008 auf zwei Zylindern feuern“, prognostiziert Heller. „Geldpolitisch und fiskalisch.“

Man muss genau zuhören, will man unter den Berufsoptimisten Zweifler finden, die im billigen Zentralbankgeld oder politisch motivierten Finanzspritzen kein Allheilmittel sehen. Andreas Utermann, Chef-Stratege bei Allianz Global Investors, sieht immerhin ein „deutlich schwierigeres Aktienjahr als die Jahre zuvor“ auf die Anleger zukommen. Chancen und Risiken seien 2008 gleichmäßig verteilt. „Es wird starke Marktschwankungen geben.“ Eine Prognose für den Dax wagt er nicht.

Auch Klaus Hagedorn, Chef-Stratege beim Bankhaus Metzler, bereitet der „potenziell riesige und existenzbedrohende“ Abschreibungsbedarf bei Banken Kopfschmerzen. Am US-Hypothekenmarkt stünden in den nächsten Jahren Verträge im Umfang von rund 400 Milliarden Dollar zur Neuverhandlung an. Damit seien neue Probleme programmiert.

Solche Warnungen stören den vorweihnachtlichen Rummel an der Börse und werden deshalb gerne übertönt. Die Fondsgesellschaft Union Investment verbreitete am Freitag eine von ihr in Auftrag gegebene Forsa-Umfrage. Danach ist der Anteil der Befragten, die Aktien oder Fonds kaufen wollen, aktuell um acht Prozentpunkte auf 44 Prozent gestiegen. Paradox: Gleichzeitig fiel der Anteil derjenigen, die stark steigende Aktienkurse erwarten, auf nur zwei Prozent. Der Optimismus der Aktienhändler ist ansteckend wie ein Virus.

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