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Wirtschaft: Aktienmarkt: "Wir müssen mit größerer Unsicherheit leben"

Klaus Kaldemorgen (48) ist seit 1991 Direktor des Fondsmanagements für internationale Aktien bei der DWS Investment GmbH, der Fondsgesellschaft der Deutschen Bank. Der Volkswirt leitet ein Team von 15 Fondsmanagern, die ein Vermögen von insgesamt 20 Milliarden Euro verwalten.

Klaus Kaldemorgen (48) ist seit 1991 Direktor des Fondsmanagements für internationale Aktien bei der DWS Investment GmbH, der Fondsgesellschaft der Deutschen Bank. Der Volkswirt leitet ein Team von 15 Fondsmanagern, die ein Vermögen von insgesamt 20 Milliarden Euro verwalten. Kaldemorgen selbst ist für sechs international anlegende Fonds mit einem Vermögen von fünf Milliarden Euro verantwortlich. Sein Team und einige seiner Fonds wurden mehrfach von unabhängigen Experten ausgezeichnet, Kaldemorgen war an der Entwicklung und Auflegung zahlreicher Investmentprodukte beteiligt.

Zum Thema Online Spezial: Terror gegen Amerika Umfrage: Haben Sie Angst vor den Folgen des Attentats? Fotostrecke I: Der Anschlag auf das WTC und das Pentagon Fotostrecke II: Reaktionen auf die Attentate Fotostrecke III: Rettungsarbeiten in New York Fotostrecke IV: Trauerkundgebung am Brandenburger Tor Chronologie: Die Anschlagserie gegen die USA Osama bin Laden: Amerikas Staatsfeind Nummer 1 gilt als der Hauptverdächtige Herr Kaldemorgen, droht nach den Anschlägen in den USA eine Weltwirtschaftskrise?

Nach so einem Ereignis reagieren die Märkte erst einmal reflexartig. Zum Beispiel werden panisch Aktien verkauft, weil alle einen sicheren Hafen suchen. Diese Aufregung hat sich etwas gelegt. Aber das Vertrauen der Konsumenten ist erschüttern. Jetzt kommt es darauf an, dass die Notenbanken beherzt eingreifen und die Zinsen weiter senken, um den Verbrauchern zur Seite zu stehen. Es wird sicher auch eine moralische, wenn nicht gar fiskalische Unterstützung der Regierungen geben - vor allem in den USA. Diese gegenläufigen Effekte werden sich in der Summe neutralisieren.

Sie rechnen nicht wie viele Volkswirte mit einer Rezession?

Nein, ich hoffe, dass eine Rezession abgewendet werden kann. Die amerikanische Regierung wird wahrscheinlich beim Thema innere Sicherheit einen erheblichen Investitionsbedarf sehen. Das wird der Wirtschaft zugute kommen. Auch im Technologiebereich hatten wir vor der Katastrophe das Schlimmste hinter uns. Gerade in der Halbleiterindustrie, die ein sensibler Indikator ist, hat sich die Auftragslage wieder stabilisiert. Daran hat sich auch nach den Terroranschlägen nichts geändert. Ich erwarte deshalb, dass wir im kommenden Jahr keinen explosiven, aber doch einen milden Aufschwung erleben werden.

Wann werden die Zinsen sinken?

Die Notenbanken werden alles tun, um nicht den leisesten Verdacht aufkommen zu lassen, dass es zu Liquiditätsproblemen kommen wird. Das wird das kurzfristige Zinsniveau drücken. Aber ich rechne auch mit einer baldigen Senkung der Leitzinsen.

Welche Folgen hätte eine noch schwächere US-Konjunktur für Europas Wirtschaft?

Europa ist ein kleines Rätsel für mich. Obwohl der Technologiebereich eine weitaus geringere Rolle gespielt hat als in den USA, sind die europäischen Börsen viel stärker unter die Räder gekommen. Das hängt damit zusammen, dass bei uns die wenigen größeren Hightech-Firmen im geschwächten Telekommunikationsgeschäft tätig sind, das sich sobald nicht erholen wird. Die US-Wirtschaft ist viel breiter aufgestellt. Europa wird deshalb nicht die Konjunkturlokomotive sein, sondern den USA hinterherhinken.

Und Japan? Die Reaktionen an den Börsen verheißen nichts Gutes.

Ich fürchte, dass die Terrorwelle in den USA für Japan die schlimmsten Auswirkungen hat. Einen weiteren Kursrutsch kann das Land überhaupt nicht gebrauchen, weil die Banken mit dem Rücken zur Wand stehen. Die Regierung hat zugleich keinen wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum mehr, weil die Staatsverschuldung enorm ist. Trotzdem muss sie das Finanzsystem mit Geld versorgen. Ich sehe nicht, wie Japan aus diesem Teufelskreis herauskommt.

Haben Sie als Investor den japanischen Aktienmarkt abgeschrieben?

Das kann man fast so sagen. Bei den internationalen Aktienfonds hat Japan nur noch ein Gewicht von drei Prozent, es spielt also fast keine Rolle mehr. Für das Land muss man wirklich schwarz sehen.

Wie lange werden die Finanzmärkte brauchen, um sich von dem Schock zu erholen?

Ich glaube, dass wird schneller gehen, als wir glauben. Die Lage in New York wird sich - trotz des Schreckens über die Ereignisse - in ein paar Tagen wieder stabilisiert haben.

Haben Sie Ihre Anlagestrategie in den vergangenen Tagen geändert?

Nein. Die Megatrends, auf die wir setzen, bleiben bestehen. Unsere Anlagestrategie ist langfristig angelegt und auf Sektoren konzentriert, nicht auf Regionen. Damit können wir besser auf zyklische Entwicklungen und außerordentliche Ereignisse reagieren.

Müssen Anleger in Zukunft häufiger mit solchen Schocks rechnen, die das globale Finanzsystem bedrohen?

Ich glaube nicht, dass das internationale Finanzystem nun verwundbarer geworden ist. Aber die Anschläge zeigen, dass wir insgesamt mit einer größeren Unsicherheit leben müssen. Das schlägt sich natürlich auch auf die Stimmung der Investoren nieder.

Kann man in diesen Tagen noch ruhigen Gewissens zu einer Aktienanlage raten?

Ja, ich denke schon. Aber ich gebe zu, dass ich nicht weiß, was ich Ihnen vor zwei Jahren geantwortet hätte, als wir alle mit einem viel längeren Kursanstieg gerechnet haben. Aktieninvestments sind und bleiben mit Risiken verbunden, und es kommt immer auf den Zeitpunkt des Einstiegs an, ob sich eine Anlage auch lohnt. Wer langfristig mit einer ausgewogenen Investition an der Börse für das Alter vorsorgt, das zeigen die Statistiken, übersteht auch Krisen wie die gegenwärtige.

Kann man nach der Zäsur, die die Anschlagserie verursacht hat, noch von der Vergangenheit auf die Zukunft schließen?

So schockierend die Terroranschläge sind: Ich sehe darin keinen strukturellen Bruch für den Kapitalmarkt. Wir haben vergleichbare Schocks während des Golfkriegs oder der Ölkrise erlebt. Viel gravierender ist das Platzen der Technologieblase. Hier hat man den Fehler gemacht, die positiven Einflüsse, die auf die Börsen gewirkt haben - das Internet, die Deregulierung der Telekommärkte, den Mobilfunk - einfach in die Zukunft fortzuschreiben. Wir müssen künftig häufiger Reality-Checks machen, um zu prüfen, was hinter so starken Kursbewegungen steckt. Das ist schwierig, wenn man mitten drin steckt. Dann sagen alle: Nach mir die Sintflut.

Dieser Vorwurf trifft Sie auch. Verstärken Fonds, die Milliarden am Markt investieren, solche zyklischen Übertreibungen?

Nein. Vergessen Sie nicht, dass auch wir in einem Netzwerk tätig sind und nicht allein die Trends vorgeben. Wir investieren die Mittel, die uns zufließen. Insofern hängen wir von den Wünschen der Anleger ab, die wiederum von den steigenden Kursen und der Berichterstattung beeinflusst werden. Es dürfte schwer sein, in diesem Kreislauf jemanden zu finden, der den Trend vorgibt oder verstärkt. Die vergleichsweise gute Performance unserer Fonds zeigt, dass wir vorsichtig mit dem Geld unserer Kunden - immerhin 94 Milliarden Euro - umgehen.

Lässt sich ein Fonds nur bei steigenden Kursen vernünftig managen?

Im Gegenteil. Wenn die Kurse und zugleich die Fondsmittel steigen, bin ich als Fondsmanager gezwungen, den Kursen hinterherzulaufen. Die Neue-Markt-Fonds zeigen, wie schlecht das für die Performance ist.

Glauben Sie, dass die Anleger etwas aus der Talfahrt der Kurse gelernt haben?

Die Anleger haben gelernt, dass Risikostreuung in der Aktienanlage eine sinnvolle und vernünftige Strategie sein kann. 1998 und 1999 galt das noch nicht. Da wollten alle Anleger dort sein, wo die Musik spielt, also in den Technologie- oder Neue-Markt-Werten. Die Anleger haben schmerzlich erfahren, dass diese Konzentration auf wenige Branchen oder Marktsegmente nur schön ist, wenn es nach oben geht.

Was lernen Sie selbst aus 18 Monaten Talfahrt an den Börsen?

Es wäre gelogen zu sagen, dass ich das Ausmaß der Kursverluste vorausgesagt hätte. Ich habe mit einer früheren Wende gerechnet und nicht erwartet, dass die Nachfrage so stark zurückgehen würde. Wir haben gewusst, dass Technologie ein schnelles Geschäft ist. Aber wir haben unterschätzt, dass die Nachfrage so schnell reagiert.

Welche Schlüsse ziehen Sie daraus für die künftige Entwicklung? Welche Branchen gehen gestärkt aus der Krise hervor?

Anleger, die sich nicht so viele Gedanken über die Auf- und Abschwünge machen wollen, sind zum Beispiel gut mit Aktien aus dem Gesundheitssektor bedient.

Was halten Sie von Technologieaktien?

Den Technologiesektor sollte man in den nächsten sechs bis zwölf Monaten beobachten. Ich setze im Moment auf den Halbleitersektor, weil er den längsten Vorlauf hat. Die Aktien der Hersteller muss man kaufen, wenn sie Verluste machen und verkaufen, wenn die Nachrichten gut sind und sie starke Gewinne machen. So muss man sich an der Wertschöpfungskette des Hightech-Bereichs weiterhangeln. Bei den aktuellen Kursen finde ich auch die Bankaktien interessant, weil da nach unten übertrieben wurde. Anders sieht das bei den Versicherern aus, die von dem Kurseinbruch und den Folgen der Anschläge doppelt hart betroffen sind.

Haben Sie T-Aktien verkauft in den letzten Wochen?

Nein, wir haben eher T-Aktien gekauft. Wobei ich generell Telekommunikations-Aktien im Augenblick eher nicht anrühren würde. Die Telekom scheint mir zu den drei, vier europäischen Unternehmen der Branche zu zählen, die einen Kauf rechtfertigen.

Also besteht Hoffnung für die T-Aktionäre?

Hoffnung ja. Aber es bleiben Risiken im US-Geschäft. Ron Sommer muss nach der Übernahme von Voicestream zeigen, das er in der Lage ist, in Amerika ein ordentliches Geschäft aufzubauen. Das müssen wir erst abwarten. Unsere Gespräche mit Sommers Finanzvorstand verlaufen, sagen wir, kontrovers.

Herr Kaldemorgen[droht nach den Anschlägen i]

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