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Wolfram König

© dpa

Akw-Pannen: „Die Betreiber sollten die älteren Reaktoren vom Netz nehmen“

Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, zieht die Lehren aus den jüngsten Pannen in deutschen Atomkraftwerken. Von den Betreibern fordert er eine neue Sicherheitskultur.

Herr König, Sie sind der oberste Strahlenschützer. Wie gefährlich waren die Zwischenfälle in den Atomkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel?

Bei Atomkraftwerken gibt es immer viele meldepflichtige Ereignisse in der untersten Kategorie N, aber auch einzelne der Kategorie E, wie auch in Krümmel und Brunsbüttel.

Unterste Kategorie klingt nicht dramatisch. Wie viele gibt es insgesamt?

Drei, wenn ein Kraftwerk in Betrieb ist: Normal, Eilt und Sofort. Das Problem dieser hochkomplexen Systeme ist, dass sich große Störfälle immer aus kleinen Ereignissen entwickeln. An der Schnittstelle von Mensch und Maschinen haben wir Situationen, wo es am Anfang einen kleinen technischen Defekt gibt, der sich dann plötzlich durch falsches Verhalten zu einer Extremsituation hochschaukeln kann, die ein riesiges Gefährdungspotenzial freisetzen kann. Es reicht nicht aus, technische Systeme immer besser zu machen. Der Mensch, der kerntechnische Anlagen bedient, muss auch noch in der Lage sein, sie zu beherrschen.

Warum hat die Öffentlichkeit von den Problemen nur tröpfchenweise erfahren?

Dass vonseiten des Unternehmens massive Fehler gemacht worden sind, darüber müssen wir uns nicht unterhalten. Wir erleben immer wieder – gerade auch in Japan –, dass die Betreiber meinen, sie könnten über die Runden kommen, indem sie nur das preisgeben, was die Medien herausfinden. Das ist nicht akzeptabel, und es ist kein Beweis einer Sicherheitskultur, die diesen Namen verdient. Wenn Unternehmen sich allein zurückziehen auf die technisch-wissenschaftliche Erkenntnis, dass alles sicher sei, werden sie die Bevölkerung nicht erreichen. Das ist eine wesentliche Herausforderung für die Betreiber solcher Anlagen.

Die Atomaufsicht, in diesem Fall die Kieler Sozialministerin Gitta Trauernicht, hat Vattenfall Lizenzentzug angedroht.

Im Zentrum steht die Frage, wie Kernkraftwerksbetreiber zum Nachweis der Sicherheit ihrer Anlagen gebracht werden können. Die Landesaufsicht ist gefordert, hierfür den richtigen Weg zu wählen. Dazu gehört aber auch, dass Vattenfall einen Strategiewechsel vornimmt und sagt: „Die Gesellschaft stellt Anforderungen an uns, die wir bisher offenbar nicht bedient haben.“ Dann würden solche Situationen nicht entstehen.

Kann es sein, dass der Lizenzentzug nur deshalb nicht konsequent durchgezogen wird, weil die Unternehmen millionenschweren Schadenersatz fordern, wenn der Nachweis vor Gericht nicht standhält?

Bisher kann die Atomaufsicht Nachrüstung und gegebenenfalls Stilllegung nur dann durchsetzen, wenn sie fundiert nachweisen kann, dass maßgebliche Sicherheitsdefizite bestehen. Gelingt ein solcher Nachweis nicht lückenlos, insbesondere weil die Betreiber der Anlagen aus der Natur der Sache heraus einen Wissensvorsprung gegenüber der Aufsichtsbehörde haben, so kann der Aufsicht eine Schadenersatzforderung in Millionenhöhe drohen. Würde es aber künftig ausreichen, dass die Aufsichtsbehörde einen plausiblen Gefahrenverdacht darlegt, der vonseiten der Unternehmen widerlegt werden kann, so würde die Aufsicht in ihrer Handlungsfähigkeit damit deutlich gestärkt.

Die Kieler Ministerin fordert daher, die Beweislast umzukehren, um den Aufsichtsbehörden damit die Arbeit zu erleichtern. Kann das helfen?

Bei der Beweislastumkehr geht es nicht um einen Generalverdacht gegen die Betreiber der Kernkraftwerke. Wenn Unternehmen aber wirklich deutlich machen wollen, dass es ihnen ernst ist mit der Transparenz, müsste es auch in ihrem Interesse sein, das Atomgesetz entsprechend weiterzuentwickeln. Das kann dazu beitragen, die Handlungsfähigkeit der Landesaufsichtsbehörden zu stärken. Auch Vattenfall-Chef Josefsson hätte mit der Umkehrung der Beweislast, wie er jetzt erklärte, keine Probleme.

Vattenfall-Chef Josefsson hat inzwischen zugegeben, dass Vertrauen verspielt worden sei, und einen Neuanfang angekündigt. Glauben Sie ihm, oder könnte das in wenigen Wochen vergessen sein?

Die Frage der formalen Genehmigung und der Zuverlässigkeit ist eine Sache der Betreiber, die mit Hochrisikotechnologien umgehen. Die andere ist, durch vertrauensbildende Maßnahmen und den Dialog mit der Öffentlichkeit Vertrauen zu schaffen oder verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Vertrauen lässt sich aber nicht allein daran messen, ob die Betreiber gesetzliche Anforderungen erfüllen. Es ist weit mehr: Die Unternehmen müssen deutlich machen, dass ihr Sicherheitsverständnis die Interessen der Bevölkerung ernst nimmt.

Das Vertrauen in die Beherrschbarkeit der Kernkraft ist erheblich gesunken. Was kann die Branche dagegen tun?

Wenn die Konzerne es ernst meinen mit der Verbesserung der Sicherheit älterer Reaktoren und auch Akzeptanz für den befristeten Betrieb der jüngeren Kernkraftwerke schaffen wollen, sollten sie ein Signal setzen und die alten Kraftwerke freiwillig früher vom Netz nehmen, wie dies im Übrigen der Deutsche Bundestag schon 2001 als Konsequenz der Anschläge des 11. September gefordert hat.

Die Konzerne haben andere Pläne: Sie haben schon vor Monaten beantragt, die Restlaufzeiten für ältere Reaktoren wie Brunsbüttel, Neckarwestheim 1 und Biblis A zu verlängern.

Die Stromversorger sind gut beraten, als ersten Schritt diese Anträge zurückzuziehen. Und dann das Gesprächsangebot von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel anzunehmen und über die vorzeitige Abschaltung von älteren Reaktoren zu verhandeln. Stattdessen wollen sie das Gegenteil und planen, die Übertragung von Reststrommengen von jüngeren auf ältere Kraftwerke vom Ausnahmefall zum Regelfall zu machen. Das kommt einer Aufkündigung des Vertrages nahe, der zwischen ihnen und der Bundesregierung 2001 geschlossen wurde.

Gabriel fordert, dass ältere Anlagen früher abgeschaltet werden, weil sie störanfälliger sind. Ist das richtig?

Ja. Anlagen wie Brunsbüttel, Biblis A oder Neckarwestheim 1 haben die meisten meldepflichtigen Ereignisse und stehen über lange Zeit immer wieder still, weil Mängel aufgetaucht sind, die nicht von untergeordneter Bedeutung sind. Bei Biblis A und B ist das seit neun Monaten der Fall. Und Brunsbüttel war in 30 Jahren Betriebszeit insgesamt sogar zehn Jahre abgeschaltet. Das zeigt aber, dass es auch aus Unternehmenssicht ökonomische Gründe gibt, solche älteren Reaktoren nicht bis zum Ende der Laufzeit zu betreiben. Bei Abschaltung können teure Nachrüstungen vermieden und Reststrommengen an andere Unternehmen der Branche verkauft werden.

Noch bessere ökonomische Argumente gibt es aber für längere Restlaufzeiten. Wenn die Atomkraftwerke abgeschrieben sind, können die Betreiber pro Tag bis zu eine Million Euro Gewinn einfahren. Warum sollten sie darauf verzichten?

Weil sie schlicht und einfach Akzeptanz bei der Bevölkerung und der Politik für den Betrieb solcher Anlagen brauchen, die sie im Moment nicht haben. Die Energieversorger haben vor sieben Jahren den sogenannten Atomkonsens mit der Bundesregierung vereinbart, der allen Seiten langfristig Planungssicherheit garantiert. Für ihre Zusicherung, die letzten Kernkraftwerke 2021 vom Netz zu nehmen, haben die Unternehmen eine Menge bekommen. Darunter auch das Zugeständnis, dass Rückstellungen in Höhe von 30 Milliarden Euro nicht angetastet werden, die Haftung der Unternehmen auf 2,5 Milliarden Euro begrenzt bleibt und die Politik den ungestörten Betrieb der Anlagen bei Einhaltung der atomrechtlichen Anforderungen garantiert.

Wie sicher sind Atomkraftwerke bei Terrorangriffen?

Die Anschläge vom 11. September 2001 haben eine neue Dimension des Denkens und Handelns von Terroristen deutlich gemacht. Es ist nicht nur Spekulation, dass auch Kernkraftwerke Ziele solcher Angriffe sein können. Bei einem gezielten Flugzeugangriff gibt es ein klares Sicherheitsgefälle zwischen den einzelnen Kernkraftwerken. Neuere Reaktoren haben eine wesentlich stärkere Stahlbetonhülle zum Schutz. Sie ist mit 180 Zentimetern bis zu dreimal so dick wie bei älteren.

Können Sie das genauer erklären?

Als die Terroranschläge in den USA passiert sind, war ich mitten in Genehmigungsverfahren für die Zwischenlager von abgebrannten Brennelementen an den Standorten der Kernkraftwerke. Ich habe diese Genehmigungen erst erteilt, nachdem die Unternehmen in ihren Anträgen nachgewiesen haben, dass selbst das extremste Szenario – ein Angriff einer zivilen Maschine mit vollem Kerosintank – nicht zu einer erheblichen Freisetzung von Radioaktivität führt. Bei Atomkraftwerken ist das nicht Gegenstand der Prüfung gewesen.

Was kann man aus den Vorfällen bei Vattenfall lernen?

Meine Hoffnung ist, dass man aus der Debatte auch Schlüsse zieht für die Frage der Endlagerung …

… für die Sie verantwortlich sind.

Es gibt viele, die den Standort Gorleben durchsetzen wollen, um hochradioaktives Material zu lagern, ohne andere Standortalternativen zu prüfen. Aber ein Endlager gegen den Willen der Bevölkerung durchsetzen zu wollen, halte ich für einen Fehler. Erst recht, wenn nicht alle Anforderungen nach dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik – wie beispielsweise ein Standortvergleich – erfüllt sind. Wir können uns hier Länder wie die Schweiz zum Vorbild nehmen.

Das Interview führte Maren Peters.

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