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Wirtschaft: Alle blicken auf Pierer

Wie die Öffentlichkeit, das Unternehmen und seine Mitarbeiter reagieren. Zwölf Jahre lang war er Vorstandschef. Nun wird Kritik laut

München/Berlin - Im Skandal um schwarze Kassen bei Siemens steht jetzt auch Heinrich von Pierer in der Kritik. Der 65-Jährige hatte den Vorstandsvorsitz vor knapp zwei Jahren an Klaus Kleinfeld abgegeben und leitet seitdem den Aufsichtsrat. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Handlungen in dieser Dimension ohne das Wissen des Konzernvorstands passiert sind“, sagte der Vorsitzende der bayerischen SPD-Landtagsfraktion Franz Maget am Donnerstag dem Tagesspiegel. Er könne zwar nicht beurteilen, ob Pierer davon Kenntnis gehabt habe. „Aber selbst wenn von Pierer nicht persönlich von den Korruptionsvorgängen gewusst hat, trägt er dafür die Verantwortung.“

Pierer, der 1969 zu Siemens kam, war von Oktober 1992 bis Januar 2005 Vorstandschef von Siemens. Die bisherigen Ermittlungen beziehen sich auf die Zeit vor 2004. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht inzwischen davon aus, dass mehr als 200 Millionen Euro in schwarze Kassen geflossen sind. Eine Bande von zwölf Verdächtigen, zu der auch zwei ehemalige Bereichsvorstände der Kommunikationssparte Com gehörten, soll „fortgesetzt Untreuehandlungen zum Nachteil von Siemens“ begangen haben. Sechs Beschuldigte befinden sich in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft prüft auch, ob Schmiergeld für Aufträge in Griechenland, Nigeria und anderen Ländern gezahlt wurde.

„Ich persönlich arbeite seit 25 Jahren für den Konzern, und es bewegt mich sehr, was da vorgeht“, sagte am Donnerstag der Chef der Siemens-Tochter Osram, Martin Goetzeler. Er könne nur versichern, dass „der gesamte Vorstand von Siemens und die Führungsmannschaft daran interessiert sind, dass die Vorwürfe aufgeklärt werden und dass die Kooperation mit der Staatsanwaltschaft vollständig fortgesetzt wird“.

Nach Ansicht von Franz Maget hat inzwischen auch der gute Ruf Pierers, der Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist, schwer gelitten. „Gerade Herr von Pierer hat immer viel mit ethischer und moralischer Verantwortung argumentiert und gegenüber Politikern mit erhobenem Zeigefinger eine Vorbildfunktion angemahnt“, sagte der SPD-Politiker. „Ich bin sehr enttäuscht, weil ich bei Siemens an einen fairen Wettbewerb geglaubt habe.“ Die Folgen habe nun Kleinfeld zu tragen, der falsch auf den Skandal reagiere. „Siemens ist nicht korrekt mit dem Thema umgegangen“, sagte Maget. „Die Heimlichtuerei ist keine gute Lösung. Sie nährt den Verdacht, dass da etwas vertuscht werden sollte.“

Bereits seit Mitte 2005 ermitteln auch die Schweizer Behörden gegen Siemens wegen des Verdachts der Geldwäsche. Aus Kreisen des Siemens-Aufsichtsrates verlautete am Donnerstag, das Kontrollgremium sei über den Verdacht auf Unregelmäßigkeiten im Geschäftsverkehr und über das laufende Strafverfahren in der Schweiz nicht informiert worden. Entweder habe der Vorstand es versäumt, dem zuständigen Prüfungsausschuss von den Vorgängen zu berichten, oder der Prüfungsausschuss habe seine Berichtspflicht gegenüber dem Aufsichtsrat nicht ernst genug genommen. „In beiden Fällen hätte das Kontrollsystem von Siemens versagt“, hieß es. Ein Siemens- Sprecher wies dies zurück. Der Vorstand sei Mitte Januar 2006 davon informiert worden „und ganz sicher auch der Prüfungsausschuss.“

Das Unternehmen hat es jedoch nicht für nötig gehalten, die deutschen Behörden einzuschalten. Dabei hatte Pierer bei seinem Abschied als Siemens-Chef auf der Hauptversammlung Anfang 2005 durchblicken lassen, dass der Konzern in Sachen Corporate Governance und Korruptionsbekämpfung Probleme habe und Mitarbeiter sich nicht gemäß den internen Vorschriften verhalten hätten. Am Donnerstag wollte Pierer sich auf Anfrage des Tagesspiegels nicht zu der Angelegenheit äußern: „Dafür ist der Vorstand zuständig.“

Kritik kommt auch aus der Corporate- Governance-Kommission. „200 Millionen Euro für schwarze Kassen“, sagte Kommissions-Mitglied Christian Strenger dem Handelsblatt, „das müsste im Präsidialausschuss oder im Prüfungsausschuss des Aufsichtsrates eigentlich aufgefallen sein.“ Für den FDP- Fraktionsvize Rainer Brüderle zeigen solche Vorgänge den Reformbedarf bei der Unternehmensverfassung. „Die Balance zwischen Unternehmensführung und Aufsichtsgremien stimmt vielfach nicht mehr. Man fragt sich, wie solche Summen unbemerkt versickern können“, sagte Brüderle dem Tagesspiegel. „Wir brauchen schlankere und effizientere Aufsichtsräte in den Konzernen.“

Aktionärsschützer forderten unterdessen den Rücktritt Pierers als Aufsichtsratschef, sollte er von den schwarzen Kassen gewusst haben. „Dann muss er die Konsequenzen ziehen“, sagte Klaus Schneider, Vorsitzender der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) dem Tagesspiegel. Das Grundübel sei, dass im internationalen Geschäft offenbar ohne Bestechung keine Aufträge mehr zu bekommen seien. „Dennoch muss ich als Aktionär davon ausgehen können, dass sich mein Unternehmen im Rahmen der Gesetze bewegt.“ Ähnlich äußerte sich Jürgen Kurz, Sprecher der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). „Sollte Pierer davon gewusst haben, und ist er nicht dagegen eingeschritten, hat er das System unterstützt. Dann muss er als Aufsichtsratsvorsitzender gehen.“

Die Reihe schlechter Nachrichten für Siemens reißt nicht ab. In Ungarn wurde ein früherer leitender Angestellter des Konzerns wegen des Verdachts auf Bestechung angeklagt. In der Schweiz erstattete die Siemens-Pensionskasse Anzeige gegen einen früheren Portfolio-Manager.

Nicole Huss[Corinna Visser], Daniel Rhee-Pienin

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