zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Alle Dämme gebrochen Der Mainzer Finanzwissenschaftler Rolf Peffekoven über

die Haushaltspolitik Hans Eichels

Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages hat in der vergangenen Woche das Ergebnis seiner Beratungen des Haushalts 2004 vorgelegt: Der geänderte Regierungsentwurf wird dem Bundestag zur zweiten und dritten Lesung zugeleitet.

Dabei wird offensichtlich, dass auch im Jahre 2004 mit einer deutlich höheren als der jetzt geplanten Nettokreditaufnahme zu rechnen ist. Von den Parlamentariern (auch von denen der Mehrheitsfraktionen) hätte man deshalb erwarten dürfen, dass sie den vorliegenden Regierungsentwurf zurückgewiesen und die Vorlage eines neuen realistischen Entwurfs verlangt hätten. Denn schon bei der Aufstellung des Haushaltsplans hat der Bundesminister der Finanzen den Grundsatz der Genauigkeit missachtet.

Danach sind im Haushaltsentwurf die zu erwartenden Einnahmen und die voraussichtlich zu leistenden Ausgaben zu erfassen (§ 8 Haushaltsgrundsätzegesetz). Beim Vollzug des Haushalts wird es zwar immer Abweichungen zwischen Soll und Ist geben. Das erklärt sich vor allem aus Risiken, die in den Prognosen über die wirtschaftliche Entwicklung liegen. Deshalb sieht das Budgetrecht auch vor, dass im Laufe des Haushaltsjahres über Haushaltssperren oder Nachtragshaushalte unvorhergesehenen Entwicklungen Rechnung getragen werden kann.

Was sich allerdings in der Haushaltspolitik der Regierung der letzten drei Jahre zeigt, hat mit dieser normalen Anpassung des Haushalts an veränderte Entwicklungen nichts mehr zu tun. Vielmehr ist auch bei der Haushaltsplanung 2004 eindeutig gegen den Grundsatz der Genauigkeit verstoßen worden, weil der Budgetplanung zu optimistische Einschätzungen der wirtschaftlichen Entwicklung zugrunde gelegt wurden. Damit wird der wahre Konsolidierungsbedarf verschleiert. Daran beteiligt sich nun auch noch die Mehrheit des Haushaltsausschusses.

Hinzu kommt, dass bei der Budgetplanung Maßnahmen berücksichtigt worden sind, die noch keineswegs Gesetzeskraft haben, sondern Gegenstand des soeben begonnenen Vermittlungsverfahrens sind. So zum Beispiel die Abschaffung der Eigenheimzulage, die Kürzung der Pendlerpauschale, das Vorziehen der dritten Entlastungsstufe der Steuerreform und deren Gegenfinanzierung. In dieser Situation hätte der Haushaltsausschuss seine Beratungen zumindest bis zum Abschluss des Vermittlungsverfahrens zurückstellen müssen.

Der Regierungsentwurf macht zudem deutlich, dass im Jahre 2004 die Nettokreditaufnahme (29,3 Milliarden Euro) erneut über den Investitionen (24,6 Milliarden Euro) liegt, also auch gegen das Grundgesetz verstoßen wird. Bereits bei Einbringung des Haushalts 2004 hatte der Bundesfinanzminister diese Überschreitung damit erklärt, sie sei zur Abwehr der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts geboten.

Angesichts von etwa 4,4 Millionen Arbeitslosen liegt eine solche Störung zwar sicher vor. Aber Finanzminister Eichel müsste schon im Einzelnen aufzeigen, warum er eine so deutliche Überziehung des in Artikel 115 des Grundgesetzes festgelegten Kreditrahmens für geeignet hält, die Probleme bei Wachstum und Beschäftigung zu lösen oder doch wenigstens zu entspannen. Schon der Bundeshaushalt 2003 hat eigentlich genau das Gegenteil bewiesen. Selbst eine Nettokreditaufnahme in Rekordhöhe hat nicht dazu beigetragen, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in Deutschland „abzuwehren“.

Dass eine Politik der Konsolidierung über Kürzung der öffentlichen Ausgaben zu mehr Wachstum und Beschäftigung führen kann, hat sich in vielen Ländern gezeigt. Noch vor drei Jahren hat das der Bundesfinanzminister auch selbst so gesehen. Das war die Begründung für seine „Finanzpolitik mit Leitplanken“. Inzwischen sind aber offenbar alle Dämme gegen die hohe Staatsverschuldung gebrochen: Das Budgetrecht, die Verfassung und der Stabilitäts- und Wachstumspakt werden von der Bundesregierung und den sie tragenden Parteien nicht mehr beachtet. Deshalb kann man es nur begrüßen, wenn nunmehr die EU-Kommission offenbar gegenüber Deutschland eine härtere Gangart einschlagen will.

Professor Dr. Rolf Peffekoven ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen. Foto: dpa

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false