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© dpa

Alle Jahre wieder: Gans im Glück

Gut fünf Millionen Gänse essen die Deutschen in jedem Herbst. Die meisten kommen tiefgefroren aus Polen und Ungarn, die besten werden aber auf deutschen Weiden groß.

Das Leben ist kurz. 16, vielleicht 22 Wochen, dann ist Schluss. In der kurzen Zeit hat sich die Gans ungefähr sieben Kilo angefressen. Geschlachtet, gerupft und ausgenommen bleiben fünf Kilo übrig. Das reicht für eine größere Familie. 5,3 Millionen Gänse landen in diesem Jahr in deutschen Bratröhren, und zwar in den paar Wochen zwischen dem Martinstag (11. November) und Weihnachten. Dieses Jahr ist der Braten besonders günstig. Im Schnitt kostet das Kilo der tiefgefrorenen Gans gut 2,80 Euro, das sind 2,20 Euro weniger als vor einem Jahr. Eine komplette Gans für nicht viel mehr als zehn Euro – fröhliche Weihnachten! Der Preissturz erklärt sich mit dem großen Angebot aus Osteuropa, polnische und ungarische Gänsemästereien haben den Markt geradezu überschwemmt. Auch mit Gänsen, die im vergangenen Jahr in den Tiefkühltruhen liegen geblieben waren.

Nur rund 800 000 der 5,3 Millionen Gänse sind in Deutschland aufgewachsen. Damit liegt der sogenannte Selbstversorgungsgrad bei gerade mal 15 Prozent. Obwohl das deutsche Tier zumeist keine Mastgans ist, sondern als Freilandgans eine andere Qualitätsstufe erreicht. Aber eben auch entsprechend mehr kostet. Das Kilo des frischen, nicht tiefgefrorenen Geflügels geht im Durchschnitt für zehn Euro über den Tresen. Eine „junge Weidenmastgans von den grünen Wiesen Oldenburgs“ kostet dieser Tage im KaDeWe sogar 16,98 Euro/Kilogramm.

Gerd Stratmann arbeitet für den Geflügelhof Nobis im Oldenburger Land. Dort, zwischen Bremen und Osnabrück, gibt es eine Geflügelindustrie mit Brütereien, Mastbetrieben und Schlachtereien. Bei Nobis werden im Jahr bis zu 50 000 Gänse groß. Schon einen Tag nach dem Schlüpfen kommt der Gössel, das Gänseküken, zum Mastbetrieb. Anfang April geht’s los mit der Aufzucht, im August kommen die letzten Gössel. Danach konzentrieren sich die Betriebe wieder auf Enten, Puten und Hühner, denn nach Weihnachten will keiner mehr Gans haben. Überhaupt macht die Gans nur einen kleinen Happen aus auf der Geflügeltafel der Deutschen: Knapp 19 Kilogramm Geflügel isst der statistische Durchschnittsmensch hierzulande, zumeist Hähnchen und Hühner; der Anteil der Gans liegt bei schmächtigen 300 Gramm, das entspricht gerade mal einer kleinen Gänsekeule.

Deutlich mehr als 300 Gramm verzehrt Nobis-Mitarbeiter Stratmann, dessen Frau jedes Jahr zum Martinstag und dann zu Weihnachten je eine Gans zubereitet. „Nur mit Pfeffer und Salz“, sagt Stratmann und erklärt die Qualität des Bratens weniger mit den Fertigkeiten der Köchin als mit der Aufzucht. „Die Weide und das Rupfverfahren sind entscheidend für den Geschmack.“ Nach den ersten sechs Lebenswochen im Stall, wenn das Federkleid robust genug ist, kommen die Tiere auf die Weide, die sie dann in den folgenden zehn Wochen kahl fressen. Doch das allein reicht nicht – zugefüttert wird ein Gemisch aus Getreide und Mais, damit die Gans schön fett wird. Aber nicht zu fett. Die Freilandgans bewegt sich; das Muskelfleisch ist ausgeprägter und zarter, das Fett heller als bei einem Tier, das nie den Stall verlassen hat. Jedenfalls nicht lebend.

Die gute Gans wird nach dem Schlachten trocken gerupft, „wie mit einem Staubsauger“, wie Stratmann sagt, „der die Federn wegzieht“. Bei der traditionellen Methode mit brühend heißem Wasser wird die Epidermis, die für den Geschmack wichtige Oberhaut der Gans, beschädigt. Nach dem Rupfen kommt die Gans ins Wachsbad, um auch die letzten kleinen Federchen zu entfernen. Die Federn, eine Gans trägt gut 250 Gramm, werden für ungefähr fünf Euro das Kilo an eine Bettfabrik verkauft. Damit die Daunen auch schön sauber bleiben, wird der Hals des Tieres idealerweise unterhalb der Zunge durchgeschnitten; die Gans blutet dann durch den Schnabel aus.

Gänse sind schlaue Tiere und nehmen bisweilen die Funktion eines Wachhundes wahr. Vor allem der Ganter, der lauter schreien kann als das weibliche Tier. „Er ist aber nicht schlauer“, sagt Gansexperte Stratmann. Und schmeckt auch nicht besser. Ein Ganter begattet ein halbes Dutzend Gänse, die gut 30 Eier legen. Kein schlechtes Geschäft: Für ein Küken zahlt der Mastbetrieb um die vier Euro. In diesem Jahr schlüpften in Deutschland gut eine Million Gänseküken, etwas mehr als 2008.

Das Ritual der Gans zum Martinstag hat einen mittelalterlichen Ursprung. In der französischen Stadt Tours sollte der Geistliche Martin zum Bischof geweiht werden. Der scheute sich jedoch, weil extrem bescheiden, und versteckte sich in einem Gänsestall. Die Tiere schnatterten dann aber so laut, dass Martin gefunden und geweiht wurde.

Der Martinstag, also der 11. November, war auch der traditionelle Tag des Zehnten, sozusagen Steuerzahltag. Bezahlt wurde auch in Naturalien, zum Beispiel mit Gänsen. Zumal man die Tiere nur schlecht über den Winter füttern konnte. Es hat sich also nicht viel verändert. Auch heute überlebt kaum eine Gans die Weihnachtstage.

Manche holt zuvor schon der Fuchs. Der ist ein großer Profiteur der Freilandhaltung; mit der Flinte und Weidezäunen unter Strom versuchen sich die Mäster zu wehren. „Doch es gibt nicht nur vierbeinige, sondern auch zweibeinige Füchse“, sagt Stratmann. „Das sind die Schlimmsten.“ Es kommt also nicht selten vor, dass sich Diebe in der Nacht ein paar Gänse von der Wiese holen. „Bei einem Kilopreis von zehn Euro kann man damit gut verdienen“, sagt Stratmann. Dass im Rudel Tiere fehlen, merken die Mäster am Verhalten der anderen Gänse. „Die Herde ist unruhig, die sind dann ganz anders“, hat der Nobis-Mann beobachtet.

„Es gibt ganz wenige Länder auf der Welt, wo Gänse eine Rolle spielen“, sagt Margit Beck, die in Bonn ein „Marktinfo Eier & Geflügel“ herausgibt. Sie erklärt das mit der christlichen Mythologie, also dem Martinstag. Margit Beck weiß so ziemlich alles über die Gans. Und vor allem über den Gänsemarkt. Zum Beispiel, dass nur gut vier Prozent aller Haushalte im vergangenen Jahr eine frische Gans verzehrten und knapp fünf Prozent eine tiefgefrorene. Ein Großteil der Gänse wird außer Haus verspeist: in Restaurants. Stefan Höhler, Einkaufsleiter beim Frischedienst Berlin, verkauft die meisten der 2000 Gänse, die sein Unternehmen in jedem Herbst vertreibt, an die Gastronomie. Natürlich nur Freilandgänse, die Höhler zufolge einen „Riesenunterschied“ ausmachen zu den tiefgefrorenen Mastprodukten aus Polen. Ein Test hat jüngst ergeben, dass eine Billiggans beim Braten bis zu 40 Prozent ihres Gewichts verliert, das auf der Wiese aufgewachsenen Federvieh aber nur 18 Prozent.

Der Frischedienst verkauft seine Gänse für 8,99 Euro/Kilo an die Hotels und Restaurants, der private Verbraucher muss vier Euro mehr zahlen. Die frische Gans hält sich ungefähr eine Woche, muss aber immer schön kühl lagern. Und den Preis findet der Händler völlig in Ordnung, schließlich „kriegt man vier bis fünf gute Esser satt“ mit einer 50 bis 60 Euro teuren Gans. „Aber da braucht man danach schon einen Underberg“, sagt Höhler. Denn eine Gans ganz ohne Fett – das gibt es nicht.

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