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Wirtschaft: Alle sind enttäuscht

Wirtschaft und Ökonomen geht Reformkompromiss nicht weit genug / Kein zusätzlicher Wachstumsimpuls

Berlin (brö/akz). Der Reformkompromiss im Vermittlungsausschuss wird die Konjunktur im kommenden Jahr kaum beflügeln. Führende Ökonomen und Wirtschaftsverbände erklärten, die Ergebnisse gingen zwar in die richtige Richtung, seien aber nicht ausreichend. „Das hätte man auch bleiben lassen können“, sagte Wolfgang Wiegard, Vorsitzender des Sachverständigenrates. An den Finanzmärkten war weniger die Berliner Politik als die Festnahme Saddam Husseins ein Thema – der Deutsche Aktienindex Dax erreichte zwischenzeitlich ein neues Jahreshoch.

„Der konjunkturelle Impuls wird nun deutlich geringer ausfallen, verglichen mit dem ursprünglichen Entwurf der Regierung“, sagte Wiegard dem Tagesspiegel. Die „Fünf Weisen“ hatten geschätzt, dass die Koalitionspläne 2004 für ein Wachstumsplus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 0,2 Prozentpunkten gesorgt hätten – von 1,5 auf 1,7 Prozent. „Dazu wird es nun nicht kommen“, sagte er. Die Steuerlast der Deutschen wird gemäß der Einigung um 15 Milliarden Euro sinken. Die Regierung hatte eine Entlastung um 22,8 Milliarden Euro angepeilt. Enttäuscht zeigte sich Wiegard vom Übereinkommen bei der Gewerbesteuer. „Damit kehren wir auf den Stand von vor eineinhalb Jahren zurück – eine traurige Geschichte“, resümierte er.

Auch Martin Hüfner, Chefvolkswirt der Hypo-Vereinsbank in München, glaubt nicht an eine Belebung der deutschen Wirtschaft. „Jede der Maßnahmen ist halbherzig. Und die geringere Steuerlast wird neutralisiert durch die höheren Belastungen, die es 2004 bei der Gesundheit oder bei der Rente geben wird“, sagte er. Hüfner befand, „dies kann nur ein Zwischenschritt zu einer großen Reform im kommenden Jahr sein“. Dafür plädierte auch Wiegard. „Die großen Parteien müssen sich auf eine grundlegende Reform und eine Vereinfachung des Steuersystems einigen, die 2005 in Kraft tritt.“ Zumindest einen „Schritt in die richtige Richtung“ erkannte Wolfgang Franz, ebenfalls Mitglied im Sachverständigenrat, in den Kompromissen. „Damit erkennen ausländische Investoren, dass sich der Reformstau hier zu Lande aufzulösen beginnt.“

Einzelhandels-Aktien verlieren

Auch die Wirtschaftsverbände sind unzufrieden. „Der Steuer-Kompromiss ist für große und mittelständische Unternehmen standortgefährdend“, urteilte Michael Rogowski, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Die Einführung einer Mindeststeuer sei eine „dauerhafte Steuererhöhung“ und werde die öffentlichen Haushalte noch teuer zu stehen kommen. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt nannte die Veränderungen beim Arbeitsmarkt, etwa beim Kündigungsschutz, „zu zögerlich“. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe werde sich als „verhängnisvoller Fehler“ herausstellen, da die Bundesanstalt für Arbeit zusätzliche Aufgaben erfüllen müsse.

Die Gewerkschaften sind mit anderen Punkten unzufrieden. Michael Sommer, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, kritisierte die Lockerung des Kündigungsschutzes, der in Zukunft nur noch für Firmen ab zehn statt ab fünf Mitarbeitern gelten soll. Dies bedeute, dass 5,3 Millionen Menschen keinen Kündigungsschutz mehr hätten.

An der Börse spielte die Einigung nur eine geringe Rolle. Der Dax schloss bei einem Plus von 0,4 Prozent auf 3875,47 Punkten. Zwischenzeitlich hatte er ein neues Jahreshoch bei 3930 Punkten erklommen. Vor allem Einzelhandelstitel wie Metro (minus 1,34 Prozent) standen unter Druck, da sich die Händler Hoffnung auf eine größere Entlastung der Konsumenten gemacht hatten. „Trotz allem werden die Steuersenkungen psychologische Auswirkungen haben“, sagte Markus Reinwald, Aktienstratege bei Helaba Trust.

Stärker im Fokus stand indes die Festnahme des irakischen Ex-Diktators Saddam Hussein. Die Aktie der Lufthansa erholte sich deutlich (plus 2,44 Prozent), weil die Händler auf eine Entspannung im Nahen Osten hoffen. Der Index der US-Standardwerte, der Dow Jones, stieg zunächst, drehte aber zum Handelsschluss leicht ins Minus. Die Festnahme Husseins werde sich aber nur kurzfristig auf die Aktienmärkte auswirken, meinte Reinwald. „Die Lage im Irak hat sich noch nicht beruhigt.“ Es sei nicht sicher, ob sich der für die Konjunktur und die Aktienmärkte wichtige Ölpreis trotz der Unwägbarkeiten erholen werde. Der Ölpreis hatte nach der Nachricht über die Festnahme deutlich nachgegeben – am Montagvormittag fiel er um 52 Cent auf 29,85 Dollar. Der Dollar verzeichnete am Vormittag zunächst den größten Wertzuwachs seit drei Wochen. „Die strukturellen Probleme werden den Dollar aber wieder nach unten ziehen“, vermutete Reinwald.

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