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Wirtschaft: „Alle sind geplättet“

Beinahe mit Gleichmut nehmen die Mitarbeiter von Bosch Solar in Arnstadt das Ende ihrer Produktion hin.

Erfurt/Arnstadt - Milchig scheint die Mittagssonne über dem Betriebsgelände von Bosch Solar im thüringischen Arnstadt. Zwanzig Autominuten von der Landeshauptstadt Erfurt entfernt befindet sich hier die Zentrale der Solarsparte des Stuttgarter Technologiekonzerns. Bosch will den erst vor wenigen Jahren gegründeten Bereich verkaufen oder Anfang 2014 dichtmachen. Der ruinöse Preiskampf vor allem mit chinesischen Konkurrenten fordert ein weiteres Opfer.

Die Sonne scheint an diesem Montagmittag, aber es weht ein eiskalter Wind. So ist auch die Stimmung unter den rund 1800 Beschäftigten. „Alle sind noch sehr geplättet“, sagt der Verbindungsmann zur IG Metall, Pierre Audehm. Er hofft, dass es bei der für den Nachmittag einberufenen Betriebsversammlung „richtig Bambule“ gibt. Man dürfe die Schließung nicht einfach hinnehmen. Sicherheitsleute laufen über den Parkplatz und verjagen ungebetene Gäste. Doch einen Aufschrei gab es bisher noch nicht in Thüringen, seit am vergangenen Freitag das Ende von Bosch Solar verkündet wurde. Ministerpräsidentin und Wirtschaftsminister wurden angeblich erst wenige Minuten vor der offiziellen Bekanntgabe über die Pläne in Kenntnis gesetzt. Sie reagierten enttäuscht, schließlich flossen vom Land Thüringen 25 Millionen Euro Fördergelder.

„Da soll in einem 1800-Mitarbeiter-Betrieb das Licht ausgeknipst werden und keiner zündet wenigstens mal eine Mülltonne an“, wundert sich ein Vertreter der IG Metall hinter vorgehaltener Hand. Widerstand sehe anders aus, meint er. Dabei sei der Verlust der Arbeitsplätze für Thüringen doppelt bitter, weil neben der Produktion auch Verwaltung und Forschung betroffen seien. Nach wie vor gibt es nur wenige Firmenzentralen in Ostdeutschland.

Der ausgedehnte Gebäudekomplex in Arnstadt wurde erst im Sommer 2010 eingeweiht. Zur Grundsteinlegung reiste auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an. Als im Herbst 2010 eine schweizerische Wirtschaftsdelegation den nagelneuen Betrieb besichtigte, staunten die Unternehmer über die Aufbruchstimmung. So etwas kenne sie sonst nur aus aufstrebenden Ländern wie China, sagte eine Firmenchefin.

Für Thüringen galt die Solarindustrie als Boombranche. Immerhin acht namhafte Hersteller hatten sich angesiedelt, dazu viele Firmen im Umfeld. Die Beschäftigtenzahl war bereits auf rund 5000 geklettert, eine Steigerung auf mehr als 10 000 schien möglich. Doch erst kam die Finanz- und Wirtschaftskrise, dann der Preisverfall der Solarmodule. Mittlerweile hat die Branche nur noch 3000 Mitarbeiter. Gingen auch bei Bosch Solar die Lichter aus, wäre das einer der größten Arbeitsplatzverluste in Thüringen seit 20 Jahren. „Der Produktionsstandort Deutschland und Europa ist hochgradig gefährdet“, urteilt Peter Frey von der Branchenvereinigung Solarinput. „Der Tunnel ist noch nicht durchschritten.“ Mit Standardprodukten hätten die hiesigen Hersteller keine Chance mehr. Sie müssten ihr Heil in „komplexen Systemprodukten“ suchen. Frey vermutet, dass Bosch eine derartige Umstellung geprüft und letztlich verworfen habe.

Die Landespolitik hat Bosch aufgefordert, auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. Das oberste Ziel, sagt der IG Metaller Audehm, sei der Erhalt der Modulherstellung. Als die Betriebsversammlung am späten Nachmittag zu Ende ist, gibt es keine neuen Erkenntnisse, wie es nun in Arnstadt weitergeht. Man habe, sagt Audehm, den Stuttgarter Konzern noch einmal an einen seiner Werte erinnert, wonach er lieber Geld als Vertrauen verliere. Die Stimmung unter den Mitarbeitern beschrieb er als „gespalten“. Jetzt gehe es darum, alle für gemeinsame Aktionen zu mobilisieren.

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