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Die deutsche Position: Bundesbank-Präsident Jens Weidmann (li.) und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Foto: Reuters

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Allein in Europa: EZB-Rat weiter gespalten über Kauf von Staatsanleihen

Der Fall Stark zeigt: Deutschland ist in der Euro-Krise isoliert. Bundesbankpräsident Jens Weidmann will seinen Kurs trotzdem halten.

Berlin/Frankfurt am Main – Es wird vorerst einsam für Jens Weidmann im Rat der Europäischen Zentralbank – nicht nur im übertragenen Sinne: Denn mit dem Rücktritt von Chef-Volkswirt Jürgen Stark bleibt bis auf weiteres einer der schwarzen Ledersessel neben dem Bundesbank-Präsidenten frei. Die Anordnung an dem runden Tisch ist alphabetisch gewählt. Starks designierter Nachfolger Jörg Asmussen wird also nicht neben seinem Studienfreund Weidmann sitzen. Aber weil der eine der letzte im Alphabet ist und der andere der erste, wird der EZB-Präsident in der neuen Sitzordnung genau zwischen ihnen sitzen. Die beiden werden auf Tuchfühlung mit ihm gehen, vor allem im übertragenen Sinne.

Denn die Deutschen stehen für eine einsame Position. Das gilt für Weidmann wie für seinen zurückgetretenen Vorgänger Axel Weber, und es gilt ebenso für Stark und Asmussen. Dass sich daran etwas ändert, ist auszuschließen. „Ich werde mich auch künftig im EZB-Rat für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik und die Unabhängigkeit der Notenbank einsetzen“, sagte Weidmann dem Tagesspiegel nach der Rückkehr vom Treffen der G-7-Finanzminister in Marseille. Stabilität und Unabhängigkeit: Das sind die Schlüsselbegriffe der deutschen Notenbanker, die allerdings auch die stärkste Volkswirtschaft im Rücken haben. Es ist die Tradition der Hüter der D-Mark, die sie in der Euro-Ära fortschreiben wollen.

Der Abgang von Stark trifft Weidmann daher empfindlich. „Ich bedaure seinen Rücktritt außerordentlich, aber ich respektiere seinen Schritt“, sagt Weidmann. „Er hat sich stets für die europäische Integration und einen klaren geldpolitischen Kurs in der Tradition der Bundesbank eingesetzt.“ Auch ohne Starks Rücktritt wären die nächsten Wochen spannend geworden: Die achtjährige Amtszeit des EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet endet in gut sieben Wochen, dann übernimmt Mario Draghi: ein allseits respektierter Notenbanker und Wissenschaftler, der aber als Italiener einen der besonders hoch verschuldeten Staaten vertritt.

Die nach der US-Notenbank Fed zweitwichtigste Zentralbank der Welt wird in diesen Wochen und Monaten durchgeschüttelt wie nie zuvor in ihrer knapp zwölfjährigen Geschichte. Offenbar wurden selbst die Kollegen Starks im sechsköpfigen Direktorium und im mit insgesamt 23 Notenbankern aus den 17 Euro-Ländern besetzten Rat völlig überrascht. Am Donnerstag noch hatte Trichet nach der turnusmäßigen Ratssitzung von einer einmütigen Entscheidung darüber gesprochen, die Leitzinsen angesichts der eingetrübten Wirtschaftsaussichten nicht anzuheben. Und Trichet hatte im Sinne Starks die Politik klar aufgefordert, die Maßnahmen zur Stützung der Krisenländer, vor allem aber ihre Sparpolitik voranzutreiben. Die Kritik vor allem der Deutschen am Ankauf von Staatsanleihen wies Trichet aber zurück.

Der Kauf von Staatsanleihen der Krisenländer stellt die EZB vor eine Zerreißprobe. Lesen Sie weiter auf Seite zwei.

Im Mai 2010 auf dem ersten Höhepunkt der Griechenlandkrise hatte die Notenbank – in offensichtlichem Widerspruch zu ihren Statuten – begonnen, Anleihen der Krisenländer zu kaufen, wohl vor allem griechische, irische und portugiesische im Volumen von rund 70 Milliarden Euro. Ein Ende des Programms deutete sich im Frühjahr an, aber als auch Italien taumelte, machte die EZB weiter: 55 Milliarden Euro gab sie allein im August für Staatsanleihen aus. Fast 130 Milliarden Euro stehen jetzt in ihren Büchern. Niemand weiß, wann und zu welchem Preis sie die Papiere wieder loswerden kann. Das Risiko liegt am Ende beim Steuerzahler. Denn fehlt das Geld, müssen die Euro-Staaten entsprechend ihrem Kapitalanteil einspringen. Auf Deutschland würde rund ein Fünftel entfallen.

Ohne dieses Eingreifen, dies haben Trichet und zuletzt auch Stark betont, wären die Finanzmärkte kollabiert. „Es ist die schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, und es hätte die schwerste Krise seit dem Ersten Weltkrieg werden können, wenn die Führung diese wichtige Entscheidung nicht getroffen hätte“, argumentierte Trichet. Aber Stark wollte, ähnlich wie im Januar Axel Weber, dieses Risiko nicht weiter fortschreiben. Dass nun auch Weidmann, früher der engste Wirtschaftsberater von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), vor dem Rücktritt stehen könnte, gilt in Finanz- und Regierungskreisen jedoch als ausgeschlossen. Weidmann sehe sich in der Pflicht, die Stabilitätsorientierung gegen alle Widerstände hochzuhalten, heißt es.

Vorerst bleibt der EZB-Rat also gespalten. Denn solange der europäische Rettungsfonds EFSF von den Regierungen und Parlamenten noch nicht autorisiert ist, den Kauf von Staatsanleihen zu übernehmen, wird sich die EZB damit kaum zurückhalten können. Die EZB hat in der Finanzkrise ihre Position verändert. Und absehbar wird sie das auch im Wortsinne tun: Im Osten Frankfurts, auf dem Gelände der ehemaligen Großmarkthalle, entstehen zwei Türme, die Ende 2013 fertig werden sollen. Jede Woche kommt eine Etage dazu, mittlerweile haben die Doppeltürme die Stockwerke neun und zehn erreicht. Mehr als 40 sollen es werden. Sicher ist, dass wenigstens die Architekten der neuen EZB-Zentrale keine Kompromisse bei der Stabilität machen.

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