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Gefährliche Formel. In Dänemark ist Bisphenol A in Produkten, die Kontakt mit Kindernahrung haben, verboten.

© Tsp/Bartel

Alltagsgift: Gift und Lobby: Der Streit um Bisphenol A

Bisphenol A ist allgegenwärtig. Die Chemikalie steckt in Kunststoffgeschirr, Lebensmittelverpackungen, CDs, Kassenquittungen, Babyflaschen, Zahnfüllungen. Das Gesundheitsrisiko ist ungeklärt. Nun gibt es Kritik an der Verquickung einer EU-Behörde mit Industrieinteressen.

Berlin - Bisphenol A, kurz BPA, ist der Grundstoff für Polycarbonat, einem der meist verwendeten Kunststoffe. Mehr als eine Million Tonnen der Chemikalie produzieren Europas Chemieunternehmen im Jahr. Aber trotz der weiten Verbreitung sind die gesundheitlichen Risiken, die mit der Verwendung von BPA einhergehen, bis heute nicht geklärt. Zahlreiche Wissenschaftler warnen, der Stoff könne auch in kleinster Dosierung bei Babys und Kleinkindern die Hirnentwicklung beeinträchtigen und bei Erwachsenen Diabetes fördern oder die männliche Fruchtbarkeit schädigen. Die Industrie und die zuständige Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) halten dagegen die im Alltag aufgenommen Mengen für so gering, dass sie keine Gefahr sehen.

Dieser schon seit Jahren geführte Streit erhält nun neue Nahrung. Recherchen des MDR ergaben, dass Mitarbeiter der in Parma in Italien angesiedelte EFSA eng mit der interessierten Industrie verbunden sind und sogar direkt für deren Verbände arbeiten. Die EFSA, meint darum Sarah Häuser, Chemieexpertin der Umweltorganisation BUND, sei „regelrecht unterwandert“. Die im September noch einmal bestätigte Entscheidung der Behörde zur Unbedenklichkeit von BPA zeige „deutlich, dass die interessierte Industrie dort mehr Gehör findet als unabhängige Forscher.“ Diesen Eindruck bestätigt auch Andreas Gies, Fachmann für Umweltchemikalien beim Umweltbundesamt (UBA). Die EFSA stütze sich fast ausschließlich auf Studien, die von der Industrie bezahlt seien und „die Finanzierung bestimmt das Ergebnis“, klagt Gies.

Für fragwürdig halten die Kritiker insbesondere die Verbindung der EFSA mit dem International Life Sciences Institute (ILSI), das weltweit Studien über Umwelt und Gesundheit erstellen lässt. Die Organisation finanziert sich überwiegend aus Beiträgen von Unternehmen der Chemie- und Lebensmittelbranche, darunter auch die Hersteller von BPA wie Bayer oder der US-Konzern Dow Chemical. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schloss darum schon 2006 das ILSI bei der Festlegung von Normen für die Belastung von Wasser und Nahrung aus. Das sehen die Verantwortlichen bei der EFSA nicht so eng. Umstritten ist etwa der Fall der ungarischen Wissenschaftlerin Diána Bánáti, die dem Verwaltungsrat der Behörde vorsteht. Dessen Hauptaufgabe ist die Besetzung der Expertengremien, deren Mitglieder die Empfehlungen für die Gesetzgebung ausarbeiten. Bánáti hat damit durchaus Einfluss auf deren Zusammensetzung. Das hinderte sie jedoch nicht, auch als Vorstandsmitglied beim Industrieinstitut ILSI zu arbeiten. Erst als der grüne EU-Abgeordnete José Bouvé jüngst diese Verquickung als unvereinbar mit der nötigen Unabhängigkeit der Behörde kritisierte, reichte Bánáti ihren Rücktritt ein – allerdings nicht bei der Behörde, sondern nur bei dem Lobbyverband. Daneben ist aber mit dem slowakischen Forscher Milan Kovac noch ein weiterer ILSI-Vorstand im Verwaltungsrat der EU-Behörde tätig.

Auch in den Expertengremien wirken Wissenschaftler mit, die parallel der Industrie zuarbeiten. So ist der britische Biochemiker Alan Raymon Boobis in führender Stellung bei ILSI tätig und bestimmt bei der EFSA mit über die Beurteilung von Pestizidrückständen. Und auch das Gremium, das über die Gefahren von BPA befindet, hat mit dem britischen Behördenexperten Laurence Castle ein Mitglied, das parallel für das Industrieinstitut tätig ist.

Ob derlei Verbindungen auch die Beurteilung von BPA beeinflusst haben, ist nicht zu belegen. Die EFSA und ihre Verwaltungsratschefin wollten dazu in dieser Woche keine Auskunft geben. Unabhängige Wissenschaftler wie der Toxikologe Gilbert Schönfelder von der Berliner Charité werfen ihren Kollegen bei der EFSA allerdings gravierende wissenschaftliche Fehler vor. BPA sei deshalb so problematisch, weil es ähnlich wirke wie das weibliche Hormon Östrogen und deshalb auch in winzigen Dosen Schaden anrichten könne, sagt Schönfelder. Insbesondere Babys und Kleinkinder seien gefährdet. Im Tierversuch sei nachgewiesen, dass BPA die Fruchtbarkeit mindern und das Erbgut verändern könne. Darum sei es „nicht akzeptabel“, dass die EFSA-Experten mehr als 80 Studien über BPA-Funde im menschlichen Blut aus der Bewertung ausschließen und so die tatsächliche Belastung im Alltag unterschätzen, klagt er. Zur Begründung heißt es in den EFSA-Gutachten, die Messungen seien ungenau und mit den bekannten Aufnahmepfaden nicht erklärbar – nach Meinung von Schönfelder eine unhaltbare Argumentation. „Wenn die Daten der Hypothese widersprechen, dann muss die Hypothese zurückgewiesen werden, nicht die Daten“, forderten er und vier weitere Toxikologen.

Angesichts solcher Widersprüche hat die dänische Aufsichtsbehörde darum jüngst die Notbremse gezogen. Seit Juli sind in Dänemark BPA-haltige Materialien für Produkte verboten, die Kontakt mit der Nahrung für Kinder bis drei Jahren haben. Auch Schweden und Österreich haben Verbote angekündigt. Darum kündigte jetzt auch der zuständige EU-Kommissar John Dalli eine Verordnung an, die zumindest für Babyflaschen die Verwendung von BPA-haltigem Kunststoff europaweit verbieten soll. Nach Meinung der Kritiker ist das jedoch nicht genug. Es sei nicht mehr auszuschließen, dass die Substanz auch in niedriger Dosierung Gesundheitsrisiken berge, mahnt UBA-Fachmann Gies. Darum gebiete es „das rechtlich vorgeschriebene Vorsorgeprinzip die Belastung insgesamt zu minimieren“. Aufgabe der EFSA wie auch der Bundesregierung sei es, dafür eine Strategie zu entwickeln. Dazu sei aber „der Meinungsbildungsprozess noch nicht abgeschlossen“, erklärte der Sprecher von Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU).

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