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Psssst! Zu Bonner Zeiten hatten die Wirtschaftsverbände großen Einfluss. In Berlin versuchen fast 2100 Organisationen, sich Gehör zu verschaffen.

© avatra/peter widmann

Am Ohr der Macht: Warum es Lobbyisten in Berlin immer schwerer haben

Immer mehr Interessengruppen kämpfen in der Hauptstadt um die Aufmerksamkeit der Politik. Mit ihren alten Lieblingsthemen Steuersenkung, Deregulierung oder Bürokratieabbau dringen die Verbände längst nicht mehr durch. Doch darin liegt auch eine Chance.

Irgendwann ging ihm das Gezerre in der Koalition nur noch auf die Nerven. Vor allem die ständigen Querschüsse des Wirtschaftsministers passten ihm, dem obersten Repräsentanten der Industrie, nicht in den Kram. „Ich brauche nur einmal zum Kanzler zu gehen“, tönte er in kleiner Runde, und die ganze Sache sei „endgültig vom Tableau“. Genau so kam es: Regierungschef Konrad Adenauer blies die geplante Aufwertung der D-Mark kurz darauf ab. Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, die treibende Kraft hinter dem Vorhaben, war düpiert. Fritz Berg, Drahtfabrikant aus dem Sauerland und selbstbewusster Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), hatte sich durchgesetzt, wieder einmal.

Das war 1960. Ein gutes halbes Jahrhundert später blicken Lobbyisten von heute mit Neid auf die Machtfülle der Männer von einst. Zwar gelten der BDI, der Arbeitgeberverband BDA, der Handwerksverband ZDH und der Kammerverbund DIHK als mächtige Spitzenverbände der Wirtschaft. Doch sie haben es ungleich schwerer als zu Bonner Zeiten, bei der Politik Gehör zu finden. Das werden auch die Herren lernen müssen, die demnächst in die Chefetagen der Organisationen einziehen: Ulrich Grillo (53) will sich übernächste Woche zum BDI-Präsidenten wählen lassen, Eric Schweitzer (47) aus Berlin rückt im März an die Spitze des DIHK. Auch bei BDA und ZDH werden in einem Jahr die Top-Posten neu besetzt.

Der Kampf um die Aufmerksamkeit der Entscheider wird ständig härter. Fast 2100 Interessengruppen sind beim Bundestag registriert – von der Arbeitsgemeinschaft der Rübenbauernverbände bis zum Zentralverband Naturdarm. Auch Anwaltskanzleien und Beratungsfirmen mischen mit. Obendrein haben BDI und Co. Konkurrenz aus dem eigenen Lager bekommen. „In Bonn hatte kaum ein Unternehmen ein Büro, nicht einmal Siemens“, erinnert sich Michael Fuchs, einst selbst Verbandsmanager und heute wirtschaftspolitischer Sprecher der Union im Bundestag. „Heute ist jeder größere Konzern in Berlin vertreten. Die gewachsene Zahl der Anliegen und Wünsche macht es für die Politik nicht einfacher.“ Denn Abgeordnete mögen es, abgestimmte Positionen der Wirtschaft auf den Tisch zu bekommen.

Doch angesichts der immer bunteren Interessenlage klappt das oft nicht. Wie bei der Energiewende, einem der wichtigsten aktuellen Themen. In den Reihen des BDI sitzen Stromproduzenten ebenso wie -verbraucher, Profiteure des Klimaschutzes ebenso wie Verlierer. Das zieht Abstimmungsprozesse in die Länge. „Ein Hühnerhaufen ist eine geordnete Veranstaltung dagegen“, ätzt ein Parlamentarier mit Blick auf das Auftreten des BDI. Grillo, der Neue, kennt das Problem. „Ich habe zumindest das Ziel, eine einheitliche Positionierung hinzubekommen“, sagt er zurückhaltend.

Immerhin übernimmt er ein geordnetes Haus. Noch im März 2011 hatte Chaos im Verband geherrscht, Hauptgeschäftsführer Werner Schnappauf (CSU) musste zurücktreten. Grund: Es war publik geworden, dass Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) das Atom-Moratorium nach Fukushima in einer internen BDI-Sitzung als Wahlkampfmanöver bezeichnet hatte. Schnappaufs Nachfolger Markus Kerber gilt in der Politik als kluger Kopf, der den Flurschaden rasch beseitigt und den Verband wieder hoffähig gemacht hat.

Platte Standortschelte von früher ist längst nicht mehr salonfähig

Psssst! Zu Bonner Zeiten hatten die Wirtschaftsverbände großen Einfluss. In Berlin versuchen fast 2100 Organisationen, sich Gehör zu verschaffen.
Psssst! Zu Bonner Zeiten hatten die Wirtschaftsverbände großen Einfluss. In Berlin versuchen fast 2100 Organisationen, sich Gehör zu verschaffen.

© avatra/peter widmann

In der Nachbarschaft knirscht es dagegen noch immer. Die BDA streitet angesichts der Streiks von Ärzten oder Lokführern seit Jahren für die Tarifeinheit, also dafür, dass pro Betrieb nur ein Tarifvertrag gelten soll. Per Gesetzesänderung wollte die BDA den größten Gewerkschaften im Unternehmen einen Vorrang einräumen – und das Streikrecht der kleineren beschränken. BDA-Chef Hundt hatte sogar zusammen mit Gewerkschaftsboss Michael Sommer einen Gesetzesvorschlag vorgelegt. Doch Hundt hatte auf das falsche Pferd gesetzt: Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi pfiff ihren Dachverband DGB zurück. Im Gedächtnis blieb vor allem eine herbe Schlappe der BDA-Spitze.

Ohnehin gilt der Verband unter den großen Vier als am wenigsten schlagkräftig. „Da wird oft holzschnittartig argumentiert“, sagt ein einflussreicher Vertreter der Konkurrenz. Nicht so bei den beiden übrigen. „Quirlig“ finde man in der Politik den ZDH – er schlug in den vergangenen Jahren beträchtliche Steuersubventionen für seine Klientel heraus. Der Rat des DIHK ist sogar international gefragt, seit das deutsche Lehrlingssystem als Vorbild gilt und helfen soll, die Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa zu bekämpfen.

Mit ihren alten Lieblingsthemen Steuersenkung, Deregulierung oder Bürokratieabbau dringen die Verbände längst nicht mehr durch. Denn Schwarz-Gelb, einst die Traumkoalition der Wirtschaft, ist vor allem mit sich selbst beschäftigt. Überdies ist die platte Standortschelte von früher längst nicht mehr salonfähig. Die Euro-Krise und der Fachkräftemangel sind neben der Energiewende die großen Fragen. „Da gibt es keine einfachen Lösungen, wenn wir da jeden Tag mit dem Hammer kommen, diskreditieren wir uns“, sagt ein Verbands-Insider.

Die neue Komplexität ist womöglich eine Chance für die Verbände. Zwar kehren die Zeiten, in denen sie im Bündnis für Arbeit und in der Hartz-Kommission an den großen Reformen mitschrauben durften, wohl nicht zurück. Doch ausgerechnet die SPD setzt auf ein neues Miteinander. „Komplexe Themen können Politik und Wirtschaft in den nächsten Jahren nur gemeinsam regeln“, sagt Fraktionsvize Hubertus Heil. „Hier ist der viel gescholtene deutsche Korporatismus wieder gefragt.“ Allerdings müsse man wegkommen von den „zahllosen Showgipfeln zu allen möglichen Themen, ob IT oder Klimaschutz“. Statt um „inszenierte Zusammenarbeit“ gehe es um dauerhafte Kooperation.

Mitarbeit: Alfons Frese, Moritz Döbler

Die wichtigsten Verbände im Überblick

Ulrich Grillo will sich übernächste Woche zum BDI-Präsidenten wählen lassen.
Ulrich Grillo will sich übernächste Woche zum BDI-Präsidenten wählen lassen.

© dapd

Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI)

„Fortschritt als Tradition“ ist das Motto der Duisburger Grillo-Werke. Der Chef des Metall- und Chemieunternehmens, Ulrich Grillo (53), wird in Zukunft den BDI führen. Er folgt auf Hans-Peter Keitel. Der BDI spricht für 38 Branchenverbände, in denen Unternehmen mit acht Millionen Beschäftigten organisiert sind, die meisten davon Mittelständler. So wie Grillo – seine Firma hat rund 1600 Mitarbeiter. Der BDI versucht, auf alle wirtschaftspolitischen Themen rund um die Industrie Einfluss zu nehmen – von der Globalisierung über die Energiewende bis zur Rohstoffversorgung.

Eric Schweitzer ist Chef der IHK Berlin.
Eric Schweitzer ist Chef der IHK Berlin.

© Kai-Uwe Heinrich

Deutscher Industrie- und Handelskammertag(DIHK)

Eric Schweitzer führt den Recyclingkonzern Alba und die IHK Berlin. Demnächst wird er auch noch den DIHK leiten. Dann spricht er für 3,6 Millionen Unternehmen, also die gesamte deutsche Wirtschaft. Sie sind per Gesetz verpflichtet, einer der 80 regionalen IHKs beizutreten. Sie sind nicht nur Interessenvertretung, sondern arbeiten auch bei der Aus- und Weiterbildung mit, helfen beim Export und beraten Firmengründer.

Otto Kenzler steht an der Spitze des ZDH.
Otto Kenzler steht an der Spitze des ZDH.

© dapd

Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH)

Das Handwerk ist „das Kernstück der deutschen Wirtschaft“, findet dessen oberste Lobby. Eine Million Betriebe mit 5,5 Millionen Handwerkern und Lehrlingen stehen hinter der Organisation und ihren Kammern, Fachverbänden und Innungen. Der Metallexperte Otto Kentzler führt den ZDH seit acht Jahren, bald wird die Diskussion um einen Nachfolger beginnen. Vorrangig kümmert sich der ZDH um Bürokratie, Steuern und Abgaben oder den Ausbildungsmarkt.

Dieter Hundt vertritt als BDA-Chef die Anliegen der Arbeitgeber.
Dieter Hundt vertritt als BDA-Chef die Anliegen der Arbeitgeber.

© Kai-Uwe Heinrich

Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)

Wenn es um Geld geht, kommt die BDA ins Spiel. Sie ist die Dachorganisation der Arbeitgeberverbände, die wiederum mit den Gewerkschaften über Geld und Arbeitsbedingungen verhandeln. In Fragen rund um die Sozialpolitik versucht die BDA, die Politik zu beeinflussen. Eine Million Firmen mit 20 Millionen Beschäftigten stehen hinter ihr. Präsident ist seit 1996 Dieter Hundt, Besitzer des Autozulieferers Allgaier Werke aus Baden-Württemberg. Er will 2013 abtreten. Eine Fusion von BDI und BDA, wie sie immer mal wieder Thema war, ist vorerst vom Tisch. „Wir haben vier Spitzenverbände, die alle ihre Rolle spielen und auch ihre Daseinsberechtigung haben“, sagt BDI-Mann Grillo.

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