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Wohnungsbau: An den Rändern wächst das Neue

Die Wohnungsmieten und -kaufpreise steigen deutlich. Großinvestoren und Baugemeinschaften beflügeln den Wohnungsneubau.

Ein Abend im September. Turgut Altug, grüner Direktkandidat im Wahlkreis rund um die Gitschiner Straße, hat zur Diskussion eingeladen. „Steigende Mieten stoppen – Keine Verdrängung – Kreuzberg für uns alle“ lautet das Thema. Seit 24 Jahren wohne ihre Familie in Kreuzberg, berichtet eine Studentin türkischer Herkunft, doch jetzt würden immer mehr Mieter „rausgeekelt“. „Die Mietenfrage“, berichtet die junge Frau, „beeinträchtigt mich und mein Umfeld extrem. Ich kenne viele Leute, die Kreuzberg zu dem gemacht haben, was es ist, die jetzt aber den Bezirk verlassen müssen.“

Ist das nur politische Stimmungsmache, die sich mit dem Ende des Wahlkampfs erledigt hat? Oder werden die Wohnungen in Kreuzberg tatsächlich teurer? Fragen wir Roman Heidrich, der als „Team Leader Residential Valuation Advisory Berlin“ beim internationalen Maklerunternehmen Jones Lang LaSalle (JLL) die Preisentwicklung von Wohnungen analysiert. In dieser Woche hat er neue Zahlen vorgelegt – und diese belegen, dass die Mieten in Kreuzberg tatsächlich in die Höhe schießen. Die Kreuzberger Wohnungen, die im ersten Halbjahr 2011 in Zeitungsinseraten und Internetportalen zur Miete angeboten wurden, waren demnach im Durchschnitt 13 Prozent teurer als im Vorjahreszeitraum. Zum Vergleich: Im Gesamtbezirk Friedrichshain-Kreuzberg betrug die Zunahme neun Prozent, in ganz Berlin 6,2 Prozent.

Am höchsten war die Steigerungsrate in den Postleitzahlbezirken 10961 (nördlich der Bergmannstraße) mit 16 Prozent und 10967 (Planufer/Graefekiez) mit 15 Prozent. Überraschend bescheiden fiel die Zunahme im Postleitzahlbezirk 10965 aus: In der besonders begehrten Gegend um Südstern und Chamissoplatz stiegen die Angebotsmieten laut JLL nur um fünf Prozent. „Hier ist die große Steigerung schon vorher passiert“, vermutet Roman Heidrich. Teurer wurden auch Kreuzberger Eigentumswohnungen – und zwar um nicht weniger als 22 Prozent. Im Berliner Durchschnitt zogen die Preise dagegen „nur“ um knapp zehn Prozent an. Heidrich macht allerdings darauf aufmerksam, dass diese Zahl weniger aussagekräftig ist als die Steigerungsrate bei den Mietwohnungen: Während sich die Qualität des Mietwohnungsbestandes binnen eines Jahres nicht entscheidend ändert, können im Eigentumsbereich schon wenige große Neubauprojekte mit teuren Wohnungen den Preisdurchschnitt in die Höhe treiben.

Projektentwickler und Investoren sind jedenfalls überzeugt, dass jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um in Kreuzberg tätig zu werden. So kündigt Henrik Thomsen, Leiter der CA Immo Berlin (ehemals Vivico), an, in der Flottwellstraße – also am Rand des neuen Gleisdreieck-Parks – gemeinsam mit einem Partnerunternehmen rund 250 Wohnungen zu errichten. Diese sollen zum Teil vermietet, zum Teil verkauft werden; Baubeginn wird im kommenden Jahr sein.

Bereits begonnen haben die Bauarbeiten im Karree zwischen Lindenstraße, Markgrafenstraße und Rudi-Dutschke- Straße. Hier errichtet die Land Union Gruppe mit einem Investitionsvolumen von knapp hundert Millionen Euro 282 Wohnungen. Der erste Bauabschnitt wird laut Lutz M. Strangemann, Geschäftsführer der Land Union Gruppe, Ende 2012 fertiggestellt sein. Die Wohnungen werden zwischen 40 und knapp 200 Quadratmeter groß sein. Auch Strangemann setzt auf eine Kombination aus Miet- und Eigentumswohnungen: Einen Teil der sieben Häuser will er im Bestand seines Unternehmens behalten und für eine Kaltmiete von etwa zwölf Euro vermieten; die restlichen Wohnungen veräußert Strangemann für 3300 bis 5000 Euro pro Quadratmeter an Einzelerwerber.

Das sind stolze Beträge für eine Lage, die zwar zentral ist, sich aber nicht in einem besonders attraktiven Umfeld befindet. „Vor vier oder fünf Jahren hätten wir an diesem Standort noch nicht über Wohnungsbau nachgedacht“, räumt Strangemann ein. „Mittlerweile ist die Nachfrage allerdings deutlich gestiegen.“ Viele wohlhabende Privatleute wollten ihr Geld sicher in Immobilien anlegen, und nicht wenige kauften sich einen Zweitwohnsitz in Berlin.

Beide Projekte zeigen: Wenn in Kreuzberg große Neubauten entstehen, dann in den Randgebieten. Das gilt auch für den Möckernkiez, den die gleichnamige Genossenschaft zwischen Yorck- und Möckernstraße und damit ebenfalls am Rand des Gleisdreieck-Parks errichten will. Das gemeinschaftsorientierte Projekt soll nach seiner Fertigstellung rund 400 Wohnungen umfassen.

Sogar die Bezirksgrenzen überschreiten müssen die Initiatoren des Stadtquartiers Friesenstraße: Das Areal zwischen Schwiebusser Straße, Friesenstraße und Columbiadamm schließt zwar unmittelbar an den Kiez um den Chamissoplatz an, gehört aber formal zum Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Das Grundstück sei ursprünglich eine Reservefläche für den Flughafen Tempelhof gewesen, erklärt die Stadtplanerin Barbara Rolfes-Poneß, die gemeinsam mit drei weiteren Gesellschaftern das Areal von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) erworben hat.

Die Gesellschaft um Rolfes-Poneß entwickelt das sogenannte Quartier Friesenstraße aber nicht selbst, sondern hat es in 15 Parzellen aufgeteilt. Auf diesen errichten jetzt hauptsächlich Baugemeinschaften Wohnhäuser – insgesamt 220 Wohnungen zu einem Durchschnittpreis von 2300 Euro pro Quadratmeter. Obwohl dafür nie Werbung gemacht wurde, sind längst alle vergeben – zum größten Teil an Menschen, die bereits in der Kreuzberger Umgebung wohnen.

„Das Projekt richtet sich ganz klar an die Nachbarschaft“, sagt Rolfes-Poneß. Die künftigen Bewohner des Quartiers Friesenstraße seien in den Kiez integriert, ihre Kinder besuchten hier die Schule und es handle sich um eine „sehr konstruktive, kreative Bewohnerschaft“. Das Quartier Friesenstraße, ist Rolfes-Poneß überzeugt, verdränge niemanden, sondern sei im Gegenteil ein „Stabilisierungsfaktor“.

Eine Möglichkeit hingegen gibt es doch noch, an diesem Standort eine Eigentumswohnung zu finden: Auf demselben Grundstück, an der Ecke zum Columbiadamm, realisiert die Projektentwicklungsgesellschaft Columbiadamm ein Bauträgerprojekt mit 30 Wohnungen zwischen 75 und 165 Quadratmetern. Sie kosten laut Geschäftsführer Ralf Horstkötter zwischen 2700 und 3500 Euro pro Quadratmeter und sind in die Gesamtplanung des Areals eingebunden – der „gemeinschaftliche Gedanke“, sagt Horstkötter, spielt also auch hier eine Rolle. Die Fertigstellung kündigt er für Ende 2012 an.

In der Entwicklung Kreuzbergs wird das Stadtquartier Friesenstraße/Columbiadamm nicht der letzte Schritt sein. Roman Heidrich von Jones Lang LaSalle jedenfalls erwartet, dass in den nächsten zwei bis drei Jahren die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen an Bedeutung gewinnen wird. Noch sei dies jedoch erst in Ansätzen zu beobachten: „Zunächst“, sagt Heidrich, „nehmen unsere Kunden die Mietsteigerung mit.“

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