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Kette

© dpa

An die Kette: Regeln für den Turbo-Kapitalismus

Der Staat muss die Finanzmärkte neu regeln – das ist die Lehre aus dem Immobiliendebakel. Doch wie? Ein ABC der Regulierung.

Die Bilanz nach mehr als einem Jahr Finanzkrise ist verheerend: 550 Milliarden Dollar sind allein in Amerika aus den Bilanzen verschwunden, die USA sind um 300 Milliarden Dollar ärmer, 300 Banken sind pleite, eine Rezession naht. Auch Deutschland ist getroffen – die Desaster bei Landesbanken und IKB dürften mehr als 15 Milliarden Euro gekostet haben. Ein Ende des Chaos ist nicht in Sicht. Kein Wunder, dass die Politik ein neues Lieblingsthema hat: die Regulierung der Finanzindustrie, die Eindämmung der globalen Turbo-Geldmaschine. „Es geht um eine neue Zivilisierung der Märkte“, sagt Finanzminister Peer Steinbrück (SPD).

Die erste Gelegenheit zum Diskurs, seit sich die Krise mit der Pleite der Bank Lehman Brothers dramatisch verschärft hat, ist das Treffen der G7-Staaten in Washington Mitte Oktober. Vorschläge liegen längst auf dem Tisch, sogar die Banken selbst haben Ideen ausgebrütet. Allein: Einigen konnten sich Europäer, Amerikaner und Asiaten noch auf keine der Regeln. Ohnehin, da sind sich Experten einig, garantieren selbst noch so ausgefeilte Vorschriften nicht, dass es in fünf oder zehn Jahren nicht wieder zum Crash kommt – dann mit ganz anderen Ursachen. „Wir lösen mit den Regulierungsmaßnahmen wieder einmal die vergangene Krise“, sagt Hans-Peter Burghof, Professor für Bankwirtschaft an der Universität Hohenheim. Diese Vorschläge werden derzeit diskutiert:

Aufsicht: Die Finanzmärkte kennen keine Grenzen. Jeden Tag schaufeln Banken, Investoren und Spekulanten Billionensummen um den Globus. Diese Entwicklung hat sich in den vergangenen 35 Jahren erheblich verstärkt. Doch die Aufsicht über Banken und Märkte ist eine nationale Aufgabe geblieben. Jedes Land hat eigene Regeln, eigene Behörden, die deren Einhaltung überwachen. In Deutschland sind dafür die Bundesbank und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht verantwortlich. Die Union fordert, die nationale Aufsicht in einer Hand zu bündeln, um Abstimmungsprobleme zu vermeiden. Noch lauter allerdings ist die Forderung von Politikern und Experten nach einer globalen Aufsicht. „Wir brauchen eine internationale Behörde, die überwacht, ob die nationalen Behörden nach den gleichen Maßstäben prüfen“, fordert der emeritierte Bankenprofessor Wolfgang Gerke. „Den globalen Problemen kann man nicht mit einer nationalen Aufsicht begegnen.“

Börsenumsatzsteuer:
Die Beteiligung des Staates an jeder Transaktion bremst den weltweiten Finanzwirbel – dieser These hängen vor allem linke Marktskeptiker an. Bei einem Steuersatz von einem oder zwei Promille würden sich die Händler dreimal überlegen, ob sich eine Spekulation rechnet – weil die Gewinnspanne entsprechend höher sein muss, damit sich das Risiko lohnt. In Deutschland gab es eine solche Steuer schon einmal – sie wurde 1991 abgeschafft.
Eng verwandt damit ist die Tobin-Steuer. Damit sollen die Spekulationen auf kurzfristige, grenzüberschreitende Währungsgeschäfte eingeschränkt werden – damit die Realwirtschaft und weniger die Finanzgeschäfte über den Kurs einer Währung bestimmen. Studien haben aber gezeigt, dass eine Tobin-Steuer die Schwankungsanfälligkeit der Märkte noch verstärken würde. Zudem wäre sie nur wirksam, wenn sie weltweit umgesetzt würde – was unrealistisch ist.

Eigenkapital:
Die derzeitige Krise zeigt, dass vielen Banken vor allem eins fehlt: Eigenkapital, mit dem sie in schwierigen Phasen Probleme abfedern können. Die Erkenntnis ist aber nicht neu. Bereits vor Jahren hat der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht schärfere Eigenkapitalrichtlinien erarbeitet, die unter der Bezeichnung „Basel II“ bekannt wurden. Im Kern geht es darum, dass Banken jeden Kredit, den sie vergeben, mit entsprechendem Eigenkapital decken müssen. So soll die Kapitalbasis der Institute gestärkt werden. In Deutschland müssen die Banken diese Regeln seit Anfang 2008 anwenden – die jetzige Krise begann aber spätestens Mitte 2007. Die USA sträuben sich gar noch immer gegen die Regelungen, obwohl sie zu den Initiatoren gehörten. „Das ist ein Regulierungsloch, das gestopft werden muss“, fordert der Hohenheimer Finanzprofessor Burghof. Bis die USA die Regelungen übernehmen, dürfte es noch dauern. Finanzminister Steinbrück hat bereits angekündigt, mit Verschärfungen zu warten, bis die aktuelle Krise vorüber ist. Zum jetzigen Zeitpunkt würden härtere Regeln die Banken nur noch tiefer in die Bredouille bringen.

Finanzinvestoren: Hedgefonds und Private-Equity-Unternehmen sollen unter Aufsicht gestellt werden. Mit ihren riskanten Geschäften und ihrem Renditehunger gelten sie als Antreiber der beschleunigten Finanzglobalisierung in den vergangenen Jahren. Staatliche Aufmerksamkeit wurde ihnen bislang kaum zuteil, weil sie ihren Sitz oft in Steuerparadiesen wie den Cayman-Inseln haben. „In den Hedgefonds schlummert Milliarden-Kapital, das bisher gar nicht kontrolliert wird. Das ist ein Fehler“, urteilt Bankenexperte Gerke. Er fordert, auch Hedgefonds international zu beaufsichtigen. In der Kritik stehen auch Private-Equity-Firmen, die so genannten Heuschrecken. Das EU-Parlament will die Debatte über die Regulierung nutzen, um den ungeliebten Investoren Grenzen zu setzen. Nötig seien Vorschriften, „die es Anlegern verbieten, Unternehmen auszuplündern“, formulierten die Abgeordneten jüngst in einem Antrag.

Hauskäufer: In den USA haben Hypothekenbanken jahrelang Kredite vergeben, ohne zu prüfen, ob die Schuldner das Geld auch zurückzahlen können. Viele dieser Kredite sind geplatzt, als die Zinsen stiegen und der Wert der Immobilien sank. Damit dies künftig nicht mehr passiert, müssten die Banken gezwungen werden, die Kreditwürdigkeit ihrer Kunden stärker zu prüfen. Auch die in den USA gängige Praxis, Immobilienkredite ohne jedes Eigenkapital des Kreditnehmers zu gewähren, ist in die Kritik geraten.

Kreditverkäufe: Mit den Krediten der US-Häuslebauer betrieben die Banken rund um den Globus einen florierenden Handel. Investmentbanken machten die Papiere handelbar und packten sie zu komplizierten Paketen mit sehr unterschiedlicher Risikostruktur. Die dabei verlorengegange Transparenz soll durch schärfere Spielregeln nun wiederhergestellt werden. So fordert die Bundesbank, die Risiken der Pakete müssten klar sein. Zudem soll es künftig nicht mehr möglich sein, Kredite vollständig weiterzuverkaufen – denn damit entledigt sich eine Bank des gesamtes Risikos. Wer den Kredit verpackt, muss mindestens zehn Prozent in den eigenen Büchern behalten, fordert die EU-Kommission. So soll sichergestellt werden, dass die Banken selbst auf eine vorsichtigere Kreditvergabe achten. Bereits in dieser Woche will die Brüsseler Behörde ihre Vorschläge präsentieren. Finanzminister Steinbrück geht sogar noch weiter. Er will sich beim Treffen der G7-Industrienationen für Regeln einsetzen, wonach die Institute bis zu 20 Prozent des Kredite behalten müssen.

Leerverkäufe: Die Finanzaufsichten mehrerer Länder, darunter Deutschland, haben Leerverkäufe von Finanzaktien bis zum Jahresende untersagt. So soll vermieden werden, dass Spekulanten die Kurse mit falschen Gerüchten, etwa über bevorstehende Pleiten, nach unten treiben. Bei Leerverkäufen wetten Anleger auf sinkende Kurse eines Unternehmenstitels, um davon zu profitieren. Sie vereinbaren einen Verkauf von Papieren, die sie noch gar nicht besitzen zu einem festgelegten Preis. Wenn der Kurs der Aktie wie erwartet fällt, decken sie sich günstig mit Papieren ein und machen so Gewinn. Vor allem Hedgefonds haben diese Methode in der Vergangenheit häufig genutzt. Daher wehrt sich die Branche heftig gegen ein Verbot, wie es etwa die Bundesregierung vorgeschlagen hat. Auch Experten sind dagegen. „Leerverkäufe allein lassen die Kurse nicht fallen“, sagt Bankexperte Burghof. „Wenn sie verboten werden, wird die Meinung der Marktteilnehmer nicht mehr widergespiegelt und die Aktien werden überwertet.“

Ratingagenturen: Moody’s, Fitch und Standard&Poor’s gelten vielen seit Ausbruch der Finanzkrise als Wurzel allen Übels. Sie bewerten die Bonität von Firmen und Finanzprodukten und beeinflussen damit deren Preis im internationalen System maßgeblich. Auch die schwer durchschaubaren Finanzpakete der US-Banken bekamen von ihnen reihenweise die Bestnote „AAA“ – obwohl selbst viele Banker zugeben, solche Hypothekenpapiere nicht mehr zu verstehen, geschweige denn beurteilen zu können. Umstritten ist auch, wie unabhängig die Agenturen sind, werden sie doch von denjenigen bezahlt, die später die Finanzprodukte verkaufen wollen. Schon auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Heiligendamm im vergangenen Jahr hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) versucht, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen – vergeblich. Jetzt wird darüber gesprochen, zunächst einmal eine einheitliche Aufsicht über die Ratingagenturen zu schaffen. Experten fordern auch, eine europäische Ratingagentur einzurichten.

Schattenbanken: Unbemerkt von der Öffentlichkeit und offenbar auch von der Aufsicht haben viele Banken in den vergangenen Jahren Zweckgesellschaften gegründet. Diese Firmen, zumeist im Ausland gemeldet, investierten in Kreditpapiere. Weil sie nicht in den Bilanzen der Banken erschienen, unterfütterten die Institute sie nicht mit dem nötigen Eigenkapital. So türmten verhältnismäßig kleine Häuser wie die Landesbank SachsenLB Milliardenrisiken auf, für die sie später gerade stehen mussten. Das soll nun nicht mehr möglich sein. „Wenn jemand eine Zweckgesellschaft gründet, muss das in der Bilanz erscheinen und entsprechend mit Eigenkapital unterlegt werden“, sagt Finanzexperte Burghof. In Deutschland ist dies bereits durch das Basel-II-Abkommen festgelegt. Für die USA gilt es nicht. Einige Experten fordern deshalb, Zweckgesellschaften außerhalb der Bilanz ganz zu verbieten.

TÜV für Finanzprodukte: Alles wird getestet, Autos, Butter, Pillen, Seife – nur Produkte für die Geldanlage kaum. Die Forderung, dass Sparbriefe, Fonds oder Versicherungen bestimmte Normen erfüllen müssen, bevor sie in den Verkauf kommen, stammt aus dem linken Lager, von Linkspartei und Globalisierungskritikern. Doch auch Angela Merkel hat sie sich zu eigen gemacht. Wo ein solches Gremium angesiedelt sein soll, ist offen.

Vergütung: Es war ein warmer Regen, der auf die Investmentbanker niederging. 2005 schütteten die Wall-Street-Banken 25,7 Milliarden Dollar als Boni aus, 2006 waren es 33,9 Milliarden, selbst in der beginnenden Krise ab 2007 waren es noch 33,2 Milliarden. Mehr als die Hälfte der Einnahmen ging so für Extra-Zahlungen drauf – ein starker Anreiz, obskure Finanzprodukte zu ersinnen, die schnelles Geld bringen. In der Krise findet das niemand mehr lustig. „Das amerikanische Volk ist ärgerlich wegen der Managervergütung, und das zu Recht“ – sagt ausgerechnet US-Finanzminister Henry Paulson, der selbst lange Zeit als Chef von Goldman Sachs Boni kassierte. Im Zuge des Rettungspakets sollen nun die Gehälter der Manager gedeckelt werden, deren Unternehmen der Staat beispringt.

Auch in Deutschland läuft die Debatte: Finanzmanager sollen stärker für riskante Geschäfte haften, fordert der Finanzminister. Die Linkspartei geht noch weiter – sie will die Manager bestrafen, die den Schaden angerichtet haben.

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