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Wirtschaft: An Feierabend ist nicht zu denken

Eine Studie über das Leben im Jahre 2050 – wenn 70-Jährige morgens zur Arbeit fahren müssen

Von Antje Sirleschtov

Berlin - Die zunehmende Überalterung der deutschen Gesellschaft und der daraus folgende demographische Wandel werden die öffentlichen Haushalte im Jahr 2050 unfinanzierbar machen. Davor warnte eine Studie des Berliner SPD-Finanzsenators Thilo Sarrazin und des Chefs des Forschungsinstituts Empirica, Ullrich Pfeiffer, im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Studie wurde am Mittwochabend in einer Diskussion mit Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) und dem CDU-Finanzexperten Friedrich Merz vorgestellt.

Das Fazit der Studie: Wenn die Deutschen den Sozialstaat weiter wie bisher im Schneckentempo reformieren, dann wird sich das Wohlstandsmodell Deutschland über kurz oder lang im Verteilungsstreit von Jung und Alt ganz auflösen. Schließlich wird die Überalterung Deutschland in einigen Jahren einholen und die Sozialsysteme heutiger Prägung unweigerlich in den Ruin führen.

Das Modell geht davon aus, dass die deutsche Wirtschaft im Schnitt pro Jahr um ein Prozent real wachsen wird, Angela Merkels Kopfpauschale bei der Krankenversicherung das Licht der Realität erblickt und der Bundeshaushalt nur noch eine einzige Aufgabe hat: Die Sicherung des Sozialausgleichs für Kranke, Arbeitslose und Rentner. Mal abgesehen von einigen wenigen Ausgaben für Verteidigung, Familie und Personal.

Es wird ein anderer Sozialstaat sein, den Sarrazin und Pfeiffer beschreiben, und von dem sie behaupten, seine Entstehung sei zwangsläufig: Weil Deutschland wegen der Überalterung alle Hände voll zu tun haben wird, das jährliche Wachstumsziel von einem Prozent überhaupt zu erreichen, wird man länger arbeiten und mehr lernen müssen. Der Staat wird die Nebenkosten für Arbeit bei 23 Prozent (heute 42) begrenzen müssen, faktisch wird niemand unter 69 in Rente gehen können, Schüler werden mit 18, Studenten mit 23 ihr Arbeitsleben beginnen. Und trotzdem wird das gesetzliche Rentenniveau auf 30 Prozent absinken, massive Studiengebühren werden die Lehrzeiten begrenzen, 50-Jährige werden eine zweite Karriere beginnen – und zwar mit weniger Nettoeinkommen als in der ersten. „Die Alterung“, sagen Pfeiffer und Sarrazin, „wird bei weitem schwieriger zu bewältigen sein als die Wiedervereinigung“.

Zustimmung bekamen Sarrazin und Pfeiffer am Mittwochabend von Finanzminister Eichel und dem Unionspolitiker Friedrich Merz. Eichel beurteilte das Papier zwar als „äußerst provozierend“, er räumte aber ein, er sei „mit vielen der vorgeschlagenen Maßnahmen einverstanden“. Insbesondere müsse die tatsächliche Arbeitszeit erhöht werden, und Studienzeiten verkürzt. Kritisch sehe er jedoch die stärkere Steuerfinanzierung der Sozialsysteme, vor allem das Gesundheitssystem eigne sich „am allerwenigsten zur Steuerfinanzierung“. Friedrich Merz dagegen findet, dass gerade die Diskussion um die Reform der Krankenversicherung „weiter gehen muss“. Deren Finanzierung müsse „vollständig vom Arbeitsverhältnis gelöst werden“.

Sarrazin blickt bei seiner Warnung ins Ausland: Andere europäische Länder hätten vor Jahren schon ihre Bildungs- und Familienpolitik radikal umgestellt, um den Weg bis 2050 sanfter zu gestalten. „Wir können das auch“, sagt der Berliner Senator, „wir müssen aber jetzt anfangen“. Bloß: Dafür dürfen sich die politischen Lager nicht noch einmal zehn Jahre gegenseitig paralysieren.

Sarrazin legte zudem als erster SPD-Spitzenpolitiker ein umfassendes, radikales Konzept zur Reform der Unternehmensbesteuerung vor. In einem Gastbeitrag für die „Süddeutsche Zeitung“ schlägt Sarrazin vor, in großem Stil Steuervergünstigungen zu streichen und im Gegenzug die Steuersätze für Konzerne zu senken. So will der Senator die Körperschaftsteuer von 25 auf 15 Prozent reduzieren. Dies ließe sich im Wesentlichen dadurch finanzieren, dass die Konzerne ihre Gewinne künftig wieder in Deutschland versteuerten.

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