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Besser nicht zurückschauen. Die Bahn hat ein Horrorjahr hinter sich und will sich künftig nur noch um eines kümmern: Kunden, Kunden, Kunden. Das ist jedenfalls die Devise des Vorstandsvorsitzenden Rüdiger Grube. Foto: Marcus Brandt/ddp

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Wirtschaft: An Kunden denken, vom Dax träumen Bahn-Chef Rüdiger Grube präsentiert

Er liebt sie, diese Zahlen, und könnte sie auch auswendig aufsagen. Die Tonnenkilometer, die Nettoverschuldung, die Investitionssumme.

Er liebt sie, diese Zahlen, und könnte sie auch auswendig aufsagen. Die Tonnenkilometer, die Nettoverschuldung, die Investitionssumme. An ihnen klammert er sich fest. Wecke man ihn morgens um drei, sagen seine Mitarbeiter, könne er herunterbeten, wie hoch die Stromrechnung der Bahn sei, wie viele Weichen und Ticketautomaten sie besitze. Deshalb ist dies für Rüdiger Grube ein Festtag. Er ist ein Mann der Zahlen, und auf der Bilanzpressekonferenz am Donnerstag erklärt er stolz, wie er sein Unternehmen durch die Wirtschaftskrise steuert. Es wird Geld verdient, während die Konkurrenz in den roten Zahlen steckt.

Es ist sein erster großer Rückblick als Chef des Riesenunternehmens, das dem Staat gehört. Und sein schwierigster Auftritt: Grube muss erklären, was er mit der Bahn vorhat. Bislang blieb nebulös bis widersprüchlich, für welchen Weg die Bahn 2010 steht, obwohl der 58-Jährige schon fast ein Jahr an der Spitze steht. Angekündigt hat er viel: Das „Brot-und-Butter- Geschäft“, der Güter- und Personenverkehr, soll besser funktionieren. Die Bahnhöfe sollen sauberer und sicherer werden, die Schulden von derzeit 15 Milliarden Euro sinken. Trotzdem will die Bahn investieren und im Ausland mitmischen.

Grube hat ein atemloses Jahr hinter sich. Da war nicht nur die tiefste Rezession seit 80 Jahren, die die Bahn zwang, jeden dritten Güterwaggon aufs Abstellgleis zu schieben und eisern zu sparen. Da war vor allem das Desaster um die Berliner S-Bahn, bei der ein ganzes Verkehrssystem wegen Pannen, Missmanagement und Schlamperei bei der Wartung zusammenbrach. Da war das Chaos um die ICEs, deren Achsen brüchig sind und deren Elektrik die Kälte nicht aushielt. Verspätungen und Zugausfälle brachten die Kunden zur Weißglut. Und da war die Datenaffäre. Über Jahre hatte das Management die Belegschaft bespitzeln lassen, E-Mails, Festplatten, sogar Bankkonten ausgespäht. Klima und Motivation der Bahner waren am Boden.

Hat die Bahn ein Problem, leidet auch Berlin. Der Konzern ist eines der wenigen Unternehmen von Gewicht in der Hauptstadt. Sie prägt die Stadt, an jeder Ecke gibt es einen Bahnhof, eine S-Bahn- Trasse, dazu Hochhäuser mit DB-Logo. 17 500 Menschen verdienen ihr Brot bei dem Staatskonzern, als Fahrdienstleiter, Lokführer, Wachmann, Wagenmeister, Putzfrau, Sekretärin, Sachbearbeiter.

Jetzt soll vieles besser werden. „Kunde, Kunde und noch mal Kunde“ ist die Losung, die Grube ausgibt. Reisende sollen bei Störungen besser informiert werden. Auf den Bahnsteigen, in den Betriebszentralen, beim Schneeräumdienst, überall ist mehr Personal geplant. „Sympathisch und bodenständig“ wolle man auftreten. Die neuen Leute muss er allerdings finden. Und an einer besseren Information der Kunden knobeln schon seit Jahren viele Arbeitsgruppen. „Das lässt sich nicht wie ein Lichtschalter an- und ausschalten“, räumt Grube ein.

Auch bei den Zügen ist Geduld nötig. Zwar laufen die Werkstätten überall im Land auf Hochtouren. Doch nicht vor 2013 werden alle ICEs mit neuen, stabilen Achsen ausgestattet sein. Solange wird Tag für Tag ein Dutzend Züge fehlen, so lange wird es Verspätungen geben, weil es an Reservezügen mangelt. Im Zuge der Sparpolitik für den Börsengang wurde der Wagenpark ausgedünnt.

Am mangelnden Einsatz Grubes liegt es nicht, dass die Bahn steht, wo sie steht. Mit vier, fünf Stunden Schlaf begnügt er sich, manchmal geht er noch um Mitternacht nach Besprechungen in sein Büro im 25. Stock am Potsdamer Platz. Die Führungsriege hat er ausgetauscht, mit Finanzchef Diethelm Sack nahm am Donnerstag der letzte Manager der Mehdorn- Ära seinen Hut. Selbst um Kleinigkeiten kümmert sich Grube. „Schreiben Sie mir eine E-Mail, dann regeln wir das“, ruft er Kunden zu, die von Problemen bei Ticketkauf oder Zugreise berichten.

Immer weiter, immer besser – das prägt Grubes Lebensweg, der kein Kind reicher Eltern ist. Nach der Ausbildung in Hamburg zum Flugzeugbauer studiert er an der Fachhochschule, wird Berufsschullehrer, promoviert, steigt zum Top- Manager auf. Erst beim Luftfahrtunternehmen Dasa, dann beim Autobauer Daimler und beim Rüstungsunternehmen EADS. Schließlich holt ihn Angela Merkel (CDU) zur Bahn.

Eigentlich sollte Grube eine Art Anti- Mehdorn sein. Über Jahre hatte sich sein Vorgänger unbeliebt gemacht, gelästert über müllende Kunden und „so genannte Verkehrsexperten“ in der Politik. Doch Grube tickt wie Mehdorn. Bei ihm hat er das Geschäft gelernt, war einst sein Büroleiter. Nur der Stil ist anders. „Wir haben das Verhältnis zur Politik auf eine völlig neue Grundlage gestellt“, sagte Grube. Und lobt bei jeder Gelegenheit den „hervorragenden Job“ der Belegschaft.

Grube entscheidet, wie es sein Vorgänger getan hätte. Die Bahn soll einer der fünf größten Verkehrskonzerne Europas sein, sagt er. Nach Italien, Südfrankreich, Dänemark und Polen sollen die Züge künftig fahren, eines Tages bis nach London. Zudem will Grube den britischen Bahn- und Busbetreiber Arriva übernehmen. „Wir werden uns nicht die Butter vom Brot nehmen lassen.“ Das wird teuer: Arriva ist an der Börse 1,6 Milliarden Euro wert, hinzukommen Schulden von einer Milliarde Euro. Womöglich kommt es zu einer Bieterschlacht: Auch die französische SNCF hat Interesse. Mit „Fifty-Fifty“ bewerten Leute, die sich mit den Verhandlungen auskennen, die Aussichten, auf der Insel zum Zuge zu kommen.

Klar ist: Die Bahn steht vor einem Spagat zwischen In- und Ausland. Der Chef lächelt das weg. „Wir müssen das eine tun und das andere nicht lassen.“ Obendrein ist für ihn das einst umstrittene Ziel, die Bahn an die Börse zu bringen, kein Tabu. „Wenn die Zeit da ist, werden wir die Option untersuchen.“ Er will vollenden, was im Herbst 2008 kurz vor dem geplanten Termin wegen der Finanzkrise abgeblasen werden musste. An Selbstbewusstsein fehlt es nicht. „Die Deutsche Bahn kann sich im Reigen der Dax-30- Konzerne mehr als sehen lassen“, sagt Grube, der einstige Daimler-Chrysler- Chefstratege unter Jürgen Schrempp. Noch, so die Sprachregelung, geben die internationalen Finanzmärkte aber keine Privatisierung her – dabei streben längst viele Firmen wieder an die Börse.

Die Politik verfolgt mit Skepsis, was sich bei ihrem wichtigsten Unternehmen tut. Ein Börsengang steht bei Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) nicht auf der Agenda. Er will vor allem, dass die Bahn zwischen Flensburg und Garmisch funktioniert, damit der Wähler nicht murrt. Einen „Neuanfang“ hat er dieser Tage verkündet, als er den neuen Aufsichtsratschef Utz-Hellmuth Felcht präsentierte, seinen alten Bekannten. Zusammen mit ihm will Ramsauer die Bahn an die kurze Leine nehmen. Täglich lässt er sich von Grube unterrichten. Einsame Entscheidungen im Bahn-Tower wie unter Mehdorn soll es nicht mehr geben.

Grube hat die Gefahr erkannt. Einmischungen mag er nicht. „Ich bin gekommen, das Unternehmen wirtschaftlich zu führen“, weist er den Versuch zurück, ihn schleichend zu entmachten. Die geliebten Zahlen, sie könnten leiden, entschieden am Ende das Verkehrsministerium oder das Kanzleramt über die Strategie. Das wäre das Schlimmste für Grube.

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