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Wirtschaft: Andere Länder, andere Rechte

Zum 1. Mai 2004 wird die EU zehn neue Mitglieder bekommen. Was Geschäftsleute beachten sollten

Auf eine neue Verfassung können sich die EU-Mitglieder derzeit zwar nicht einigen, Zuwachs werden sie aber dennoch bekommen. So viel steht fest: Am 1. Mai 2004 werden die Staaten Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, die Slowakei, Slowenien, die Tschechische Republik, Ungarn und Zypern der EU als Vollmitglieder beitreten. Das wird viele Unternehmen der jetzigen EU dazu veranlassen, ihre Geschäftskontakte dahin auszubauen. Wer allerdings glaubt, sowohl in den neuen als auch in den alten EU-Mitgliedstaaten auf ein einheitliches Recht zu treffen, erlebt unter Umständen eine Überraschung.

Viele deutsche Unternehmen betreiben bereits seit längerer Zeit in den Beitrittsländern erfolgreich Geschäfte. Dabei konnten sie gerade in den letzten drei bis fünf Jahren feststellen, dass die Gesetze dort zügig in Richtung westeuropäischer Standards weiter entwickelt wurden. Die Beitrittsländer orientierten sich zum einen an den bestehenden, zwingenden EU-Richtlinien, so weit zu dem jeweiligen Rechtsgebiet bereits eine EU-Richtlinie erlassen worden ist. Zum anderen richteten sie sich nach der Gesetzgebung der in der Europäischen Union besonders etablierten Rechtsordnungen. Deutschland und Frankreich spielten dabei sowohl als Leitbild als auch durch die Bereitstellung unzähliger Berater eine maßgebliche Rolle.

Tendenziell scheint sich dadurch abzuzeichnen, dass die zehn Beitrittsländer einen Schritt auf das „alte“ Europa zugegangen sind. Dennoch wird ein Unternehmer bei seinen Geschäften in Polen, Tschechien oder Ungarn sorgfältig recherchieren müssen, ob in Rechtsfragen Abweichungen vom heimischen Recht bestehen – genauso wie man dies tunlichst machen sollte, wenn man in Frankreich, den Niederlanden oder einem der anderen „alten“ EU-Mitgliedsländer geschäftlich tätig sein will.

So wurde zum Beispiel das Gesellschaftsrecht in vielen der mittel- und osteuropäischen Beitrittsländer streng am Vorbild der Bestimmungen zum deutschen GmbH- und Personengesellschaftsrecht entwickelt. Dennoch bestehen etwa in Polen zum Teil deutlich strengere Vorschriften bei der Gründung einer GmbH und der Durchführung von Gesellschafterversammlungen sowie der rechtlichen Wirksamkeit der von ihr gefassten Gesellschafterbeschlüsse als nach deutschem Recht. Demgegenüber liegt in den meisten Beitrittsländern das Mindestkapital, mit dem die GmbH bei ihrer Gründung auszustatten ist, deutlich unter dem, was nach deutschem Recht nötig ist: In Litauen sind es 2700 Euro, in Tschechien 6200 Euro, in Ungarn 12 300 Euro – in Deutschland 25 000 Euro. An die Ausstattung einer GmbH gibt es also äußerst unterschiedliche Anforderungen. Es ist deshalb dringend zu empfehlen, sich an die unterschiedlichen Anforderungen auch zu erinnern, wenn mit einer GmbH aus einem der Beitrittsländer eine Geschäftsbeziehung neu aufgebaut werden soll.

Unterschiedliche Regelungen bestehen auch im Hinblick auf den rechtlichen Status einer so genannten Ein-Mann-GmbH, bei der die Gesellschaft nur aus einem einzigen Gesellschafter besteht. Diese Gesellschaftsform erfreut sich vor allem bei Unternehmens-Neugründungen großer Beliebtheit. So darf etwa in Polen, der Slowakei oder Ungarn anders als in Deutschland eine Einpersonengesellschaft nicht Alleingründer beziehungsweise -gesellschafter einer weiteren Einpersonengesellschaft (GmbH oder AG) sein. Diese Bestimmungen sind auch bei grenzüberschreitenden Unternehmensverbindungen zu beachten. Damit darf eine Einpersonengesellschaft aus Deutschland nicht alleinige Gesellschafterin einer Einpersonengesellschaft aus Ungarn sein.

Erhebliche Unterschiede zu vielen neuen Ländern bestehen im Zivilprozess- und Zwangsvollstreckungsrecht. So wurde zum Beispiel in Estland das allgemeine Zivilprozessrecht nach eingehender Beratung durch deutsche Experten ganz eng an der Vorlage der deutschen Zivilprozessordnung fortentwickelt. Die Weiterentwicklung des dortigen Vollstreckungsrechts jedoch wurde am französischen Vorbild orientiert. Dies hat zur Folge, dass die Gerichtsvollzieher in Estland mit sehr viel mehr Befugnissen und Eingriffsmöglichkeiten als nach deutschem Recht ausgestattet sind. Sie haben beispielsweise - anders als ihre Berufskollegen in Deutschland - das Recht, über den jeweiligen Schuldner umfassende Informationen von Kreditanstalten, dem Zentralregister für Wertpapiere und dem Finanzamt einzuholen.

Einen nicht vereinheitlichten Bereich bilden auch weite Teile des Verwaltungsrechts, vor allem des Wirtschaftsverwaltungsrechts, das das Verhältnis eines unternehmerisch Tätigen mit den staatlichen Behörden regelt. Die Erteilung behördlicher Genehmigungen und Zulassungen sowie die Eingriffsverwaltung des Staates wird auch nach dem Beitritt zur EU zwischen den verschiedenen Beitrittsländern und den etablierten Mitgliedsländern erheblich differieren.

Zudem bestehen wesentliche Abweichungen des Verwaltungsprozessrechts einiger Beitrittsländer von der deutschen Verwaltungsgerichtsordnung. So kann etwa in Estland anders als in Deutschland von bestimmten Aufsichtsbehörden, die an sich gar nicht für die Bearbeitung des jeweiligen Falles zuständig sind, ein Protest gegen die Handlung einer Behörde beim Verwaltungsgericht erhoben werden. Damit können diese Aufsichtsbehörden die Rechtmäßigkeit zum Beispiel einer Gewerbe-Erlaubnis oder Baugenehmigung nachträglich gerichtlich überprüfen und sogar aufheben lassen.

Große Unterschiede bestehen auch im Steuerrecht der einzelnen Beitrittsländer. Hier wird der jeweilige Investor sein Rechtsproblem allerdings zunächst unter Hinzuziehung der jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen zu lösen versuchen.

Ungeachtet der bestehenden Unterschiede kann man davon ausgehen, dass die Vereinheitlichung des Rechts innerhalb der EU fortschreiten wird. Auf dem Weg dahin sollten Unternehmer jedoch vor einem Engagement sorgfältig darauf achten, welche Vorschriften aus dem jeweiligen nationalen Recht auf ihre Geschäftstätigkeiten Anwendung finden. Denn nach einer Vertragsunterzeichnung kann es für eine Korrektur von Versäumnissen zu spät sein.

Der Autor ist promovierter Rechtsanwalt in Berlin-Mitte, mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Internationales Vertragsrecht. Im Internet: www.anwaltskanzlei-rodegra.de.

Jürgen Rodegra

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