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Wirtschaft: Angst vor dem L-Wort

Die Finanzmärkte fürchten eine unkontrollierte Pleite. Die Amerikaner warnen, dies könne das System zu Fall bringen – wie einst bei Lehman Brothers

Berlin - Die Nervosität steigt. Finanzwerte wie die Commerzbank, die Allianz oder die Deutsche Bank mussten am Donnerstag an der Frankfurter Börse zeitweise wieder deutliche Abschläge hinnehmen. Den französischen Konkurrenten ging es nicht besser, auch sie standen wieder unter Druck. Von „einer gewissen Panik“ sei auf dem Parkett die Rede, sagte ein Händler, auch der Begriff „Lehman Brothers“ sei immer öfter zu hören. Eine Absicherung gegen eine Staatspleite Griechenlands wird immer teurer: Wer mittels einer Kreditausfallversicherung eine Anlagesumme von zehn Millionen vor dem Aus retten wollte, musste 1,85 Millionen Euro hinblättern. Kein Wunder, dass der Wechselkurs der Gemeinschaftswährung derzeit mit jedem Tag sinkt:  Um sieben Cent ging der Kurs zum Dollar zurück – innerhalb von nur zehn Tagen.

Die Unsicherheit über den Fortbestand der Regierung Papandreou und den Kurs der EU sorgt für heftiges Stirnrunzeln, an den Finanzmärkten ebenso wie in der Politik. Kein Wunder: In den vergangenen Tagen haben sich die Ereignisse regelrecht überschlagen. Anfang der Woche senkte die Rating-Agentur Standard&Poor`s die Bewertung Griechenlands gleich um drei Stufen auf Ramsch-Status. Die Pleite stehe quasi vor der Tür, und es sei nicht absehbar, wann und wie sich Athen aus eigener Kraft an den Finanzmärkten frisches Geld besorgen könne, urteilten die Bewerter – und sehen das Land unsolider als Ecuador.

Dies war zugleich eine Hiobsbotschaft für die Banken: Werden die griechischen Staatsanleihen in ihren Depots zumindest zum Teil wertlos, drohen Schleifspuren in den Bilanzen. Die Ratingagentur Moody’s warnte, der Zustand der französischen Großbanken BNP Paribas, Société Générale und Crédit Agricole gebe Anlass zur Sorge – alle drei sind mit hohen Summen oder sogar mit größeren Tochtergesellschaften in Griechenland engagiert.

Proteste und die mögliche Regierungskrise in Athen machten die Lage nicht einfacher. Der amerikanische Einlagensicherungsfonds FDIC warnte, die europäischen Banken könnten im schlimmsten Fall die Stabilität des gesamten Finanzsystems gefährden. Fonds-Chefin Sheila Bair sagte, sie sei tiefbesorgt wegen der Kreditqualität in einer Reihe von Ländern und des Engagements einiger Geldinstitute dort.

Dabei sind die Banken längst dabei, sich von griechischen Anleihen zu trennen. Die deutschen Institute hielten Ende April 2010 noch Werte von 16 Milliarden Euro, im Februar waren es nur noch gut 10 Milliarden. Sogar das größte griechische Privatinstitut bekommt kalte Füße: Die National Bank of Greece reduzierte ihre Bestände an heimischen Staatsanleihen um ein Viertel und hielt Ende März nur noch Titel über 13,2 Milliarden Euro, wie aus dem neuen Quartalsbericht hervorgeht. Genauso macht es auch die Landesbank Berlin (LBB): Ende Dezember steckten noch 519 Millionen Euro ihres Kapitals auf der griechischen Halbinsel, Anfang Juni war es mit 266 Millionen nur noch die Hälfte, wie LBB-Chef Johannes Evers am Donnerstag sagte.

Für die Finanzierung Griechenlands bedeutet das: Private Anleger spielen eine immer geringere Rolle. Während die Staaten Europas, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäische Zentralbank (EZB) dem Land unter die Arme griffen, stahlen sich die Finanzhäuser davon. Obwohl Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die deutschen Top-Banker vor einem Jahr gebeten hatte, ihr Engagement nicht zu reduzieren. „Was zählt eine solche Zusage, wenn die Anleger Druck machen?“, hieß es nun lakonisch in Branchenkreisen.

Die Lage wäre nicht so dramatisch, wäre die Rettung Griechenlands nicht so komplex und verworren. Die Bundesregierung hat gleich zwei massive Probleme: Ihre Idee, die privaten Anleger an den Lasten eines neuen Rettungspaketes zu beteiligen, ist in der Finanzszene und bei den europäischen Partnern bestenfalls unpopulär und birgt schlimmstenfalls das Risiko eines unkontrollierten Bankrotts. Daher wollen auch die meisten europäischen Partner davon bislang nichts wissen. Die FDP will aber unbedingt die Banken und Versicherungen im Boot haben – schon allein, um nach Monaten der innerparteilichen Führungskrise beim Wähler wieder punkten zu können. Erreicht Merkel ihr Ziel in der nächsten Woche nicht, könnten die Liberalen ihr die Gefolgschaft verweigern – die schwarz-gelbe Koalition stünde vor dem Ende.

Um das zu verhindern, suchen die Fachleute im Finanzministerium fieberhaft nach einem Weg, wie man die Privaten beteiligen kann. Die erste Idee von Minister Wolfgang Schäuble (CDU) hierzu stößt bei den Rating-Agenturen auf Skepsis. Demnach sollten die Investoren ihre aktuellen Anleihen gegen neue umtauschen und so Athen einen Zahlungsaufschub von sieben Jahren gewähren. Doch dies wäre kaum ein freiwilliger Akt – und könnte ein sogenanntes Kreditereignis auslösen. Das wäre gleichbedeutend mit einer Staatspleite; Kreditausfallversicherungen in Milliardenhöhe würden fällig, und der EZB wäre es verboten, die griechischen Banken weiter zu finanzieren.

Überhaupt, die EZB: Sie hat die vergangenen Tage genutzt, um sich klar von der Politik zu distanzieren. Weitere Lasten der Pleitekandidaten will sie auf keinen Fall in ihre Bücher nehmen, nachdem sie binnen eines Jahres Krisenanleihen in Höhe von 75 Milliarden Euro aufgekauft hat. Deshalb ist sie auch gegen die sogenannte sanfte Umschuldung – zumal diese auch für die EZB-Bilanz bedrohlich wäre.

Weil die Suche nach einem Weg, den alle Beteiligten akzeptieren können, so schwierig ist, spielt die EU nun auf Zeit. Zunächst einmal solle die Juli-Hilfszahlung fließen. Der Beschluss über ein zweites Milliardenpaket könnte dann erst im September fallen. Für die Finanzmärkte müsste es bis dahin ein Signal geben, dass an der Rettung kein Zweifel besteht – sonst gewinnt in den kommenden Tagen an den Märkten die Angst die Oberhand.

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