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Punk oder Normalo?

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Wirtschaft: Anpassen oder Anecken?

„Wir suchen Querdenker“, heißt es in vielen Stellenanzeigen. Die Realität sieht anders aus: Mitarbeitergespräche und Seminare sollen Angestellten die Eigenarten austreiben. Doch ist es ratsam, sich stets anzupassen?

Martin Meyer ist angespannt. Mit zu eng geschnürter Krawatte sitzt der junge Marketing-Manager von Schott Solar im Besprechungsraum, mit stierenden Augen schaut er geradeaus. Selbst wenn er aus dem Glas trinkt, wirken seine Bewegungen eckig. Er versucht, den bohrenden Fragen der beiden Personalberater standzuhalten. Sein Lächeln wirkt trotzig, fast wie eine Kampfansage. „Wo sehen Sie sich in den nächsten Jahren?“, fragt eine Frau mit schulterlangen braunen Haaren. „Ich strebe im Marketing schon eine Position mit Führungsverantwortung an“, sagt Meyer. Alle Fragen beantwortet er so, wie es Handbücher für einen erfolgreichen Karrierestart empfehlen: „Ich arbeite gerne im Team und suche immer nach einer Win-Win-Situation.“ Seine Schwächen? „Ich bin sehr ehrgeizig und manchmal sogar etwas verbissen. Ich könnte durchaus manchmal ein wenig lockerer sein dabei.“

Nach zwei Stunden endet das Verhör, eine so genannte Potenzialanalyse. Kurz darauf gibt die Personalberaterin ihr Feedback: „Sie sollten an ihren empathischen Fähigkeiten arbeiten“, rät sie. „Sie müssen aufpassen, dass Sie nicht zum Perfektionisten werden.“ Weniger kontrolliert, dafür etwas entspannter wünscht man sich Meyer bei Schott Solar.

Es ist eine Szene aus dem Dokumentarfilm „Work hard, play hard“. In beklemmenden Alltagsszenen aus deutschen Unternehmen zeigt Regisseurin Carmen Losmann, mit welchen Methoden inzwischen viele Firmen und Konzerne versuchen, die „Ressource Mensch“ zu optimieren. Microsoft, Telekom, Tchibo, Unilever – nahezu alle großen Unternehmen in Deutschland investieren mittlerweile hohe Summen in die persönliche Weiterentwicklung ihrer Mitarbeiter. Unter externen Karriereberatern stößt dieser Anpassungsdruck vielfach auf Kritik: Die Angestellten werden in Potenzialanalysen geschickt, besuchen Coaching-Seminare und führen mit ihren Chefs Feedback-Gespräche. So wird an den vermeintlichen Schwächen der Mitarbeiter gefeilt: Der Chaot soll sich besser organisieren, der Strukturierte kreativer sein, der vorlaute Querdenker sich zurücknehmen.

Hört man sich unter Personalern großer deutscher Unternehmen um, ergibt sich ein langer Regelkanon für das Verhalten der Mitarbeiter am Arbeitsplatz. Darunter solche Vorgaben: Hierarchien zu übergehen ist verboten. Der Chef ist Chef – das muss immer eingehalten werden. Grundsätzlich gilt laut Kanon: Im Berufsalltag müsse man persönliche Macken abstellen, wenn andere Kollegen darunter leiden. Unangebracht sei es auch, sich beim Feedback sofort zu rechtfertigen. Kritische Anmerkungen sollen erst einmal angenommen und reflektiert werden. Jeder könne dann für sich entscheiden, ob er die Schwäche erkennt oder das Feedback für subjektiv und unzutreffend hält.

Was zunächst überraschen mag: Unter Nachwuchskräften findet die Aufforderung, an sich selbst zu arbeiten, häufig Anklang. „Sie fordern Feedback ein“, sagt Christoph Fellinger, Personalreferent bei Beiersdorf. „Besonders junge Mitarbeiter brauchen Freiräume und gleichzeitig Orientierung.“ Deshalb durchlaufen die Trainees im Unternehmen bis zu zehn Feedback-Runden während ihres 18-monatigen Programms.

So auch Till Steinmaier: Als er nach dem BWL-Studium bei Beiersdorf einstieg, hatte er ein klares Ziel: zu zeigen, was er kann. „Du sprühst vor Energie, aber ab und zu wirkst Du zu selbstbewusst. Das können andere falsch auffassen“, sagte ihm einmal sein Chef. Steinmaier war überrascht. „Mir war gar nicht bewusst, dass ich so wirke“, erklärt der 28-Jährige. Er beschloss, noch stärker auf seine Wirkung zu achten. Denn den Ruf, überheblich und rastlos zu sein, wollte er gar nicht erst entstehen lassen. „Inzwischen renne ich nicht mehr über die Flure zur Team-Sitzung“, bemerkt er augenzwinkernd. Für Steinmaier ein Schritt zu mehr Professionalität. Doch ist es überhaupt ratsam, sich stets folgsam der Kritik der Vorgesetzten unterzuordnen und den Erwartungen zu folgen?

„Diese ständige Anpassung geht viel zu weit“, findet Karriere-Beraterin Elisabeth Strack. Sie warnt davor, das eigene Verhalten immer danach auszurichten, was die Kollegen sagen. Wer Führungsverantwortung entwickeln will, dürfe sich nicht immer nur anpassen, sondern müsse authentisch bleiben. „Es ist wichtig, Rückgrat zu beweisen und seine eigene Meinung zu vertreten“, erklärt sie. Vor allem wenn es um Sachfragen gehe, könne man punkten, indem man den Vorgesetzten mit guten Argumenten überzeuge. Strack weiß von vielen Beispielen zu berichten, in denen junge Manager Erfolg hatten, gerade weil sie auch mal angeeckt sind. Die erzählt sie ihren Klienten, um ihnen Mut zu machen.

Nur haben längst nicht alle Nachwuchskräfte damit Erfolg. Längst nicht jeder Chef duldet es, wenn Entscheidungen von Mitarbeitern infrage gestellt werden. Ob Querdenker, die nicht konform gehen, belohnt oder bestraft werden, hängt entscheidend von der jeweiligen Unternehmenskultur ab. Das bestätigt auch die Studie „Erfolgsfaktor Innovationskultur“ 2011 der Beratungsfirma Ideeologen . Die Befragung von 200 Managern ergab, dass nur 28 Prozent der Führungskräfte Querdenker einstellen wollen.

„Solche Mitarbeiter hinterfragen eben vieles, was aus Sicht des Unternehmens als gesetzt gilt“, erklärt Jens-Uwe Meyer, Geschäftsführer von Ideeologen. Annahmen über Kundenvorlieben zum Beispiel oder bestehende Strukturen und Abläufe. Zudem bringen Querköpfe oft Unruhe ins Team. „Weil das unangenehm ist, belohnen Führungskräfte häufig eher Mitarbeiter, die sich anpassen.“ Solche Beobachtungen machte auch Christian Schuster, 38, während seiner Zeit als Projektmanager bei Bertelsmann und später bei Amazon: „Sicher fühlten sich Vorgesetzte gelegentlich bedroht, witterten manchmal auch Konkurrenz, wenn Kollegen aus dem Team ihre Entscheidungen hinterfragten“, erzählt der inzwischen selbstständige Unternehmensberater.

Doch, wer gewohnt ist, seine Meinung zu äußern, wird mittelfristig resignieren, wenn genau das am Arbeitsplatz nicht möglich ist. Das Nachsehen haben aber auch die Führungskräfte: Hören ihre Mitarbeiter auf, Kritik zu üben, erstickt mit der Zeit die Identifikation mit dem Arbeitgeber und schließlich auch die Innovationskraft. Zudem läuft das Management Gefahr, Fehlentscheidungen zu treffen, wenn es nur von Jasagern umgeben ist.

Erste Konzerne, etwa Vorwerk und Beiersdorf, haben daher begonnen, gegenzusteuern: Mit einer relativ neuen Befragungsmethode, 360-Grad-Feedback genannt, wollen sie Meinungen von allen Seiten einholen und besonders auch den Mitarbeitern die Chance geben, ihre Vorgesetzten anonym zu kritisieren. Ohne Kritik, so der Hintergedanke, ist es nicht möglich, zu lernen. Das gilt für Management wie für Fachkräfte. Der Münchner Karriere-Berater Walter Feichtner rät daher, Feedback-Gespräche als Chance zur Weiterentwicklung zu betrachten, Verbesserungsvorschläge jedoch auch mit einer gesunden Distanz zu sehen. „Das Wichtigste ist, sich nicht allzu sehr von Lob und Tadel abhängig zu machen“, sagt Feichtner. Die Balance ist entscheidend: Rückgrat entwickeln, ohne abzustumpfen. (HB)

Ina Brzoska, Xenia von Polier

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