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Wirtschaft: „Ans Ausscheiden dürfen wir nicht denken“

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt über die Bedeutung der WM für die Wirtschaft, die Chancen der deutschen Mannschaft und seine Finalteilnahme

Herr Hundt, ein Vertreter der Bundesregierung meinte kürzlich, bei der WM stehe „viel auf dem Spiel für unser Land“. Ist die Lage so ernst?

Ich stimme der Einschätzung zu. Es geht dabei aber um die Präsentation unseres Landes gegenüber den Gästen aus aller Welt und weniger um das sportliche Abschneiden.

Sind wir ein guter Gastgeber?

Ich bin sehr optimistisch. Wenn ich das erste Event aus der vergangenen Woche zum Maßstab nehme, bin ich sogar davon überzeugt, dass wir ein guter Gastgeber sein werden.

Was für ein Event?

Das Eintreffen der Mannschaft von Togo in Baden-Württemberg mit Bezug des Quartiers in Wangen im Allgäu. Das hatte geradezu den Charakter eines Volksfestes. Es besteht also bereits jetzt eine tolle Begeisterung und positive Ausstrahlung, die hoffentlich auch jedes andere Team zu spüren bekommen wird.

Und was bekommen die Fernsehzuschauer in aller Welt von Deutschland mit?

Ich hoffe, dass sie geschmückte Städte, fröhliche Menschen, tolle Kneipen – ein offenes Land mit guter Stimmung erleben. Alles in allem stellt sich Deutschland derzeit positiv und optimistisch dar, obwohl die Medienberichte über die Stimmung in der Wirtschaft nach meiner Beobachtung derzeit teilweise positiver sind als die tatsächliche Lage.

Es gibt rechtsradikal motivierte Angriffe auf Dunkelhäutige.

Die gibt es leider und derartige Taten sind im höchsten Maße verabscheuungswürdig! Es gibt beispielsweise auch Probleme in Schulen, aber ich halte es für unzulässig, diese zu verallgemeinern. Wir werden zeigen, dass viele Immigranten in unserem Land leben und dass die Integration funktioniert. Alles in allem gehören Ausländer und Deutsche mit Migrationshintergrund ganz selbstverständlich zu unserem Land.

Ist inzwischen klarer, inwieweit die Wirtschaft von der WM profitiert?

Der qualitative Einfluss auf das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung ist nicht beträchtlich. Selbstverständlich profitieren die Gastronomie, der Fremdenverkehr und die Sportartikelbranche. In den volkswirtschaftlichen Kennzahlen wird sich das aber nicht nennenswert niederschlagen.

Also würde ein frühes Ausscheiden des Gastgebers das Land und seine Wirtschaft auch nicht in die Depression stürzen?

Die deutsche Mannschaft wird die Vorrunde überstehen – ich bin ganz sicher. Dann entsteht eine positive Gesamtstimmung, eine Euphorie, welche die Mannschaft weiter trägt. Dieser positive Kick in der gesamten Bevölkerung wirkt sich auch auf die deutsche Wirtschaft aus.

Der größte Optimist ist der Bundestrainer. Hat Klinsmann nicht längst die Realität aus den Augen verloren, wenn er immer noch vom Titelgewinn spricht?

Klinsi ist ein Motor für die Schaffung einer positiven Stimmung. Er ist von Haus aus, in einem für einen Schwaben ungewöhnlichen Ausmaß, ein Sonnyboy. In Kalifornien hat sich dies weiterentwickelt, und wir werden erleben, dass die Mannschaft und das ganze Land davon profitieren.

Macht er nur gute Stimmung oder auch einen guten Job?

Er nimmt auf etablierte Strukturen und Personen keine Rücksicht und geht seinen geraden Weg. Das imponiert mir. Jürgen Klinsmann hat sich ein anspruchsvolles Ziel gesetzt und steht dazu, auch heute noch. Damit trägt er auch ein gewaltiges Risiko. Alles in allem ist das eine Verhaltensweise, die mir gefällt und uns Deutschen mehr zu eigen sein sollte.

Der Feuilletonist Platthaus beschreibt die Zusammenhänge des deutschen Scheiterns so: „Das lange bewunderte Sozialsystem kastriert sich, die lange beneidete Wirtschaft ruiniert sich, die langweilige Nationalmannschaft blamiert sich.“

Den Fall des Ausscheidens in der Vorrunde schließe ich aus. Daran dürfen wir nicht denken. Wenn dieser sportliche Gau passiert, bekäme Deutschland vernichtende Kritik und Häme aus aller Welt. Aber nochmal: Das passiert nicht. Wir schaffen in der Bevölkerung eine Stimmung, die uns über zwei, drei Runden trägt.

Auch ohne Oliver Kahn, den Helden der letzten WM im Tor?

Kahn ist auf der Linie einer der weltbesten Torleute. Aber bei unserer jungen Hintermannschaft ist es vorteilhaft, einen Torwart zu haben, der mitspielt. Dafür ist Lehmann der bessere.

Und mit Spielern wie Hitzlsperger, Odonkor und Hanke stürmen wir ins Finale?

Klinsmann baut offenbar auch auf Überraschungsmomente. Das ist eine gute Ergänzung des etablierten Kerns der Nationalspieler.

Wer bildet den Kern?

Vorne Klose und Podolski. Schweinsteiger, Schneider und Ballack im Mittelfeld, Hitzlesberger vor der Abwehr, hinten Lahm, Mertesacker und Huth.

Und das reicht gegen die Südamerikaner?

Mein Favorit ist Brasilien. Vom spielerischen Vermögen her ist diese Mannschaft einmalig. Ich habe kürzlich Madrid gegen Barcelona gesehen. Es scheint, als ob Ronaldinho nicht mit der Sohle auf dem Rasen läuft, sondern noch ein Luftkissen dazwischen hat. So einen Spieler haben wir nicht. Ich bin aber trotzdem optimistisch, dass Klinsi mit seiner Truppe und der positiven Einstellung der Fans und der Medien weit kommt.

Die Fifa nimmt mit dieser WM mehr als zwei Milliarden Euro ein. Wo führt das noch hin? Wie passt der Kleine-Leute-Sport Fußball mit dem Big Business des Joseph Blatters zusammen?

Die finanzielle Seite hat in der Tat fast unvorstellbare Dimensionen angenommen. Diese Entwicklung wird weitergehen. Der Fußball weist eine enorme Breite der Interessierten, der Fans aus. Das Ereignis hat für Menschen mit hohen Einkommen in der VIP-Lounge die gleiche Bedeutung wie für den „kleinen Mann“ zu Hause vor dem Fernseher. Das macht die Faszination dieses Sports aus.

Haben Sie eine Erklärung dafür?

Fußball ist ein einfaches Spiel, das jeder versteht und ausüben kann. Jedes kleine Kind hat das natürliche Bedürfnis gegen einen Ball zu treten. Es ist darüber hinaus ein Sport, der mit nur geringen Kosten verbunden ist. Daraus resultiert die weltumfassende Faszination dieses Sports und seines größten Ereignisses, der WM.

Dieses Ereignis gehört der Fifa, die nach schweizerischem Vereinsrecht organisiert ist, so gut wie keine Steuern zahlt und so transparent ist wie eine Mauer.

Die Fifa versteht ihr Geschäft, und die Menschen akzeptieren das. Der einfachste Fan in der Kurve neidet den Spielern auch nicht deren Bezüge. Ronaldinho ist halt einige Zigmillionen Euro wert.

Es gab durchaus Pannen. Aus kaum nachvollziehbaren Gründen hat die Fifa die WM-Gala in Berlin abgesagt, die Sicherheit der Stadien kam ins Gerede und die Ticketvergabe sowieso.

Stimmt, aber die öffentliche Reaktion auf diese Nachrichten ist doch typisch: Das wird zur Kenntnis genommen, eventuell kurz kritisiert aber dann sofort wieder vergessen. Weil der Sport im Blickpunkt steht. Die Fans wollen bei dieser WM das Positive, das Erfreuliche und keine Miesmacherei.

Welches Spiel schauen Sie sich im Stadion an?

Das Eröffnungsspiel in München. Das Spiel Schweiz gegen Frankreich in Stuttgart werde ich gemeinsam mit Schweizer Geschäftsfreunden besuchen. Schließlich bin ich natürlich beim Finale dabei. Seit 1986 habe ich jedes Finale der großen Turniere, also WM und EM gesehen. Das waren unvergessliche Ereignisse. Ich bin nun mal ein bekennender Fußballfan. Für mich ist dies die schönste Nebensache der Welt.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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