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Viel diskutiert. Der Artikel erschien am 30. April in der Zeitung und wurde am vergangenen Samstag online veröffentlicht.

© Marie Rövekamp

Arbeit im Jobcenter: „So kenne ich es auch, von einer Maßnahme in die nächste"

Viele Leser haben auf den Artikel über die verheerenden Arbeitsbedingungen in Jobcentern reagiert und ihre Erfahrungen geschildert – Kollegen, Kunden, Mitarbeiter von Bildungsträgern. Ein Auszug.

„Befristungen, Überstunden, Gewalt: Die Arbeitsbedingungen in Jobcentern sind verheerend - mit Folgen für das Personal.“ In dem Artikel den wir so zusammenfassten, hat ein ehemaliger Mitarbeiter des Jobcenters Neukölln über seine zehn Berufsjahre gesprochen. Online haben den Text sehr viele Leserinnen und Leser kommentiert. Zum Teil aus ähnlichen, zum Teil aus ganz anderen Erfahrungen. Ein paar Reaktionen lesen Sie hier.

Erfahrungen von Kollegen

joth: „Ich habe selbst gesehen, wie Sachbearbeiter, die vorher auch schon mit schwierigen Bedingungen in den Sozialämtern umzugehen hatten, nach der Umstellung zum Jobcenter krank geworden sind. Diese Sachbearbeiter waren schon gewohnt, einiges auszuhalten, sind aber an den Bedingungen im Jobcenter gescheitert.“

FiffiKronsbein2: „Eines der Hauptprobleme ist ja, dass die vorhandenen Jobcenter-Mitarbeiter überhaupt keinen Bock haben, neue Mitarbeiter ernsthaft einzuarbeiten. Wer dort als Quereinsteiger einen Job bekommt, kann zwar ein Seminaren teilnehmen, beherrscht danach die Materie aber natürlich noch nicht. Das klappt nur durch eine wohlwollende, längerfristige Einarbeitung der vorhandenen Mitarbeiter. (...) Die Jobcenter sind praktisch intern ein rechtsfreier Raum. Ich spreche da übrigens aus persönlicher Erfahrung im Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg.“

Erfahrungen von Kunden

MikeNixda2014: „Ganz ehrlich? Mein Mitleid hält sich in Grenzen. Dazu habe ich leider zu oft selbst und im Bekanntenkreis erlebt, was menschlich bei den Mitarbeitern in Arbeitsagenturen und Jobcentern falsch läuft. (...) Das fängt damit an, dass die Mitarbeiter keinerlei Sensibilität in ihrer Arbeit zeigen und völlig ausblenden, dass sie mit einem Mausklick über Schicksale entscheiden. Schlimmer ist jedoch, dass es nicht wenige Mitarbeiter gibt, die regelrecht Freude daran haben, ihre „Kunden“ zu gängeln und zu schikanieren. Ein homosexueller Freund von mir traut sich nur noch in Begleitung von Zeugen dort hin, weil er nicht nur einmal „fertig gemacht“ wurde und es zu homophoben Beleidigungen kam. Natürlich ist Gewalt nicht zu entschuldigen. Da aber die allerwenigsten „Kunden“ im JC kriminelle oder asoziale Menschen sind, muss man doch mal hinterfragen, was alles passiert sein muss, wenn ganz normale Menschen, deren einziger Fehler es ist, arbeitslos zu sein, austicken, randalieren oder gewalttätig werden.

seidi: „So kenne ich es auch, von einer Maßnahme in die nächste. Wenn man fragte, wieso man schon wieder Maßnahme X machen soll, wurde einem nur mitgeteilt, „weil ich das so will“ oder einmal bei einem Bearbeiter wurde mir gesagt, „damit Sie einen geregelten Tagesablauf kennenlernen“. Da musste ich mich echt zusammenreißen. Jemand, der eine Berufsausbildung hat und mehre Jahre gearbeitet hat, soll also einen geregelten Tagesablauf kennenlernen? ich kenne Leute denen wurde Gelder gekürzt weil Sie statt 10 Bewerbungen im Monat nur 7 oder 8 vorweisen konnten. (...) Ist es sinnvoll, wenn man Lagerfacharbeitern, ausgebildeten Verkäufern, Metallarbeitern, Veranstaltungstechniker oder Leute die bei Schlecker Jahre lang gearbeitet haben in Maßnahmen steckt wo man Vogelhäuschen baut und anstreicht? (...) Sowas hab ich alles erlebt und sowas ist für mich an Sinnlosigkeit nicht mehr zu überbieten.

Schnittchen: „Indem man Maßnahmen völlig sinnfrei über alles und jeden kippt, erschwert man den anderen, kompetenten Kunden die Teilnahme an solchen Maßnahmen. Mir wurde vor Jahren, obwohl ich bereits in dem Berufsfeld ein Studium hatte, die Teilnahme an einer weiterführenden Maßnahme untersagt mit der Begründung: „Wir haben in den letzten zwei Jahren wirklich jeden dazu ausgebildet. Jetzt ist der Markt total überlaufen. Macht keinen Sinn mehr für Sie.“

Erfahrungen von Träger-Mitarbeitern

stefano: „Ich habe eine Zeit lang für einen Bildungsträger gearbeitet und kann mich gut erinnern, wie man immer denselben Schrott angeboten und das als tolle Sache verkauft hat, obwohl klar war, dass bestimmte Umschulungen und Weiterbildungen in nichts anderes als prekäre Zustände führen.“

Jahiro: „Bin als freier Trainer einmal für eine Kollegin eingesprungen, eben als Trainer für eine Maßnahme zur Evaluation der Teilnehmer. Abfrage der Vorkenntnisse der Teilnehmer: Ein Teilnehmerin machte diesen Kurs bereits zum 17. Mal. Musste mich mehrmals rückversichern, um sicher zustellen, dass ich nichts falsch verstanden habe.“

Wenn Sie über Ihre Erfahrungen (anonym) sprechen möchten - etwa als Jobcenter-Mitarbeiter oder Kunde - dann schreiben Sie gern eine E-Mail an marie.roevekamp@tagesspiegel.de

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