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Wirtschaft: Arbeitslose bestürmen unabhängige Beratungsstellen

Viele Erwerbslose verstehen die Hartz-Bürokratie nicht. Doch sie meiden die Servicetelefone der Behörden – aus Angst um ihre Daten

Berlin - Früher oder später werden sie alle das Antragsformular zum Arbeitslosengeld II in ihrem Briefkasten finden. Jedenfalls alle, die bisher Arbeitslosenhilfe bekommen haben und die vom kommenden Januar an das neue Arbeitslosengeld II beantragen wollen. In dem Formular, das seit einigen Wochen verschickt wird, müssen die Erwerbslosen ihre Lebens- und Vermögensverhältnisse offen legen. Danach wird entschieden, ob sie Anspruch auf die Sozialleistung haben – oder ob sie zuerst ihr Vermögen flüssig machen müssen. Sozialhilfeempfänger kennen das längst. Und auch wer bisher Arbeitslosenhilfe bekommen hat, muss seit Beginn dieses Jahres Auskunft über Vermögen und Altersvorsorge machen. Jetzt wird es komplizierter – entsprechend steigt der Beratungsbedarf.

Die Arbeitsagentur hat für Fragen zum 20-Seiten-Formular eine Telefonnummer eingerichtet. Unter 01801/012012 bekommen Anrufer offiziellen Rat, wie sie die Fragebögen ausfüllen sollen. Doch viele Erwerbslose ignorieren das Angebot offenbar. Obwohl Vertraulichkeit zugesichert wird, fürchten Arbeitslose mit Beratungsbedarf wohl Nachteile. Die Agentur selbst hat noch keine Informationen darüber veröffentlicht, wie stark ihr Service gefragt ist.

Die Betroffenen werfen den Beratern vom Arbeitsamt vor, „leider nicht besonders kompetent zu sein“, wie Anna Veit vom Frankfurter Arbeitslosenzentrum (FALZ) den Eindruck ihrer Klientel zusammenfasst. Es gibt aber Alternativen zum Angebot der Behörde. Von Verbraucherzentralen über Schuldnerberatungsstellen, Arbeiterwohlfahrt bis zu Arbeitslosenvereinen – überall können sich Erwerbslose beraten lassen. Bei diesen Beratungsstellen laufen jetzt die Telefonleitungen heiß. Das liegt nicht nur an der Kompetenz der Arbeitsagentur-Call-Center, die bezweifelt wird. Viele Arbeitslose misstrauen zudem der Behörde. „Die Leute lassen sich lieber anonym und unabhängig beraten, als bei der Arbeitsagentur, mit der viele schlechte Erfahrungen gemacht haben“, sagt Veit von FALZ.

Walter Schröder vom Arbeitslosenverband Deutschland warnt künftige Arbeitslosengeld-II-Bezieher sogar vor dem Behördentelefon: „Die Menschen haben Angst, bei der Hotline der Agentur Sachen zu sagen, die ihnen später auf die Füße fallen können.“ Denn die Call-Center-Mitarbeiter hätten ihre Dienstvorschriften. Wer allzu offen Fragen beantworte, werde sich später vielleicht wundern, wenn das Amt mehr über seine finanziellen Vermögensverhältnisse wisse, als ihm lieb sei.

Außerdem: Fehlende Kompetenz bei der Beratung könne die Menschen später teuer zu stehen kommen, findet der Arbeitslosenverband. Eine Warnung, die natürlich für alle Beratungsstellen gilt. Anspruch auf Schadenersatz hat kein Arbeitsloser, der, falsch beraten, falsche Angaben in seinem Formular gemacht hat.

Der Berliner Psychotherapeut Georg Schmitt erklärt das Misstrauen vieler Menschen gegenüber der Beratungs-Hotline der Arbeitsagentur so: „Viele haben in ihrer Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit Behörden gemacht, deshalb entwickeln sie ein stärkeres Vertrauen in unabhängige Beratungsstellen.“

Das Frankfurter Arbeitslosenzentrum kann „den Ansturm fast nicht mehr bewältigen“, sagt Anna Veit. Die Leute „wissen nicht, wie sie die Fragebögen ausfüllen sollen“, sagt eine Männerstimme aus dem Hintergund – sie gehört einem Erwerbslosen, der sich gerade von Frau Veit zeigen lässt, wie er das Formular ausfüllen soll.

Auch die Arbeiterwohlfahrt bietet seit kurzem eine Beratung zum Arbeitslosengeld II an. Das Beratungszentrum sei „voll ausgelastet“, sagt Horst Spitzer vom Landesverband Berlin. „Mit so einem Ansturm haben wir nicht gerechnet.“ Die Fragebögen könne niemand alleine ausfüllen, sagt Spitzer – sie seien „viel zu komplex“. Zur Arbeiterwohlfahrt kämen die Leute, weil „wir einfach einen Vertrauensbonus haben“.

Fritz Niemann

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