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Arbeitsagentur

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Arbeitsmarkt: Ein Leben lang Praktikant

ALG-II-Empfänger werden massiv als Dauerpraktikanten missbraucht - wenn sie diese Maßnahme verweigern, kürzt ihnen die Agentur für Arbeit die Bezüge. Auf Druck von Verdi-Chef Frank Bsirske kündigte die Arbeitsagentur nun eine interne Überprüfung an.

Berlin - Die Bundesagentur für Arbeit (BA) will gegen den Missbrauch von Langzeitarbeitslosen als Dauerpraktikanten vorgehen. Alle 300 Arbeitsgemeinschaften (ARGEn) sollen einer internen Überprüfung unterzogen werden. So will die BA aufklären, ob ALG-II-Empfänger in unzulässig lange Praktika vermittelt werden. BA-Vorstand Heinrich Alt sagte Verdi-Chef Frank Bsirske die Überprüfung in einem Gespräch zu.

Am Donnerstagabend hatte Bsirske Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) und BA- Präsident Frank-Jürgen Weise per Brief zum Einschreiten aufgefordert. Der Verdi-Chef schreibt darin, dass ALG-II- Empfänger zu Langzeitpraktika gezwungen würden, indem die Jobvermittler ihnen andererseits mit der Kürzung ihrer Bezüge drohten. „Wenn das entsprechende Segment am Arbeitsmarkt durch derartige Maßnahmen in über eine Millionen Fällen pro Jahr strapaziert wird, verwundert es wenig, wenn der Aufschwung am Arbeitsmarkt an den Langzeitarbeitslosen vorbei geht und ihre Zahl steigt“, argumentiert Bsirske in dem Schreiben, das dem Tagesspiegel vorliegt.

Am Freitag forderte Bsirske zudem ein Einschreiten der Rechnungshöfe, die kontrollieren sollen, ob in diesem Zusammenhang Steuergelder verschwendet werden. Die ALG-II-Praktikanten bekommen keinen Lohn von den Unternehmen, sondern Arbeitslosengeld aus dem allgemeinen Steuertopf. Müntefering wolle in der kommenden Woche auf den Brief antworten, hieß es auf Anfrage im Arbeitsministerium. Allerdings weist das Ministerium jede Verantwortung von sich. „Wir wollen uns nicht dazu äußern, der richtige Adressat ist die Bundesagentur für Arbeit. Dort werden die richtigen Maßnahmen ergriffen“, sagte eine Sprecherin dieser Zeitung.

Trainingsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose, worunter auch Praktika fallen, dürfen laut Sozialgesetz höchstens acht Wochen dauern, in Ausnahmefällen bis zu drei Monate. Das ARD-Politmagazin „Report Mainz“ hatte kürzlich von mehrere Fällen berichtet, in denen Hartz-IV- Empfänger von den Arbeitsvermittlern monatelang in unbezahlte Praktika als Busfahrer oder Gärtnereigehilfe gesteckt wurden. Und zwar ohne das eine Aussicht auf eine Festanstellung bestand.

Verdi-Chef Bsirske warf den Arbeitsagenturen daraufhin krumme Geschäfte vor: „Auch bei vorsätzlicher, wiederholter Rechtsbeugung steht für die örtlichen Verwaltungen nichts auf dem Spiel. Es öffnet sich so ein weites Feld für die unterschiedlichsten Geschäfte“, sagte Bsirske dem Tagesspiegel.

Der Verdi-Arbeitsmarktexperte Bernhard Jirku, ergänzte: „Der Missbrauch riecht geradezu nach Vetternwirtschaft.“ Jirku geht von „sechsstelligen Betroffenenzahlen“ aus. Er sieht die Ursache für die Missstände beim Personal der Jobagenturen: „Die Arbeitsvermittler müssen qualifiziert werden. Rund ein Viertel der Berater hat keine einschlägige Fachausbildung.“ In den ARGEn arbeitet neben Arbeitsvermittlern der Arbeitsagenturen Personal, das von den Kommunen abgestellt wird.

Auch der DGB reagierte auf die Vorfälle: „Es muss ein Aufschrei durchs Land gehen. Leidtragende dieser Praxis sind die Erwerbslosen“, sagte DGB-Sprecherin Claudia Falk. Die Billig-Jobber seien „Quasi-Subventionen“ an Firmen, die sich an Arbeitslosen schadlos hielten und ihre Gewinne mehrten.

BA-Sprecher Kurt Eikemeier wies die Vorwürfe zurück. Die Anschuldigungen der Gewerkschaften lägen „jenseits der Realität“. Die Arbeit der Agentur, die in diesem Jahr schon rund 630 000 Arbeitslose in Trainingsmaßnahmen vermittelt habe, werde pauschal in ein falsches Licht gestellt. Dass es unter den 95 000 Angestellten der Agentur den einen oder anderen gebe, der gegen Vorschriften verstoße, sei niemals auszuschließen. Das Problem spiele sich aber im Promillebereich ab, sagte Eikemeier. Wie viele Hartz-IV-Empfänger bundesweit tatsächlich in zu lange Praktika vermittelt werden, ist unklar.

Auch in Berlin scheint es Unternehmen und Arbeitsvermittler zu geben, die ALG-II-Empfänger als Dauerpraktikanten einzusetzen. Das behauptet zumindest Andreas Splanemann, Berliner Verdi-Sprecher. „Wir hören hier auch von solchen Fällen: Arbeitslose werden zum Beispiel für ein halbes Jahr ins Call-Center vermittelt. Das wird dann als Probezeit deklariert. Zuerst gibt es Jobzusagen, am Ende werden sie vor die Tür gesetzt“, so Splanemann. Die Berliner Arbeitsagenturen und Jobcenter streiten jedoch ab, Praktikanten länger als erlaubt in Trainingsmaßnahmen zu vermitteln.

Johannes Pennekamp

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