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© dpa

Arbeitsmarkt: Krise mit Verspätung

Bislang haben die Firmen auf Massenentlassungen verzichtet. Das könnte sich bis zum Herbst ändern.

Berlin - Noch immer hält sich der deutsche Arbeitsmarkt besser, als es Politiker und Wissenschaftler zu Beginn der tiefen Wirtschaftskrise befürchtet hatten. Im Dezember stieg die Zahl der Arbeitslosen erneut nur leicht auf 3,276 Millionen, wie die Bundesagentur für Arbeit (BA) am Dienstag mitteilte. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von 7,8 Prozent. Doch vieles spricht dafür, dass die Erwerbslosigkeit im Laufe des Jahres spürbar steigen wird – in Richtung der Vier-Millionen-Marke.

Im Dezember nahm die Arbeitslosenzahl gegenüber November um 60 000 zu. Rechnet man den Einfluss der Jahreszeit heraus, gab es indes einen Rückgang um 3000. Im Durchschnitt des Jahres 2009 waren 3,423 Millionen Menschen ohne Job, also nur wenig mehr als in den vorangegangenen drei Boomjahren. Der Anstieg betraf allein Westdeutschland, im Osten verringerte sich die Arbeitslosenzahl im Jahresschnitt. Für die Entwicklung ist auch der demografische Wandel verantwortlich – dem Arbeitsmarkt standen 130 000 Menschen weniger zur Verfügung als noch 2008.

„Trotz der tiefen Rezession hat sich der Arbeitsmarkt im Jahr 2009 robust gezeigt. Zwar ist die Arbeitslosigkeit gegenüber dem Vorjahr angestiegen, aber bei weitem nicht so stark wie befürchtet“, sagte BA-Chef Frank-Jürgen Weise. Der Arbeitsmarkt sei auch international besser als sein Ruf, sagte die zuständige Ministerin Ursula von der Leyen (CDU). „Er ist anpassungsfähig, die befürchteten Entlassungswellen sind bislang ausgeblieben.“ 2010 werde aber noch schwierig werden. Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt warnte, „die erfreuliche Entwicklung ist kein Selbstläufer“. In vielen Unternehmen komme die Krise erst jetzt an – deshalb müsse die Politik jede weitere Belastung der Wirtschaft vermeiden.

Im Januar wird es nach Einschätzung der BA zunächst ein Plus bei der Arbeitslosigkeit von bis zu 300 000 geben – das sei für den Winter üblich. „Es gibt keine Anzeichen, dass das wesentlich höher sein wird“, befand Weise. Wenn die Marke von vier Millionen Arbeitslosen überschritten werde, dann voraussichtlich erst im Herbst.

Es spricht einiges dafür, dass es so kommen wird. Bislang haben die Unternehmen im großen Stil Überstunden und Arbeitszeitkonten abgebaut, um Massenentlassungen zu vermeiden. Diese Instrumente sowie vor allem die Kurzarbeit dürften ausgereizt sein. Dabei müssen die Firmen nur etwa ein Drittel der sonst üblichen Personalkosten tragen. Auf dem Höhepunkt der Kurzarbeitswelle im Mai 2009 arbeiteten mehr als 1,5 Millionen Beschäftigte kurz. Zum Jahresende dürfte die Summe bei nur noch einer Million gelegen haben. Und für 2010 rechnet die BA im Durchschnitt nur noch mit 530 000 Kurzarbeitern. „Ein Teil der Kurzarbeiter wird in die Arbeitslosigkeit gehen“, befürchtet Weise.

Sein Vize Heinrich Alt rechnete vor, dass ein Erwerbstätiger im gesamten Jahr 2009 fast 50 Stunden weniger gearbeitet habe als 2008, auch wegen der Kurzarbeit. Das seien 1,5 Milliarden Arbeitsstunden, die nicht durch Kündigungen kompensiert worden seien. „Wenn man das umrechnen würde in Arbeitsplätze, wären das rund eine Million“, sagte Alt. Mit anderen Worten: So viel Personal, für das es eigentlich keine Arbeit gibt, haben sich die Unternehmen bislang geleistet. Die Produktivität der deutschen Wirtschaft hat daher in der Krise massiv gelitten.

Der erhoffte Aufschwung wird erst mit großer Verzögerung neue Stellen schaffen. Bislang erwarten die meisten Forscher eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts von bis zu zwei Prozent. Zwar wächst die Wirtschaft seit dem Sommer wieder, die Unternehmen bekommen mehr Aufträge, und das Geschäftsklima verbessert sich. Doch ehe sich die Unternehmen neue Leute suchen, werden Arbeitszeitkonten wieder gefüllt, Überstunden aufgebaut und Zeitarbeiter angeheuert. Ohnehin gilt derzeit ein Drittel der Kapazitäten als nicht ausgelastet.

„Die Unternehmen wetten auf den Konjunkturaufschwung“, urteilte Dirk Chlench, Arbeitsmarktexperte bei der Landesbank Baden-Württemberg. „Wenn sich dieser nicht so einstellt, wie es der Optimismus der Unternehmen nahelegt, wird die Arbeitslosigkeit deutlich steigen.“ Diese Ansicht vertritt auch Eckart Tuchtfeld von der Commerzbank. „Früher oder später ist ein Anstieg der Arbeitslosigkeit zu erwarten“, glaubt er. Selbst wenn die Unternehmen beim Abbau ihrer Kapazität sehr vorsichtig vorgingen, bedeute dies am Ende Entlassungen.

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