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Wirtschaft: Arbeitsmarkt: Nach dem Bauboom stehen die Architekten jetzt Schlange

Berlin wächst und Berlin baut. Gigantische Projekte wie das Kanzleramt und der Lehrter Bahnhof werden hier realisiert.

Berlin wächst und Berlin baut. Gigantische Projekte wie das Kanzleramt und der Lehrter Bahnhof werden hier realisiert. Paradiesische Zustände also für Architekten und Bau-Ingenieure - sollte man meinen. Eine Stellenanzeige beim Arbeitsamt Berlin vermittelt ein anderes Bild: "Architekt mit abgeschlossenem Studium, bis 30 Jahre und sehr guten EDV-Kenntnissen ab sofort gesucht. Vertragsdauer bis 18 Monate bei einem Monatsgehalt von 1500 Mark brutto." - Eine Ausnahme oder eher die Regel?

Fakt ist, dass auf dem Berliner Arbeitsmarkt Architekten und Bau-Ingenieure zurzeit besonders schlechte Chancen haben. Im April waren in Berlin nach Angaben des Landesarbeitsamtes Berlin-Brandenburg 2358 Architekten und Bau-Ingenieure ohne Beschäftigung. Gleichzeitig waren 25 offene Stellen registriert. Bundesweit liegt Berlin damit an der vorletzten Position. Nur Nordrhein-Westfalen hat noch mehr Arbeitslose in beiden Berufsgruppen.

Der Bundesarchitektenkammer zufolge sind projektbezogene und freie Mitarbeit in der Branche durchaus üblich. Die Gehälter lägen derzeit am unteren Ende des Tarifvertrages und zum Teil auch darunter, sagt Thomas Welter von der Kammer. Während in Frankfurt, Stuttgart oder München nach wie vor in Bauvorhaben, vor allem Gewerbeimmobilien, investiert wird, schrumpft der Markt in Berlin. Und die Nachfrage nach Architekten und Ingenieuren sinkt parallel.

Noch Anfang der neunziger Jahre strömten jede Menge Architekten und Bau-Ingenieure aus allen Teilen des Landes nach Berlin. Der Bau-Boom im Zuge der Wiedervereinigung war an der Spree besonders stark. "Diese sehr rege Bautätigkeit nimmt seit Mitte der neunziger Jahre ab", sagt Hubert Nienhoff, Partner im bundesweit tätigen Architekturbüro von Gerkan, Marg und Partner und Leiter des Berliner Büros. Die Zeit nach der Wende sei eine Ausnahmesituation gewesen. "Berlin war verwöhnt von staatlichen Konjunkturprogrammen", sagt auch Professor Lutz Kandel vom Prüfungsausschuss Architektur der Technischen Universität Berlin. Die Projekte seien zum Großteil fertig geplant und durchgeführt. Die Architekten verließen aber nicht die Stadt, sondern blieben in Berlin. Die Stadt ist für Angehörige der Berufsgruppen sehr attraktiv. "In keiner Stadt weltweit wird so ausgiebig, intensiv und viel über Architektur diskutiert wie in Berlin.", sagt Jan Kleihues von der Kleihues und Kleihues Gesellschaft von Architekten mbH. Die starke Konzentration auf Berlin ist vor allem der ansässigen Baubranche zum Verhängnis geworden: Besonders der Mittelstand habe sich zu sehr auf Bauvorhaben in Berlin und Umgebung fokussiert und dabei das übrige Bundesgebiet vernachlässigt, sagt Hubert Nienhoff.

Die schwache Baukonjunktur führt zu fallenden Baupreisen. Die Architekten müssen Kosten senken, vor allem Personalkosten. Qualifizierte Arbeitskräfte stehen zahlreich bereit. Verschärft wird die schlechte Beschäftigungssituation noch vom ungebrochenen Zustrom in die Studienfächer Architektur und Bau-Ingenieurwesen. Im Wintersemester 2001 lag die Studentenzahl an den Berliner Universitäten und Fachhochschulen bei 6700. Die Aufklärungsarbeit der Institute über die miserablen Beschäftigungsaussichten scheinen vergebens. Einem Architekten, der in Pension geht, folgen derzeit rein rechnerisch zwei Berufsanfänger. Nach Prognosen der Bundesarchitektenkammer wird sich daran auch bis 2006 nichts ändern. "Wir werden mit Bewerbungen überhäuft", sagt Siegfried Wernik, Gesellschafter bei Léon Wohlhage Wernik. Allerdings rechtfertige die derzeitige Auftragslage keine Einstellungen - im Gegenteil, viele Angestellte müssten um ihren Job bangen.

Im Kampf um die begehrten Plätze in den Architekturbüros unterbieten sich die Studienabgänger gegenseitig. Nach dem Motto: Erst einmal einen Fuß in der Tür haben - egal zu welchem Preis. 3000 Mark brutto im Monat bei offener Stundenzahl seien durchaus die Regel, sagt Professor Kandel. Es gelte: Je besser das Büro, desto schlechter die Bezahlung. Zudem bieten immer mehr ausländische Fachkräfte ihre Arbeitskraft bei der Konzeption und Planung von Bauprojekten an. "Architekten aus Polen arbeiten zum Teil für die Hälfte der hiesigen Stundenlöhne", sagt Karl-Heinz Dieter Steinebach vom Architekturbüro Steinebach und Weber.

Dennoch blickt die Branche optimistisch in die Zukunft. Die Architektenkammer sieht die Talsohle schon in diesem Jahr durchschritten. Viele Berufsanfänger dürften diese Zuversicht nicht teilen. Auf die Stellenanzeige beim Arbeitsamt Berlin haben sich mehr als zehn Bewerber gemeldet. Ein geeigneter Kandidat war schnell gefunden und wird in Kürze eingestellt.

Jaqueline Dreyhaupt

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