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Arbeitsmarkt: Warten auf den Absturz

Dank der Kurzarbeit sinkt die Arbeitslosigkeit im Juni sogar leicht. Doch Ende 2010 könnten fünf Millionen Menschen ohne Job sein.

Nürnberg - Die auf 24 Monate verlängerte Kurzarbeit verhindert, dass die Wirtschaftskrise mit voller Wucht auf den Arbeitsmarkt durchschlägt. „Die Auswirkung der Krise ist immer noch moderat“, sagte der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, bei der Bekanntgabe der Arbeitslosenzahlen am Dienstag in Nürnberg. Gegen Ende des Jahres sei hingegen mit einem Anstieg der Zahl der Jobsuchenden zu rechnen. Ende 2010 könne gar die Fünf-Millionen-Marke erreicht werden.

Die Arbeitslosigkeit ging im Juni leicht zurück, allerdings weniger stark als in diesem Monat üblich. Die Zahl der Arbeitslosen sank gegenüber dem Mai um 48 000 auf 3,41 Millionen. Das waren 250 000 mehr als vor einem Jahr. Die Quote nahm im Vergleich zum Mai um 0,1 Punkte auf 8,1 Prozent ab. „Die Rezession der deutschen Wirtschaft hat die Frühjahrsbelebung überlagert“, erläuterte Weise. In den vergangenen drei Boomjahren war die Arbeitslosenzahl zu Sommerbeginn durchschnittlich um knapp 130 000 gesunken. Drei Monate vor der Bundestagswahl hellt eine kürzlich veränderte Zählweise die Statistik ein wenig auf: Seit Mai werden 19 000 Arbeitslose, die von privaten Vermittlern betreut werden, in der Arbeitslosenstatistik nicht mehr erfasst.

Inzwischen sind nach Schätzungen der Arbeitsagentur bis zu 1,4 Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit. Ohne dieses Instrument gäbe es etwa 450 000 Arbeitslose mehr. Im Juni hätten etwa 12 000 Betriebe für bis zu 220 000 Beschäftigte Kurzarbeit neu angezeigt.

In Berlin priesen Politiker der großen Koalition die deutschen Kurzarbeiterregeln. „Wir haben in Deutschland etwas geschafft, das in dieser Krise weltweit beinahe einzigartig ist: Bei uns folgt der Arbeitsmarkt nicht ungebrochen der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung“, sagte Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD). CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla sagte: „Die Sicherungsnetze haben gehalten“. Die Opposition bezeichnete die Zahlen dagegen als „geschönt“.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund wies darauf hin, dass mittlerweile jeder dritte Beschäftigte nicht in einem regulären Arbeitsverhältnis tätig sei, sondern auf befristeten Stellen, in Teilzeit und Ein-Euro-Jobs oder als Zeitarbeiter. DGB-Vorstand Claus Matecki sagte, die Zunahme der Arbeitslosigkeit sei nur durch Kurzarbeit, den Niedriglohnsektor und prekäre Beschäftigung gedämpft. „Wir müssen verhindern, dass Betriebe nun versuchen, mit Lohnkürzungen die Krise zu managen“, sagte Matecki.

Unterschiedlich verlief die Entwicklung in West- und Ostdeutschland. Während die Arbeitslosigkeit im Westen binnen Jahresfrist um 11,8 Prozent anstieg, waren es im Osten nur 0,5 Prozent mehr. Grund dafür ist, dass die Wirtschaft in den östlichen Bundesländern weniger exportorientiert ist und daher nicht so stark von der Krise in Mitleidenschaft gezogen wird. Dennoch liegt die Arbeitslosenquote im Osten mit 12,9 Prozent nach wie vor deutlich über der West-Quote von 6,9 Prozent.

Bei den Brandenburger Arbeitslosenzahlen macht sich die weltweite Wirtschaftskrise noch gar nicht bemerkbar. Im Juni 2009 waren dort 162 519 Arbeitslose gemeldet – 6708 weniger als vor einem Jahr. In Berlin waren im Juni 236 159 Menschen arbeitslos gemeldet, 7136 mehr als vor einem Jahr. Damit hat sich die Arbeitslosigkeit auch in der Hauptstadt moderater entwickelt als in den industriellen Zentren im Südwesten.

Offene Stellen gibt es der Arbeitsagentur zufolge unter anderem für Bürokräfte, Callcenter-Agenten und Fachkräfte auf dem Bau. „Auch der Handel stellt Mitarbeiter ein, im Verkauf und im Lagerbereich“, sagte Olaf Möller von der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg. Vor allem der Gesundheitsektor sei stabil. Größter Arbeitgeber dieses Bereichs in Berlin ist der Krankenhauskonzern Vivantes, der rund 13 000 Mitarbeiter beschäftigt. „Wir besetzen auch in diesem Jahr mehrere hundert Stellen nach“, sagte Vivantes-Sprecher Uwe Dolderer. Für Ärzte, Pflegepersonal und bei den Funktionsdiensten würden auch neue Stellen geschaffen.

Bis Jahresende erwartet die Arbeitsagentur eine weiter steigende Arbeitslosigkeit, die Zahl von vier Millionen Arbeitslosen werde 2009 aber nicht erreicht, sagte Agenturchef Weise. Spätestens 2010 werde diese Marke überschritten. Dann sei sogar eine Zahl von über fünf Millionen Arbeitslosen denkbar, wenn ungünstige Effekte wie schlechtes Wetter und ausbleibende Aufträge für die Industrie aufeinanderträfen.

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