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Architektur: "Wo möchten Sie wohnen, links oder rechts?"

Die Energieeinsparverordnung bedroht flächendeckend die Baukultur – ein Plädoyer gegen die falsche Wärmedämmung.

Es gab einen Paradigmenwechsel in der Architektur, damals in den 60er Jahren, als sich die Steinwolle als neuer Dämmstoff verbreitete, und die Bauphysiker die zweischalige Außenwand lobpreisten. Die tragende Wand aus Mauerwerk oder Beton, darauf die Wärmedämmung, dann eine Lattung mit zwei Zentimetern zirkulierender Luft und darauf die Wetterfassade genagelt, vorzugsweise aus Asbestfaserzementplatten. Damit ließen sich die Wärmeverbrauchswerte überzeugend senken. Das Prinzip gilt für Neubauten bis heute.

Es wurde aber auch für Altbauten empfohlen, vorzugsweise von ausschwärmenden Vertretern der Baustoffindustrie. Als zöge die Blatternseuche übers Land, wurden halbe Dörfer davon befallen. Die Bauernhäuser verschwanden hinter bleichen Asbestzementtafeln. An Ecken und Kanten, Gesimsen und Schornsteinen musste mit Aluminiumschienen zurechtgebastelt werden. Die Sprossenfenster flogen gleich mit auf den Müll und wurden durch Plastikrahmen ersetzt. Und so glotzten die Häuser hinfort hohläugig aus ihrem fahlen Totenhemd.

Nur sehr wenige dieser aufgedoppelten Fassaden werden sich rentiert haben. Rasch verschmutzt und unansehnlich, bruchempfindlich bei Sturm und Vandalismus, bei unsachgemäßer Montage Feuchtigkeitsschäden an der Substanz verursachend, verschwanden sie bald wieder aus dem Dorf- und Stadtbild.

Heute schwappt ein neuer Wärmedämmtsunami übers Land, diesmal von höchster Stelle verordnet. Mittels der Energieeinsparverordnung (EnEV) will die Politik erreichen, dass der Energieverbrauch durch Heizung und Kühlung von Gebäuden bis zum Jahr 2050 um drei Viertel reduziert wird. Im Neubaubereich wirft das keine Probleme auf. Man kann aber auch nahezu jeden Altbau energetisch ertüchtigen, und viele Hausbesitzer denken nicht lange nach, wenn staatliche Subventionen winken.

Der Tübinger Oberbürgermeister und Grünen-Politiker Boris Palmer zieht mit der provozierenden Ankündigung über die Diskussionspodien der Republik, er werde die Tübinger Altstadt komplett wärmedämmen. „Eine Stadt macht blau“ heißt seine Kampagne, mit der er die CO2-Emissionen bis 2020 um 70 Prozent reduzieren möchte. „Wir verschandeln unseren Bestand ganz bewusst mit Wärmedämmverbundsystemen“, reizt er die Architekten, die „Bedenkenträger“.

Woran Sie merken, wenn Pfuscher und Halbwissende am Werk sind, lesen Sie auf Seite zwei.

Seine Beweggründe mögen lauter sein, seine Methode ist verheerend, im Wortsinn verheerend für die Baukultur. Das Bild, das er zeigt – ein Doppelhaus in Eisenach, links marode, rechts „saniert“, doch mit leeren, stark verkleinerten Fenstern („Wo möchten Sie wohnen, links oder rechts?“) – ist durch die Fachpresse gegangen. Die Polemik wirkt, denn nur versierte Architekten wissen, dass man die linke Hälfte ebenso sanieren könnte, ohne Verlust der Proportionen, der Gesimse und Fensterkreuze. Übrigens wurde die linke Haushälfte mittlerweile ersatzlos abgerissen.

Denkmalpfleger, aber auch engagierte Bürger befürchten nun, dass ein Großteil der Bestandsarchitektur durch die Wärmedämmkampagne ihren Charakter verlieren wird. Der Backsteinexpressionismus in den norddeutschen Küstenstädten – verschwunden hinter einer Maske aus Styropor. Die Fachwerkhäuser in Mittel- und Süddeutschland – verkleistert und verklebt. Die feinnervige Neue Sachlichkeit – bis zur Unkenntlichkeit vergröbert. Die leichtfüßige Architektur der 50er Jahre – elefantenschwer und dröge. „Deutschland, das Land der Abdichter und Dämmer“, spottete der frühere Staatssekretär Lütke Daldrup. Wie immer, wenn die Baukultur bedroht ist, sind es die Pfuscher und Halbwissenden, die am Werke sind. Denn zum gedankenlosen Geschäftemachen eignet sich das Metier nicht: Bei der energetischen Ertüchtigung von Bestandsbauten kann man viel falsch machen. Sie kann nicht von billig anbietenden fahrenden Putzern und Stuckateuren auf die Schnelle erledigt werden. Oft wird die Gesamtbilanz aus den Augen verloren. Wenn eine schöne Fassade zu erhalten ist, kann vielleicht der Dämmeffekt durch erhöhten Aufwand an Keller, Dach und Rückfassade erreicht werden. Für viele Fälle gibt es Innendämmsysteme, die aber sorgfältig und kenntnisreich geplant und eingebaut werden wollen.

Früher hieß es, man könne ein altes Fachwerkhaus durch Brand oder aber durch Brandschutz zerstören. Heute muss man die Wärmedämmung als Gefahrenpotenzial dazurechnen. Aber wenn ein wertvolles Fachwerkhaus aus dem 16. Jahrhundert nicht auf Passivhausstandard gebracht werden kann, müssen eben Maßnahmen mit geringerem Wirkungsgrad hingenommen werden. Das gilt sicherlich für die meisten der eingetragenen Kulturdenkmale, die ja gerade einmal drei Prozent des Gebäudebestands ausmachen.

Kluge Baustadträte planen die energetische Sanierung von historischen Stadtteilen quartiersweise. Da gibt es dann Häuser mit niedrigem Dämmstandard, deren Energiebilanzdefizite durch andere Gebäude, durch Erd- und Solarwärmenutzung und weitere Maßnahmen ausgeglichen werden. Das Thema beschäftigt auch das Symposium „Erst denken, dann dämmen“ des Bundes Deutscher Architekten (BDA), das am 7. September in Potsdam stattfindet (www.bda-bund.de/aktuelles). Die energetische Gebäudesanierung hat sich als komplexes Thema erwiesen, das bei den Protagonisten – vom Putzer- bis zum Oberbürgermeister – Überblick, Durchblick und Augenmaß zugleich verlangt. Eigenschaften, die sich leider nicht durch Vorschriften und Gesetze verordnen lassen.

Prof. Dr. Falk Jaeger ist Bauhistoriker und Achitekturkritiker.

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