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Wirtschaft: Arne Melzer

(Geb. 1969)||Techno- Theoretiker, Angestellter im Designeranzug, Unternehmer.

Techno- Theoretiker, Angestellter im Designeranzug, Unternehmer. Techno ist:“ steht über der Liste, dann folgen rund 90 flirrende Bestimmungen, Zuschreibungen wie: „eine Musik der leeren Zeichen“, „die heutige Form der Ekstase“, „das Berliner Wendephänomen“, „so gut wie Sex“, „für das Goethe-Institut der zur Zeit wichtigste Kulturexport“. Arne Melzer versah die aus Zeitungsartikeln und Magazinbeiträgen zusammengesuchten Zitate mit keinem Kommentar. Die Liste steht im Anhang seiner Diplomarbeit.

„Technopolis“ nannte er seine kultursoziologische Arbeit von 1996. Ganz im Sinne seines Diplombetreuers verschmolz er darin Autobiographie und Historische Anthropologie. Techno war für ihn mehr als nur eine Partybewegung in Detroit, London oder Berlin Mitte. Arne Melzer beschrieb Techno als urbanes Lebensgefühl am Ende des 20. Jahrhunderts. Dabei jonglierte er nicht nur mit Begriffen von Barthes, Bataille, Benjamin und Kracauer – er wusste genau, wovon er sprach. Nächtelang tanzte er sich im E-Werk, im Tresor und im Ostgut in Ekstase, ließ sich von den Bässen der Turbobeats die Bauchdecke massieren. Um wach zu bleiben, schluckte er Speed und Ecstasy. Ein Rave begann irgendwann am Freitagabend mit einem Drink an der Bar und endete oft erst am frühen Montagnachmittag mit einem Entspannungsbad zu Hause in der Badewanne. Immer wieder sprang Arne Melzer auf den grell leuchtenden, durch die Nacht ratternden Technozug auf und von ihm wieder ab, die Hauptsache war, das Gleichgewicht zu halten zwischen Rausch und Studienalltag, zwischen Reizaufnahme und Reizverarbeitung.

Gelegentlich kam er zu spät in die Bibliothek der Sozialwissenschaften, in der er jobbte. Starre Zeitkorsetts hasste er genauso wie jede Form der intellektuellen Beschränkung. Er liebte es, geistige Grenzen auszuloten. Mit einer Freundin diskutierte er beim Rotwein über Musils „Mann ohne Eigenschaften“: Wie kommt man auf die Idee, so ein Buch zu schreiben? Als die Sonne aufging und die Flasche längst leer war, kam er zu dem Schluss, dass es keinen rationalen Grund für dieses Riesenstück sandkuchentrockener Prosa geben kann, und dass genau das das Phantastische an dem Buch sei.

Seine Freundschaften pflegte er mit eleganter Renitenz. Er ließ keine Bequemlichkeit gelten und nötigte die Freunde charmant, spontan zu sein. Er selbst wollte immer daran erinnert werden, seine Doktorarbeit nie aus den Augen zu verlieren. „Gnade und Effizienz“ lautete der Arbeitstitel, es gab ein zwanzigseitiges Exposé. Ein Freund vermittelte einen Kontakt zum Jesuitenkolleg in Frankfurt am Main, dort zeigte man sich interessiert. Doch letztlich scheiterte das Projekt am fehlenden Geld.

Nach einem zweijährigen Intermezzo am Berliner Institut für Sozialforschung und einem Jahr Arbeitslosigkeit begann Arne Melzer bei einer Firma für Personalberatung. Aus dem Techno-Intellektuellen mit Dissertationsvorhaben wurde ein Angestellter im Designeranzug.

Seine berufliche Wandlung passte gut zur Entwicklung des Stadtteils, in dem er lebte. Kurz nach der Wende war er aus Anklam in eine Wohnung in Prenzlauer Berg gezogen, anfangs ohne Strom und Telefon. Zwei Jahre lang lebte er dort mit seiner ersten Liebe fest zusammen, dann wurde ihm die Beziehung zu eng. Ende der Neunziger wurde die Wohnung komplett saniert. 2003 gründete er schließlich mit zwei Freunden eine eigene Headhunting-Firma. Der Angestellte wurde Unternehmer.

Es war die Zeit, als immer mehr T-Shirts mit dem Aufdruck „Ich bin ein Prenzelzwerg“ rund um den Kollwitzplatz auftauchten. Kinder waren für ihn kein Thema – auch wenn er sie sehr mochte. Damals in Anklam, als seine Mutter ein kleines Mädchen adoptierte, schenkte er dem einen Plüschhund namens Bobby: „Und immer, wenn du traurig bist, erzähl ihm alles. Bobby verrät dich nie!“

Ein Tagebuch, ein langjähriger Freund oder schlicht der eigene vorwärts drängende Lebenswille? Schwer zu sagen, wer oder was sein Bobby war. Es gab Dinge, die wollte er nicht in aller Öffentlichkeit breit getreten wissen. Nur wenigen erzählte er von seiner Krankheit. So natürlich wie möglich weiterleben, bis zum Schluss, das war sein Wunsch.

„Techno ist das Requiem für Utopie als Verheißung des Glücks“, lautete der Schlusssatz seiner Diplomarbeit.

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