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Wirtschaft: Arnold Johannes Bauer

(Geb. 1909)||Wer so alt wird, läuft Gefahr, seinen eigenen Ruhm zu überleben.

Wer so alt wird, läuft Gefahr, seinen eigenen Ruhm zu überleben. Der Schriftsteller Arnold Bauer ist ein Flaneur gewesen, und Flaneure hinterlassen in der Regel keine Spuren. Berlin war seine Stadt, über die er alles wusste: „Frag nach bei Bauer“, war sein Spruch. Er schrieb keine großen Romane und prägte keine Institutionen, er war ein Mann des Feuilletons, des Essays, der einfühlsamen Biografie und der Kunstkritik. Nach dem Krieg war er gut im Geschäft, mit Büchern über Zuckmayer, Virchow, Rilke und Zweig. Für den Essay „Thomas Mann und die Krise der bürgerlichen Kultur“, der sich 1946 30 000 Mal verkaufte, bedankte sich der Porträtierte schriftlich. Das Angebot einer Universität, das Werk zu einer Doktorarbeit zu erweitern, schlug er aus, das Akademische lag ihm nicht.

Hat er zu wenig aus seinem Talent gemacht? Wer will das einschätzen?

Als er elf war, zog die Familie in ein Haus in der Westendallee, in dem er schließlich sterben sollte. Wie mag sich die Gegend in der Zwischenzeit verändert haben, in der es heute noch Geschäfte gibt, die „Schuh Treff“ und „Mode Truhe“ heißen? Auch das Olympiastadion, gleich um die Ecke, hat sehr verschiedene Veranstaltungen gesehen. Bei einem so langen Leben fällt die Kindheit in eine schon unwirklich ferne Zeit. Nur nicht für den Betroffenen selbst. Der hatte lebhafte Erinnerungen gerade an die frühen Jahre. An seine erste Liebe, er war zwölf, das Mädchen aus Holland 15. Dass die Mutter im Ersten Weltkrieg sein Schaukelpferd versetzt hat, regte ihn noch Jahrzehnte später auf.

In der Nazizeit saß er mindestens viermal im Gefängnis. Nach dem Krieg ist er einem seiner Peiniger zufällig in der U-Bahn begegnet – und hat ihn laufen lassen. Über die Haft hat er nie viel erzählt.

Zum Widerständler war er durch seine bildungsbürgerliche Herkunft geworden. Am Ende des Krieges rettete sie ihm sein Leben: Als Soldat erlebte er die Ankunft der Russen an der Festung Spandau. Dort sang er ihnen die Marseillaise vor, und sie hielten ihn für einen Franzosen.

Die Nachkriegszeit ist seine Epoche, er steht im Briefwechsel mit Thomas Mann und Hans Mayer, er schreibt für viele Zeitungen, vor allem für die „Morgenpost“. 10 000 Exemplare seines autobiografischen Werks „Kindheit im Zwielicht" sind bald verkauft, nach den langen Nazi-Jahren herrscht Hunger nach Kultur. Hans-Werner Richter lädt Arnold Bauer immer wieder zur Gruppe 47 ein. Kurze Zeit soll er Bürgermeister von Charlottenburg gewesen sein, aber dazu ist die Aktenlage nicht eindeutig. Unermüdlich schildert er in Briefen Freunden aus aller Welt die Lage in Deutschland und wirbt dafür, die Deutschen wieder in die Völkergemeinschaft aufzunehmen. An Thomas Mann schreibt er: „Wir wollen deutsche Weltbürger sein und sehen mit Ihnen, Herr Thomas Mann, in einem Weltstaat den letzten Versuch, unseren Planeten und seine Kultur zu erhalten.“

So ist das: Am Ende bleiben Aktenordner mit Briefdurchschlägen, die niemand durchzusehen schafft. Wahllos herausgegriffen, eine Leserpostkarte von 1949, von Bauer sorgsam abgeheftet. Ein „Oskar Bauernfeind“ aus Bayern äußert sich zu einem Artikel Bauers über die Kollektivschuld: „Ist Ihnen noch nicht klar, daß der einzige Kampf der des Untermenschen gegen den Kulturmenschen ist?“ Neben der Briefmarke klebt eine Zwei- Pfennig-Sondermarke „Notopfer Berlin“.

Ein bisschen weltfremd war Arnold Bauer, Geldangelegenheiten ignorierte er, auf Ämter ging er nicht gerne, er fand immer, die müssten zu ihm kommen, wenn sie etwas wollten. Er war freundlich und interessiert an intellektuellem Streitgespräch. Dass er unter Albträumen litt, in denen er immer auf der Flucht war, ließ er niemanden merken. Ist er deshalb so viel gereist? Eine große Sammlung von Bildpostkarten aus aller Welt zeugt davon. Und warum hat er nie geheiratet? „Als Junggeselle gelebt, als Altgeselle gestorben“, sagte er.

In seinen letzten Jahren wird er von einer resoluten Sizilianerin aus der Nachbarschaft gepflegt Für sie ist er eine Art Ersatzvater, um den sie sich nun zu kümmern hat: Er ist im selben Jahr und Monat geboren wie ihr verstorbener Vater. Der hat mit zweitem Namen Giovanni geheißen, ein italienischer Johannes also. Außerdem lässt Arnold Bauer, genau wie der Verstorbene, aus Höflichkeit immer etwas auf dem Teller übrig. Sie sagt, es bestehe kein Zweifel, dass hier das Schicksal am Werk sei, „verstehen ßie!?“

Jeden Abend singen die beiden „Guten Abend, gut’ Nacht“, und Bauer fasst sich immer wieder an den Kopf: Wie kann man einem Kind nur so etwas vorsingen – „Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt.“ Am Ende will er selbst nicht mehr geweckt werden.

Sein Archiv bleibt zurück, ungehörte Tonbänder mit Interviews, die Tagebücher sollen erst in zehn Jahren an die Öffentlichkeit. Niemand soll sich gekränkt fühlen, auch wenn er nie jemanden vorsätzlich gekränkt hätte.

Wenn man so alt wird, ist die Gefahr groß, dass man seinen eigenen Ruhm überlebt, da hilft auch kein Bundesverdienstkreuz. Erst recht, wenn man ein bescheidener Mensch ist. Er sei immer zurückgekommen nach Berlin, auch in der Nazizeit, sagt die Sizilianerin, die Stadt schulde ihm etwas: „Dieße Berlin hat immer gerufen, verstehen ßie?“ Aber so ist es: Menschen vermissen Städte, aber Städte vermissen keine Menschen.

Jochen Schmidt

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