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Vorschnell gestoppt: RWE hat inzwischen erfolgreich gegen die Stilllegung des Atomkraftwerks Biblis geklagt. Nun geht es um Schadensersatz.

© picture alliance / dpa

Atomausstieg: Energiekonzerne drohen mit Klagen

Nach RWE will nun wohl auch Eon den Staat auf Schadensersatz verklagen. Was die Wirtschaft aber eigentlich will, ist ein Deal über die Haftung für den Atommüll.

Frankfurt am Main - Der hastige Atomausstieg könnte Deutschland Milliarden kosten. Von Formfehlern bis zur Verletzung des Bestandsschutzes bietet das Prozedere rechtlich viel Angriffsfläche. Diverse Schadensersatzklagen haben die geschädigten Stromkonzerne eingereicht. „Vattenfall, RWE, EnBW und Eon könnten das Schreckensszenario für den Steuerzahler nutzen, um die Haftung für den Atommüll loszuwerden“, sagt der Berliner Atomrechtsexperte Olaf Däuper.

Genau eine Woche nach dem Atomunglück in Fukushima wurden aufgrund von Sicherheitsbedenken alle Atomkraftwerke in Deutschland einem Stresstest unterzogen, die sieben ältesten Reaktoren sowie der Pannenreaktor Krümmel sogar heruntergefahren. Diese Stilllegung übernahmen die Landesumweltministerien im Namen der Bundesregierung. Der Draht der Atomaufsichtsbehörden zu den Kraftwerksbetreibern ist kurz. Das Prozedere verlief entsprechend einfach: Ein Anruf, ein Fax und die jeweiligen Reaktoren gingen am 18. März 2011 vom Netz – vier Tage nach Verabschiedung des Atom-Moratoriums.

RWE hat Klage gegen das Land Hessen eingereicht

Zumindest im Fall des Atomkraftwerks Biblis war die Stilllegung jedoch rechtswidrig. Das hat das Bundesverwaltungsgericht Anfang des Jahres zugunsten von Betreiber RWE in letzter Instanz entschieden. Dem Stromkonzern sei damals keine Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden. Ein Formfehler. RWE hat inzwischen am Stammsitz in Essen eine Zivilklage gegen den Bund und das Land Hessen eingereicht und fordert für die dreimonatige Stilllegung von Biblis im Zuge des Atom-Moratoriums bis zu 200 Millionen Euro Schadensersatz.

Die damalige hessische Umweltministerin Lucia Puttrich (CDU) steht wegen des womöglich teuren Formfehlers bisher als einzige Atomaufseherin am Pranger. Dabei haben ihre Amtskollegen in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen nach Recherchen dieser Zeitung denselben Fehler begangen. Eon, das mit dem Atomkraftwerken Isar 1 und Unterweser betroffen ist, hatte zunächst allein deshalb von einer Klage abgesehen, weil der Konzern laut einer Sprecherin nach dem Super-Gau in Fukushima Fingerspitzengefühl beweisen wollte.

Auch in Bayern und Niedersachsen droht Rechtsstreit

Dreieinhalb Jahre nach dem Unglück kommt es Eon nun eher darauf an, die Interessen der Aktionäre zu vertreten. Klagen gegen den Freistaat Bayern und das Land Niedersachsen stünden bevor, heißt es aus Konzernkreisen. Der geforderte Schadensersatz dürfte bei mehreren hundert Millionen Euro liegen. „Eigentlich ist die einmonatige Widerspruchsfrist gegen den Verwaltungsakt verstrichen“, sagt der Berliner Atomrechtsexperte Olaf Däuper. „Aber Eon hat offenbar einen anderen Angriffspunkt gefunden.“

Vattenfall und EnBW werden zumindest nicht gegen das Moratorium klagen, weil die Vattenfall-Reaktoren in Brunsbüttel und Krümmel sich damals ohnehin im Stillstandsbetrieb befanden und EnBW als landeseigenes Unternehmen niemals gegen seinen Eigentümer vorgehen würde. Vattenfall ist stattdessen gegen Deutschland vor das Washingtoner Schiedsgericht ICSID gezogen. Dort will sich der schwedische Staatskonzern grundsätzlich für den deutschen Atomausstieg eine Milliardenentschädigung erstreiten. Deutschland hat sich diesem Gericht der Weltbank völkerrechtlich unterworfen und müsste das Urteil akzeptieren. Der Richterspruch wird nicht vor 2016 erwartet.

Der schnelle Ausstieg könnte 15 Milliarden Euro kosten

Schneller könnten die Energieversorger Eon, RWE und Vattenfall mit ihrer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg haben. Voraussichtlich Anfang 2015 wird in Karlsruhe die mündliche Verhandlung beginnen. Die drei Stromkonzerne argumentieren in ihrer Klage, dass sie die im Jahr 2002 zugesagten Reststrommengen für ihre Reaktoren nicht produzieren konnten. Die Bundesregierung habe durch das Kassieren der Laufzeitverlängerung den Bestandsschutz der Konzerne außer Kraft gesetzt. Außerdem gibt es noch die Klage der Energieversorger vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg gegen die nach ihrer Auffassung unzulässige Kernbrennstoffsteuer. Experten schätzen, dass der eilige Atomausstieg Deutschland insgesamt bis zu 15 Milliarden Euro kosten könnte.

Weil die Bundesregierung dieses Szenario fürchtet, soll hinter den Kulissen bereits ein außergerichtlicher Deal mit den Energieversorgern erwogen werden, heißt es aus Fachkreisen. Als Verursacher des Atommülls haften Vattenfall und Co. unbegrenzt für alle zukünftig entstehenden Kosten. 36 Milliarden Euro Rücklagen haben die Konzerne dafür angehäuft. Ob das reichen wird, ist jedoch so ungewiss wie die Frage nach einem Endlager. „Für die Konzerne ist dieses Risiko extrem unangenehm“, sagt Däuper. Deshalb könnten sie auf Schadensersatz für den Atomausstieg verzichten, wenn die Bundesregierung im Gegenzug die Haftung für den Atommüll übernähme. Die 36 Milliarden Euro kämen in einen entsprechenden Atom-Fonds oder eine Stiftung.

Gehen die Betreiber insolvent?

Aber warum sollte sich die Bundesregierung auf einen solch unattraktiven Handel einlassen? „Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Kraftwerksbetreiber insolvent gehen“, erklärt Däuper. RWE und Eon etwa haben das Geschäft mit der Atomkraft in ihre Tochterunternehmen RWE Power und Eon Kernkraft ausgelagert. Wenn diese nach dem endgültigen Atomausstieg kein Geld mehr verdienen und pleitegehen sollten, würde die Haftung für den Atommüll zwar automatisch auf die Mutterkonzerne übertragen. Unter Juristen herrscht allerdings Uneinigkeit darüber, ob diese Verträge mit dem Ende einer Akw-Betriebserlaubnis noch Bestand haben. Für die Stromkonzerne sei es deshalb interessant, sich noch vor den Urteilen aus Karlsruhe, Luxemburg und Washington mit der Bundesregierung zu einigen, berichtet Däuper. Denn sollten ihre Klagen abgewiesen werden, hätten sie ihre Verhandlungsmasse verloren.

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