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Atompolitik

© Tsp/Bartel

Atomkraft-Welt: Nur Afrika ist nukleares Niemandsland

Die Atomwelt ist gespalten: Während immer mehr Länder auf Kerntechnik setzen – auch aus Prestigegründen, suchen andere Staaten bewusst den Ausstieg.

Immer weniger weiße Flecken auf der Weltkarte, nur Afrika ist noch weitgehend nukleares Niemandsland. Zugleich beherrschen immer mehr Staaten die Technik, durch Spaltung von Atomkernen Strom zu erzeugen. Die Russen waren die ersten, sie schlossen im Sommer 1954 einen Reaktor ans öffentliche Netz an. Es war gerade mal so viel Strom, wie zwei Windkrafträder heutzutage erzeugen können. Der Betriebsstart des Kernkraftwerks Obninsk, 110 Kilometer südwestlich von Moskau, diente mitnichten dem Klimaschutz. Es war eine Botschaft an die Welt: Wir sind technologisch überlegen! Bis heute geht von der Technik eine besondere Magie aus: Sie liefert stabil Energie, der Brennstoff aber ist höchst giftig – und das bleibt er viele Tausend Jahre lang.

Heute sind weltweit 210 Kernkraftwerke mit zusammen 439 Reaktoren in 31 Ländern am Stromnetz, 53 Anlagen in 14 Staaten sind im Bau, darunter im Iran. Und eine seriös nicht bezifferbare Zahl an Staaten erwägt oder plant den Bau neuer AKW – darunter angeblich sogar die pazifische Winzigrepublik Nauru. Der Bau ist vor allem für kleine Staaten und Schwellenländer eine Prestigefrage und gilt als Chance, sich von Öl- und Kohleimporten zu emanzipieren.

Bei Berlusconi weiß man nie

Andere Staaten wie Spanien oder Mexiko wollen aus der Technik aussteigen. Italien ist nach dem Super-Gau von Tschernobyl 1986 sogar schon ganz ausgestiegen, wird jetzt aber von der Atomlobby als Beweis für einen Gegentrend angeführt. Denn Regierungschef Silvio Berlusconi hat im Februar den Ausstieg vom Ausstieg verkündet. Frankreich werde beim Bau vier moderner Europäischer Druckwasserreaktoren (EPR) helfen. Ob das so kommt? Bei Berlusconi weiß man nie.

Regierung und Industrie des benachbarten Atomweltmeisters wären jedenfalls entzückt, ob des neuen Geschäfts: In Frankreich haben AKW mit 76 Prozent den mit Abstand größten Atomanteil am Strommix, eine entsprechend aufgestellte Industrie gibt es dort. In Deutschland, wo der Atomanteil mit dem Ausstiegsbeschluss im Jahr 2000 von 30 auf heute 23 Prozent fiel, sehen Anlagenbauer dagegen ihre Felle davonschwimmen. Denn trotz der Ansage der neuen Koalition, Laufzeiten einiger der 17 bestehenden Meiler hierzulande zu verlängern: Ein Neubau scheint politisch nicht durchsetzbar.

Ehemalige Betreiberstaaten kämpfen mit Spätfolgen

So verschwinden Länder auch wieder von der Weltkarte der AKW-Betreibernationen. Auch die heutige Republik Serbien ist dort nur noch ein kleiner weißer Fleck, sauber ist es dort aber lange nicht: Im Dorf Vinca vor den Toren Belgrads residierte in den 50er Jahren Josip Titos nukleares Forschungszentrum. 1959 lieferten die Sowjets große Mengen hochangereichertes Uran-235 zum Betrieb eines Forschungsreaktors. Einen Bürgerkrieg und viele Nato-Bomben später holten die Russen 2002 einen Teil des Materials wieder ab – begleitet von 1200 Soldaten, damit Terroristen nichts klauen. Aber noch heute stapeln sich in zwei kaum gesicherten verwitterten Lagerhallen mehr als 1000 Fässer, deren exakten Inhalt niemand kennt, „weil genaue Unterlagen darüber nicht aufbewahrt worden sind“, wie die Internationale Atomenergiebehörde IAEA im Juli erklärte.

IAEA-Direktor und Friedensnobelpreisträger Mohammed El Baradei war im Sommer persönlich mit einem Inspektorenteam in dem Dorf. Die Experten fanden dort auch ein Wasserbecken, in dem abgebrannte Brennelemente aus fünf Jahrzehnten in Fässern vor sich hinrosten. Das Wasser sei schwarz, schlammig und hochgiftig, sagten sie. Die IAEA hat in Vinca schon eine neue Halle erreichtet, diesmal aus Beton. Der serbische Premierminister unterzeichnete derweil in El Baradeis Anwesenheit ein Zusatzprotokoll über das Abkommen zur sicheren Lagerung atomarer Abfälle. Im Gegenzug sicherte der IAEA-Chef ihm Hilfe bei der Sicherung und möglichen Rückführung der Abfälle nach Russland zu. Gut 47 Millionen Dollar sollen die Aufräumarbeiten kosten. Geld, das der EU-Anwärter Serbien derzeit nicht aufbringen will. Viele Dritte-Welt-Staaten können so eine Summe gar nicht aufbringen.

1200 neue AKW bis 2050?

Geht es nach dem Rat der Internationalen Energieagentur IEA, die die Regierungen der Welt erst vergangene Woche nachdrücklich aufgefordert hat, sich in Kopenhagen auf ehrgeizige Klimaschutzziele zu einigen, sollen bis zum Jahr 2050 knapp 1200 neue Atomkraftwerke entstehen – da sie ja angeblich kein CO2 ausstoßen. „Selbst wenn man eine massive Ausbaustrategie der Kernkraftwerke unterstellen würde, wie dies die IEA in ihren Klimaschutzszenarien gemacht hat, deckt die Kernenergie maximal einige wenige Prozentpunkte des zu erreichenden Minderungsbeitrages der Treibhausgasemissionen“, sagt Manfred Fischedick, Vizepräsident Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.

Wenn die 1200 wirklich gebaut werden würden, würde sie den CO2-Ausstoß um sechs Prozent senken, rechnet Fischedick vor – „mit all den damit verbundenen Risiken“. Sinnvoller sei der Ausbau erneuerbarer Energien, flankiert von Kraftwerken mit hoher Leistungsdynamik und Flexibilität. Das seien in erster Linie Gaskraftwerke oder virtuelle Verbünde von Kleinstkraftwerken.

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