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Wirtschaft: Auch die Versicherer machen Druck auf Bonn

MÜNCHEN .Mit den Versicherern läuft eine weitere große Branche gegen die Steuerpläne von Bundeskanzler Gerhard Schröder und seinem Finanzminister Oskar Lafontaine Sturm.

MÜNCHEN .Mit den Versicherern läuft eine weitere große Branche gegen die Steuerpläne von Bundeskanzler Gerhard Schröder und seinem Finanzminister Oskar Lafontaine Sturm.

Wenn die Steuerpläne der Bonner Regierung in der vorliegenden Form Gesetz würden, so klagten Vertreter der Versicherungswirtschaft, werde es dramatisch.Kleine Versicherer gerieten in Existenznöte und große könnten Geschäftsbereiche ins günstigere Ausland auslagern.Bis zu 10 000 Stellen in Deutschland seien gefährdet.Von "Milchmädchenrechnung" bis "Ganovenstück" lauteten die Vokabeln, mit denen die Versicherer die Regierung bedachten, die ihnen nach fachkundigen Berechnungen milliardenstarke Lasten auferlegen wolle.

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GVD) hatte das Startsignal für den Aufruhr in der Branche gegeben.Die Versicherer würden durch die Bonner Pläne nach der neuesten Beschlußvorlage des Bundestag-Finanzausschusses mit 16 Mrd.DM belastet, kritisierte der Verband der Assekuranz.

Besonders scharf wettern die Unternehmen der Branche gegen das geplante Abzinsungsgebot für Schadensrückstellungen.Sie befürchten daraus Belastungen von gut sieben bis zu zehn Mrd.DM für die Versicherer.Bisher können die Unternehmen in voller Höhe Rückstellungen für Schäden bilden, die erst mit einem Verzug von zweieinhalb Jahren oder mehr eintreten und reguliert werden.So lange bringen die angelegten Gelder Zinsen.

Die Bonner Pläne bedeuteten, daß man die Kosten von Schäden künftig nicht mehr zu 100 Prozent, sondern nur noch zu deutlich weniger zurückstellen dürfe, klagt eine Branchenvertreterin.Das sei "ganz katastrophal", "rechtlich nicht haltbar" und im internationalen Vergleich unüblich.So sieht es auch Allianz-Chef Henning Schulte-Noelle.Die Pläne würden Deutschland als Versicherungsstandort im europäischen Vergleich stark zurückwerfen, sagte er in einem Interview.

Wie schon die alte Bundesregierung will auch Lafontaine den Versicherern zudem eine realitätsnähere Bewertung ihrer Schadensrückstellungen auferlegen.Das wird den Versicherern nach Angaben von Experten auch im Ausland abverlangt.Eine Steuerexpertin rechnet vor, die Versicherer könnten damit nicht mehr so große Beträge steuersparend mit Zinserträgen anlegen.Per Saldo bedeute das ein Minus von sechs bis sieben Mrd.DM für die Branche.Das, so ist zu hören, wollen die Versicherern aber inzwischen hinnehmen.Desweiteren würden die Versicherer durch die Auswirkungen des Wertaufholungsgebotes, der eingeschränkten Teilwertabschreibung und der Besteuerung von bisher steuerfreien Auslandserträgen belastet, kritisiert der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft.

Zudem sollten den Versicherern ursprünglich Rückstellungen von Schadenregulierungskosten erschwert werden.Dieser Plan sei allerdings von Bonn inzwischen zurückgezogen.

Europas führender Versicherer Allianz wurde konkret.Auf rund 2,5 Mrd.DM bezifferte sein Vorstandsmitglied Helmut Perlet die Belastungen für sein Haus.Wenn dies Fakt werde, müsse gehandelt werden.Geschäftsteile wie das Industriegeschäft oder auch die Schadensbearbeitung könnten ins Ausland verlagert werden.In Allianz-Kreisen war zu hören, rund acht Mrd.DM Prämienvolumen könnte der Konzern ins Ausland verlagern, verbunden mit einem massiven Stellenverlust in Deutschland.Der weltweit größte Rückversicherer Münchener Rück hält sich nach eigenen Angaben "alle Optionen offen", auch die, "mit Funktionen ins Ausland zu gehen".Analysten erklärten, solche Verlagerungen seien "durchaus machbar".

Die Mannheimer-Versicherungsgruppe erklärte, sie wolle aus Protest "bis auf weiteres" keine deutschen Staatsanleihen mehr zeichnen.Vorstandschef Hans Schreiber setzt auf Alternativen: "Es gibt im Euroland sehr gute Rentenpapiere mit hoher Bonität." Die Ankündigungen der Allianz wie auch der Schritt der Mannheimer seien "keine Einzelreaktionen", versichert GVD-Sprecherin Gabriela Hofmann.Sie wisse von etlichen Firmen, die ähnliches überlegten."Wir machen uns natürlich vor allem Sorgen um die Kleinen und Mittleren", fügte sie hinzu.Die könnten nicht einfach ins Ausland abwandern, und auch mit Einsparungen oder mit Preiserhöhungen könnten sie die Mehrbelastungen kaum auffangen.Bei denen könne es vereinzelt um die Existenz gehen.

Wie sich die Belastungen, sollte es dazu kommen, auf die Ergebnisse der Versicherer auswirkten, dazu sind von ihnen wenig konkrete Angaben zu erhalten.Direkt das Ergebnis schmälern würde nach den Worten von Allianz-Manager Perlet vor allem eines: "Uns fehlen Zinsträger", nämlich Rückstellungen, auf die Zinsen erwirtschaftet werden.Und zudem werde Substanz weggesteuert und damit die finanzielle Basis der Versicherer verwässert, ergänzte eine Expertin.

Doch die Bonner Pläne sind noch nicht Gesetz."Noch ist alles im Fluß", sagt der Sprecher der Münchener Rück.Von daher halten sich viele Versicherer mit ihren Angaben über die ihnen drohenden Belastungen und die sich daraus ergebenden Reaktionen noch zurück.Inzwischen sei zudem schon wieder der Bundeskanzler selbst am Ball, und der habe ja schon manches "korrigiert".

GERNOT HELLER (rtr)

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