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Wirtschaft: Auf die Hilfe der eigenen Familie gegründet

Sie hat ein Kind, einen Mann und eine eigene Firma.Sema Özcan-Sarigül hat das erreicht, wovon andere ihr Leben lang träumen.

Sie hat ein Kind, einen Mann und eine eigene Firma.Sema Özcan-Sarigül hat das erreicht, wovon andere ihr Leben lang träumen.Seit drei Jahren führt die 35jährige Türkin aus Shanli-Urfa, einem Städtchen an der syrischen Grenze, ihre eigene Kosmetikfirma Lacomed mit Sitz in Berlin-Wedding.Mit Erfolg.Inzwischen vertreibt Özcan-Sarigül 150 verschiedene Cremes und Lotionen, immer mehr Kundinnen suchen ihren Rat.Der Platz im Wedding reicht nicht mehr aus, in einigen Wochen wird Sema Özcan-Sarigül nach Charlottenburg ziehen und dort auf einer ganzen Etage ein Geschäft rund um die Schönheit eröffnen.Zehn Leute bezahlt sie heute, dazu beschäftigt sie drei Chirurgen in ihrer Klinik in Istanbul.

Sie hatte auch Glück, sagt sie, "ohne meinen Mann, der mich immer unterstützt, könnte ich das nicht." Verheiratet ist sie mit einem Arzt.Wie sie gehört auch er jener Gesellschaftsschicht an, die sich allmählich in Deutschland etabliert hat: dem türkischen Mittelstand.Nicht nur deutsche Friseure, Bäcker oder Bauunternehmer können stolz auf eine jahrzehntelange Geschäftstradition in Deutschland zurückblicken, sondern auch einige ihrer türkischen Mitbürger.Der Hamburger Unternehmer Vural Öger zum Beispiel veranstaltet mit Öger Tours seit knapp 30 Jahren Reisen in die Türkei und in viele andere Länder auf dieser Welt.Im vergangenen Jahr setzte der Reiseveranstalter mehr als 830 Mill.DM um.Heute arbeitet von den rund zwei Millionen in Deutschland lebenden Türken jeder zehnte in einem türkischen Unternehmen.Sie alle zusammen machten im vergangenen Jahr einen Umsatz von immerhin 41,3 Mrd.DM.

Immer mehr junge Türken machen sich selbständig.Türken, die schon in Deutschland geboren sind, aber auch Türken der ersten Generation, die aus ihrer Heimat in die Bundesrepublik auswandern.So wie Sema Özcan-Sarigül, deren Eltern schon 1972 von Shanli-Urfa nach Berlin umgezogen waren, während sie selbst erst acht Jahre später mit dem türkischen Abitur in der Tasche folgte.Auch Sema Özcan-Sarigüls Vater hat sich in Deutschland als Arzt niedergelassen.Seine Tochter ist stolz auf das, was er und ihre Landsleute in Deutschland geschafft haben.Gerade türkische Unternehmer müßten zusammenarbeiten, sagt sie.Dafür setzt sie sich als Vorstandsmitglied des Deutsch-Türkischen Unternehmerverbands ein.

Wie viele Türken inzwischen ihr eigenes "Business" in Deutschland haben, darüber war offenbar selbst der türkische Staatspräsident Suleyman Demirel verblüfft.Vor einigen Monaten hat Sema Özcan-Sarigül ihn in Ankara besucht und ihm das Berliner Branchenbuch türkischer Unternehmen gezeigt, in dem 5000 Betriebe verzeichnet sind.Demirel fand mehr als Obsthändler und Döner-Läden.Er stellte fest, daß die Türken in Berlin als Immobilienmakler, Versicherungsmakler oder Edelstahlfabrikanten arbeiten, Werbeateliers sowie Unternehmens- und Steuerberaterbüros - nur für Türken - betreiben.

Daß eine Frau selbständige Unternehmerin sein kann, sagt Sema, sei für sie und ihre Umgebung ganz normal.In Radlerhosen sitzt sie entspannt auf einem blauen Ledersofa in ihrem Weddinger Salon und trinkt Kaffee.Türkische Musik erklingt leise aus dem Fernseher, der in einer Ecke steht.

Freilich, wer durch das türkische Branchenbuch blättert, entdeckt nicht viele Frauen.Sie führen gerade mal vier Prozent der Betriebe.Hingegen sind nach Angaben des Statistischen Bundesamts knapp ein Drittel aller deutschen Selbständigen Frauen.Dieser Vergleich, sagt Yunus Ulusoy, Mitarbeiter des Zentrums für Türkeistudien in Essen, sei schwierig.In den Betrieben helfe oft die ganze Familie mit.

Sema Öscan-Sarigül schmeißt ihren Laden jedenfalls alleine.Vor 18 Jahren kam sie ohne Ehemann in Deutschland an, machte - wie es damals die Pflicht für eingereiste Türken war - eine Ausbildung und arbeitete daraufhin als Elektrotechnikerin und "als einzige Frau" im BMW-Werk in Spandau.Sie bekam Asthma und mußte den Job aufgeben.Während eines Kuraufenthalts in der Türkei lernte sie ihren Mann kennen, der einer der Ärzte war.Später gingen sie nach Berlin.Er fand eine Stelle im Uni-Klinikum Steglitz, sie entschied sich für einen Beruf, der ihr Spaß macht: Kosmetologin.

Die vierjährige Ausbildung hat ihr der Vater bezahlt.Aber wenn er nicht geholfen hätte, sagt Sema Öczan-Sarigül, dann wäre bestimmt eine Tante oder ein Onkel eingesprungen."Familienbande", sagt Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien, "spielen unter den in Deutschland lebenden Türken eine große Rolle".Wer ein Unternehmen gründen wolle, leihe sich das Geld von Verwandten oder Freunden.Und Geld ist da -weil viele gespart haben, unter anderem, um irgendwann in die Türkei zurückkehren zu können.Ein Motiv, das allerdings an Bedeutung verliert: Denn immer mehr Türken wollen auch dann nicht zurückgehen, wenn sie genügend Geld verdient haben oder in Rente gehen.Sie bauen sich eine Existenz auf, um in Deutschland zu bleiben.So haben türkische Unternehmer in Deutschland alleine in den vergangenen 15 Jahren fast sechs Mrd.DM investiert."Die meisten haben ihre Unternehmen ohne Hilfe des Staates gegründet", sagt Ulusoy.

Trotzdem sagt Sema Özcan-Sarilük, daß sie ihrem Heimatland viel verdanke.Sie verehrt vor allem Kemal Atatürk, den General, der vor 73 Jahren die türkische Republik gründete."Ohne ihn gäbe es unser Land nicht.Ohne ihn müßten Frauen jetzt vielleicht verschleiert herumlaufen." Und weil Sema Özcan-Sarilük den "Vater der Türken" auch in Deutschland nicht vergessen will, hängt sein Porträt auch in ihrem Schönheitsstudio - direkt neben dem Foto einer gelungenen Schönheitsoperation.

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