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Wirtschaft: Auf Eis gelegt

Die Deutschen essen immer mehr Tiefkühlkost. Die ist nicht nur bequem, sondern wird auch immer gesünder

Wie der typische Käufer von Tiefkühlkost aussieht, weiß der Handel dank intensiver Marktforschung ganz genau: Er ist jung, eher männlich, arbeitet Vollzeit, lebt allein und legt mehr Wert auf Bequemlichkeit denn auf gesundes Essen. Mindestens einmal pro Woche greift er in die Tiefkühltruhe seines Supermarktes und zieht sich eine Pizza „Tonno Classico“, eine eisige „Penne Pesto“ oder eine Packung tiefgekühltes türkisches Kebab-Fleisch heraus. Was ihn kalt lassen dürfte: Tiefkühlprodukte sind oft sogar gesünder und vitaminreicher als frische Kost. „Tiefgefrieren schont die Inhaltsstoffe“, sagt Susanne Schelosky vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung. „Je kälter die Lagertemperatur, umso besser werden die Vitamine erhalten.“

Tiefkühlkost gehört schon seit Jahren zu den am stärksten wachsenden Einnahmequellen des Handels. Das liegt nach Angaben von Branchenvertretern vor allem daran, dass immer mehr Discounter Tiefkühlprodukte in ihr Sortiment aufgenommen haben. Heute verkaufen sie schon mehr als ein Drittel der frostigen Waren. Schon im vergangenen Jahr aß jeder Deutsche im Durchschnitt 30 Kilo an tiefgekühlter Pizza, Fertiggerichten, Baguettes und eisigen Torten. Die Hersteller, die ihre neuesten Produkte noch bis Mittwoch auf der weltgrößten Ernährungsmesse Anuga in Köln präsentieren, erwarten, dass es künftig noch mehr werden. „Wir rechnen in den nächsten Jahren mit einem Wachstum von 25 Prozent“, sagt eine Sprecherin von Iceline, einem der größten deutschen Tiefkühlkostproduzenten, der einen Großteil seiner Ware bei Discountern abliefert. Immer beliebter werden bei den Verbrauchern vor allem gefrorene Fertiggerichte, Bratfleisch, Fisch, Backwaren und natürlich Pizzen.

Um trotz überfüllter Kühltruhen den Konsumenten Appetit zu machen, lassen sich die Hersteller ständig neue Variationen einfallen. So serviert der größte deutsche Pizza- Hersteller Dr. Oetker seinen Kunden seit September das Culinaria-Sortiment um die Geschmacksrichtungen „Puszta Style“ und „Turkish Style“. „Der Verbraucher will mit dem Zeitgeist gehen – darum müssen wir ihm Abwechslung bieten“, sagt ein Dr.-Oetker-Sprecher. Trotz aller Anstrengungen – die meistverkaufte Pizza bleibt ein Klassiker: „Ristorante Salame“.

Konkurrent Wagner legt derweil bei der hauseigenen Gourmet-Klasse „La Pizza“ nach – mit den Sorten „Tonno Classico“ und „Pepperoni Piccante“. Mit der im vergangenen Sommer lancierten Linie, die einen halben Euro teurer ist als andere Pizzen aus dem Haus, will Wagner sich neue Käuferschichten erschließen: die Zielgruppe 40 plus, die bisher keine Tiefkühlpizza gekauft habe, wie eine Sprecherin sagt. Um der Toskana-Fraktion zu gefallen, lässt sich der Hersteller einiges einfallen: So wird der luftgetrocknete Parmaschinken erst nach dem Backen zu Hause auf die Pizza gelegt, um höchste Qualität zu gewährleisten. „Eine Pizza muss beim ersten Probieren passen“, erklärt die Wagner-Sprecherin den Aufwand. Studien haben herausgefunden, dass der Kunde bei Nichtgefallen auf den ersten Biss für zwölf Monate keine Tiefkühlpizza mehr anrührt.

Die Tiefkühlkost-Hersteller servieren aber auch immer öfter kleine Häppchen. Wagner etwa wird neben Mini-Pizza und Mini- Quiches ab 2004 auch brötchengroße Focaccinis anbieten, eine im speziellen Aromabackverfahren gebackene italienische Brotspezialität mit Belag. „Wir bieten Produkte für unterschiedliche Anlässe an“, sagt die Sprecherin.

Auch Coppenrath & Wiese, der Marktführer bei den Tiefkühlbackwaren, geht davon aus, dass die Kunden immer öfter zur kleinen Torte greifen. „Die Kaffeerunden werden immer kleiner, denen wollen wir möglichst viel Abwechslung bieten“, sagt Unternehmenssprecher Udo Voss. Auch Coppenrath & Wiese setzt bei den neuen Tortenbelägen vor allem auf die Toskana-Fraktion: mit Kreationen wie „Latte Macciato“- oder „Prosecco Cassis“-Torte. Zielgruppe ist schon lange nicht mehr die Oma mit Filzhut, sondern Haushalte mit Kindern.

Egal, ob Tiefkühltorte oder Fertigpizza, allen Käufern ist eines gemeinsam: „Sie wollen genau wissen, was sie erwartet, und nicht enttäuscht werden“, sagt der Coppenrath & Wiese-Sprecher. Er nennt das den McDonald’s-Effekt.

Um immer gleiche Qualität hinzubekommen, müssen die Hersteller ihre Produkte nicht nur nach standardisiertem Rezept herstellen, sondern auch so schnell wie möglich einfrieren. So vergehen beim Tiefkühlkost-Hersteller Frosta gerade eineinhalb Stunden, bis eine Erbse geerntet, blanchiert und tiefgefroren ist. Bei Coppenrath & Wiese dauert es vier Stunden, bis eine Torte durchgefroren ist. Das Verfahren ist ähnlich: Die Produkte werden bei minus 40 Grad in kaltem Luftstrom schockgefroren und dann bei minus 18 Grad Celsius gelagert. „Bei dieser Kälte werden alle Mikroorganismen steif und starr“, sagt Ernährungsexpertin Schelosky. Keime können sich nicht mehr vermehren, aber auch Enzymen wird es zu kalt, um Vitamine zu zersetzen. Darum bleibt der Vitamingehalt anders als bei der frischen Karotte im Kühlschrank auch bei längerer Lagerung weitgehend erhalten.

Trotzdem würden Ernährungsexperten nicht jede Art von Tiefkühlkost empfehlen. Der Grund: Je stärker Lebensmittel verarbeitet sind, desto mehr Geschmacksstoffe gehen verloren. „Viele Hersteller versuchen darum, die Fertigprodukte durch Zusatzstoffe, Aromen und Geschmacksverstärker aufzupeppen“, sagt Carsten Direske von der Verbraucherorganisation Food Watch. Das kann bei empfindlichen Menschen zu Überempfindlichkeit und Allergien führen.

Der Hersteller Frosta verzichtet daher seit Anfang des Jahres auf alle 60 Zusatzstoffe, die vorher bei der Produktion verwendet wurden, und setzt stattdessen hochwertigere Rohwaren ein: echter Safran statt gelbem Farbstoff in der Paella, echter Parmesan statt Schmelzkäse. Dafür kosten die Produkte 30 bis 60 Cent mehr als vorher. Doch das Konzept geht nicht auf. Frosta ist tief in die roten Zahlen gerutscht und hat den Vorstandschef am Freitag vor die Tür gesetzt. Vielleicht, weil Frosta eine Regel übersehen hat: Der typische Tiefkühlkunde will eben nicht gesund essen, sondern vor allem bequem. Und billig. Foto: promo

Maren Peters

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