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Der Münchner Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn ist Mitinitiator des Aufrufs.

© dpa

Aufruf von Ökonomen: 170 Professoren warnen vor Merkels Kurs

170 Ökonomen kritisieren Merkels Euro-Politik. Sie sehen in einer Haftung für europäische Banken große Gefahren. Die Kanzlerin weist das zurück und fordert, auch das Kleingedruckte mal zu lesen.

170 deutschsprachige Ökonomen haben sich „mit großer Sorge“ zur Krisenpolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) geäußert. Sie sei auf dem EU-Gipfel vor einer Woche zu einer Bankenunion „gezwungen“ worden. Eine solche Union bedeute indes „eine kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Eurosystems“, schreiben die Wirtschaftswissenschaftler.

Kanzlerin Angela Merkel wies die Sorgen zurück. "Es geht hier überhaupt nicht um irgendwelche zusätzlichen Haftungen", sagte Merkel am Donnerstag in Berlin. Daher sollte sich jeder die Beschlüsse „wirklich gut anschauen und dann auch das berichten, was in diesen Beschlüssen steht“. Die Haftungen für Banken seien genauso verboten nach den jetzigen Regelungen wie es die Haftungen für Staaten seien. „Und insoweit hat sich durch die Brüsseler Beschlüsse nichts geändert an der derzeitigen Situation.“

Adressiert ist die Botschaft, die von dem Dortmunder Statistiker Walter Krämer und dem Münchner Ifo-Präsidenten Hans-Werner Sinn initiiert wurde, an „Liebe Mitbürger“. Diese werden aufgefordert, die Sorgen der Wissenschaftler „den Abgeordneten ihres Wahlkreises vorzutragen; unsere Volksvertreter sollen wissen, welche Gefahren unserer Wirtschaft drohen“. Tatsächlich war Merkel vor einer Woche den Schritt in eine Bankenunion mitgegangen – unter der Bedingung einer einheitlichen Bankenaufsicht, die bis Ende des Jahres unter Mitwirkung der Europäischen Zentralbank (EZB) eingerichtet werden soll.

Video: Historischer Niedrigzins der EZB

Die besorgten Ökonomen weisen nun darauf hin, „dass die Bankschulden fast dreimal so groß sind wie die Staatsschulden und in den fünf Krisenländern im Bereich von mehreren Billionen Euro liegen“. Die Steuerzahler „der bislang noch soliden Länder“ dürften für diese Schulden nicht in Haftung genommen werden. „Banken müssen scheitern dürfen“, heißt es in dem Aufruf. Im Übrigen werde der Euro durch eine solche Erweiterung der Haftung nicht gerettet. „Geholfen wird stattdessen der Wall Street, der City of London und einer Reihe maroder in- und ausländischer Banken“, schreiben die Ökonomen und beklagen die „Sozialisierung der Schulden“. Zu den Unterzeichnern gehören Charles Blankart aus Berlin, Jürgen Donges aus Köln, der frühere sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt, Bernd Raffelhüschen aus Freiburg sowie Ex- DIW-Chef Klaus Zimmermann.

Kritik an dem Aufruf, der zuerst vom Online-Portal der „FAZ“ veröffentlicht wurde, kam aus dem Umfeld des Sachverständigenrats. Der Aufruf genüge nicht den Ansprüchen, wenn man sich als Ökonom einer „rationalen Argumentation und dem Denken in Alternativen verpflichtet“ sehe. Ein anderer Ökonom sprach von einem „gefühlvollen Aufruf der Empörung“, der so von Wissenschaftlern nicht verfasst werden sollte. Bundeskanzlerin Merkel sei keineswegs „gezwungen“ worden, sondern habe eine abgewogene Entscheidung getroffen. Im Übrigen sei eine zentrale Bankenaufsicht durchaus „zweckmäßig“.

„Als ganz wichtigen Schritt“ bewertete EZB-Präsident Mario Draghi am Donnerstag die geplante Bankenaufsicht. Draghi äußerte sich im Anschluss an eine historische Zinsentscheidung der Zentralbank: Wegen der Rezession in Europa senkte sie zum ersten Mal in ihrer 14-jährigen Geschichte den Leitzinssatz unter ein Prozent, und zwar von 1,0 auf 0,75 Prozent. „Das Wirtschaftswachstum bleibt weiterhin schwach“, begründete Draghi den Zinsschritt. Seit dem Amtsantritt des Italieners im vergangenen November wurde der Leitzins damit zum dritten Mal reduziert. Ferner pumpte die Zentralbank seitdem gut eine Billion Euro in den Finanzsektor.

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