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Spezialitäten aus Schwaben. Herbert Heinig in seiner dritten „Bäcker-Mann“-Filiale an der Pariser Straße. Passanten können hier in die "gläserne Backstube" schauen.

© Mike Wolff

Aufschwung: Berliner Schrippenbekenntnis

Das traditionelle Bäckerhandwerk hat wieder Chancen: Viele Kunden schätzen Qualität und stehen bei manchen Meistern sogar Schlange.

Als Herbert Heinig ein Werbefoto machen ließ, ahnte er nicht, dass es sich zu seinem Markenzeichen entwickeln würde. Wie einst der Maler Pablo Picasso sitzt der Bäckermeister am Küchentisch – mit zwei aus Brotteig geformten Händen vor sich. Anders als Picasso lacht Heinig jedoch herzlich in die Kamera. Das Motiv wurde so beliebt, dass der gebürtige Schwabe 50 000 Postkarten drucken ließ. Als morgendlicher Muntermacher „hänge ich in fast jedem Friedenauer Haushalt am Kühlschrank“, schätzt er. Jetzt kennt man den „Bäcker- Mann“, wie Heinig sich und seinen Betrieb nennt, auch in der City West. Denn auf den 21 Jahre alten Stammsitz am Südwestkorso folgte 2007 eine Filiale in der Güntzelstraße und vor 18 Monaten ein Geschäft in der Pariser Straße.

Jeden Tag schließe statistisch gesehen in Deutschland eine Bäckerei, hat der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks soeben vorgerechnet. Filialketten mit Franchise-Betrieben und Supermärkte verdrängten viele Mittelständler. Gab es in den 50er Jahren bundesweit rund 55 000 traditionelle Bäckereien, so sind es heute nur noch 14 500. „Bäcker-Mann“ gehört dazu und ist einer der 176 Meisterbetriebe in Berlin (siehe Infokasten). Auch Heinig weiß, wie hart die Konkurrenz geworden ist: „Viele Menschen sind nicht mehr bereit, den adäquaten Preis für Handwerk zu zahlen“, klagt er. Andererseits stellte er fest, dass seine Kunden „gute Qualität honorieren“ und „aufgewärmte Brötchen aus der Tüte“ ablehnen. Schon als Kind liebte Heinig den Duft einer Bäckerei in seiner Heimatstadt Meßkirch. Als Zwölfjähriger trug er Brötchen aus und fand, es gebe „nichts Schöneres, als morgens in der Backstube zu stehen“. Heute hat er rund 40 Mitarbeiter – darunter zwei Konditorenlehrlinge und sechs angehende Fachverkäufer – und verkauft vor allem Spezialitäten wie „Allgäuer Seelen“. Die Öfen stehen am Südwestkorso sowie in der Pariser Straße, wo man in die „gläserne Backstube“ blicken kann. Der 57-Jährige kann sich sogar ein viertes Geschäft vorstellen, sofern er einen Standort in guter Lage findet: „Die Lust ist noch da.“

Zumindest in Berlin hat sich die Zahl der Bäckereien seit vier Jahren stabilisiert: „Die große Schließungswelle ist durch, bei uns hat sich der Markt schon reguliert“, sagt Nikolaus Junker, Geschäftsführer der Bäcker-Innung Berlin. „Die Abschmelzung findet jetzt in den westlichen Bundesländern statt.“ Die mittelständischen Handwerksbetriebe der Stadt „trotzen dem Wettbewerb“ und hätten in den vorigen zwei Jahren auch wieder leicht steigende Umsätze gemacht. In Prenzlauer Berg etwa halte sich weiterhin die mehr als 100 Jahre alte Bäckerei Siebert in der Schönfließer Straße. „Ein ständiges Kommen und Gehen“ herrsche dagegen unter den Filialbetrieben und anderen „Aufbackstationen“ in der Umgebung. Stadtweit schwankt die Zahl solcher Verkaufsgeschäfte ohne eigene Backstube etwa zwischen 400 und 600. Viele Verbraucher hätten längst festgestellt, dass aufgetaute Ware „nicht schmeckt“, glaubt Junker.

So sieht es auch die Berliner Handwerkskammer. „Der Markt hat sich aufgeteilt in preis- oder qualitätsbewusste Kunden“, sagt Sprecherin Susan Shakery. Zwar gebe es „deutlich weniger“ handwerkliche Bäckereien als vor zwei Jahrzehnten, doch seit einiger Zeit blieben Umsätze und Löhne recht stabil. An Wochenenden verdoppele sich bei einigen Bäckermeistern sogar der Umsatz, und es gebe Warteschlangen. „Bäcker-Mann“ Heinig bestätigt dies: Vor seinem Stammhaus am Südwestkorso „stehen die Leute am Sonntag oft zehn Meter draußen an“.

Industrielle Ware aus Großbäckereien verkaufen Filialisten wie Kamps, Discounter und Tankstellen. Aldi-Süd erregt gerade Aufsehen durch die Ankündigung, alle 1770 Märkte mit Backautomaten auszurüsten. Auf Knopfdruck backen diese Brot, Brötchen und Brezeln in wenigen Minuten auf. Der deutsche Handwerksverband sieht darin keinen richtigen Backvorgang und verklagte Aldi-Süd wegen „irreführender Werbung“. Ein Weizenbrötchen soll nur 15 Cent kosten, was dem Preis der billigsten Mitbewerber entspricht. In SB-Bäckereien von „Backwerk“ etwa erhält man für 15 Cent ein „Kaiserbrötchen“. Schrippen kosten dort 19 Cent – oder 99 Cent im Sechserpack.

Ob Aldi-Nord in Berlin dem Vorbild folgt, steht noch nicht fest. Branchenkenner nehmen an, dass in wenigen Jahren alle Discounter frische Backwaren anbieten werden. Die Folgen für Mittelständler hält die Handwerkskammer aber für gering: „Es würde eher eine Verschiebung auf dem Markt der Billigbäcker geben“, sagt Susan Shakery. „Discountkunden kaufen sowieso nicht beim Handwerksbäcker“, betont Innungs-Chef Junker.

Eine stetige Expansion hat Klaus Wiedemann geschafft. Er führt den 125 Jahre alten Familienbetrieb „Bäcker Wiedemann“ in vierter Generation und eröffnete zuletzt in Alt-Rudow das 30. Geschäft. Gegen Jahresende folgt ein Standort im Steglitzer Kreisel. Und doch ist Wiedemann kein typischer Filialist. Statt Franchisenehmern gibt es rund 230 Angestellte, darunter 60 Lehrlinge. Markenzeichen ist die „Schrippe mit Herz“ für 32 Cent. Als Besonderheit gilt neben dem Herzmuster das bessere Aroma durch „lange Teigführung“. 80 Prozent aller Brötchen werden nicht zentral in Marienfelde gebacken, sondern in den Läden. Das verdoppele zwar die Kosten, sagt der Chef, aber die Kunden liebten es nun einmal ofenfrisch und warm.

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