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Wirtschaft: Aufschwung ohne Arbeit

Indiens Industrie profitiert von der Globalisierung – neue Jobs entstehen aber nur wenige

Von John Lancaster Vor dem Grundstück des KfzZulieferers Sundram Fasteners sieht es aus wie in jeder x-beliebigen indischen Stadt: Kühe laufen umher, Fahrräder und Motorroller verstopfen die Straßen. Auf dem Firmengelände herrschen indes japanische Verhältnisse. Umgeben von blühenden Sträuchern und makellosen Rasenflächen arbeiten Männer und Frauen in grauen Uniformen. An den Fabrikwänden hängen Management-Slogans.

Der Autozulieferer Sundram Fasteners ist ein Beispiel für den rasanten Wandel, den die indische Industrie durchlebt. Stand Indien früher für mäßige Qualität, sind nun einige Unternehmen durchaus in der Lage, gute Produkte zu liefern. Der Grund: Die indische Industrie will es der boomenden Software-Branche gleichtun und am Segen der Globalisierung teilhaben. Sie greift dabei auf das gewaltige indische Reservoir an Ingenieur-Wissen und unternehmerischem Talent zurück, zapft aber auch ausländische Expertisen an. Trotzdem bringt die steigende Industrieproduktion kaum neue Jobs. Schuld sind Automatisierung und andere Personal sparende Techniken nach dem Vorbild Japans; Schuld sind aber auch antiquierte Arbeitsmarktgesetze. Nach dem indischen Recht sind Angestellte nahezu unkündbar – was Unternehmen davon abhält, weitere Kräfte einzustellen.

Zurück zu Sundram: Der Kfz-Zulieferer aus der südindischen Stadt Madras, 1966 vom Mischkonzern TVS Group gegründet, hat sich zum erfolgreichsten indischen Hersteller von Autoteilen entwickelt. Der größte Kunde ist General Motors. Jedes Auto, das in den nordamerikanischen GM-Fabriken vom Band rollt, hat einen Kühlerdeckel aus Indien eingebaut.

Obwohl Sundram heute 8,5 Millionen Kühlerdeckel im Jahr produziert, doppelt soviel wie vor zehn Jahren, arbeiten dort nur 33 Arbeiter in der Kühlerdeckel-Montage, sagt Werksleiter R. Premkumar. „Selbst wenn wir die Produktion auf 30 Millionen Kühlerdeckel steigerten, würden wir nicht mehr Kräfte einstellen“, sagt der 53-Jährige. „Das liegt an der Automatisierung.“ Um wettbewerbsfähig zu sein, hätten viele Firmen sogar Stellen abgebaut, als die Regierung Anfang der 90er Jahre die Handelsbarrieren abbaute.

Trotz der Produktionsausweitung beschäftigt Indiens Industrie nur sieben Millionen Menschen. Das ist ein Bruchteil der Arbeitsbevölkerung, die auf 406 Millionen Inder geschätzt wird. Beim Nachbarn China ist es anders: Der Industrieboom hat dort Arbeit für Millionen geschaffen. Mit Investitionen aus aller Welt wurden tausende neuer Fabriken gebaut.

Zu einem vergleichbaren Erfolg wird es nach Ansicht von Ökonomen in Indien erst kommen, wenn das Land für ausländische Investoren attraktiver wird. Das Arbeitsgesetz von 1947 müsse abgeschafft werden, fordern sie. Es zwingt mittelständische und große Unternehmen, die Regierung um Erlaubnis zu fragen, wenn sie Arbeiter entlassen wollen. Notwendig sind nach Ansicht der Experten auch erhebliche Investitionen in Infrastruktur wie Straßen und Stromnetze.

Von einem Industrieboom „trennen uns mehrere große Reformschritte“, sagt Subir Gokarn, Chefökonom der indischen Ratingagentur Crisil. Für die Regierung sei die Schaffung neuer Stellen extrem wichtig. „Wenn sie in dem Bereich in den kommenden fünf Jahren keinen Erfolg vorweisen kann, wird sie bei den nächsten Wahlen ein gewaltiges Problem haben.“ Doch es gibt Grund für Optimismus: Der Export von Industriegütern wächst rasant; allein 2004 gab es ein Plus von 20 Prozent. In der Industrie könnten bis 2015 rund 30 Millionen neue Jobs entstehen, wenn die Regierung Reformen auf den Weg bringt, wie eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey und des indischen Industrieverbandes behauptet. Die neuen Jobs wiederum dürften neue Arbeitsplätze bei Hotels, Restaurants, Transport- und IT-Firmen nach sich ziehen.

„Die Beschäftigung in den Fabriken wird nicht unbedingt extrem in die Höhe schnellen“, sagt N. Srinivasan, Chef des indischen Industrieverbandes. Aber „wenn mehr Traktoren produziert werden, benötigt man auch mehr Menschen zur Reparatur der Traktoren“, hofft er.

Die besten Aussichten gibt es Srinivasan zufolge in arbeitsintensiven Branchen wie der Autozulieferindustrie. Hier sind gut ausgebildete, preiswerte Kräfte gefragt – deshalb ist gerade die indische Autoindustrie international so erfolgreich. Im vergangenen Jahr hat die Branche Autoteile für 800 Millionen Dollar exportiert, ein Jahr zuvor waren es nur 630,6 Millionen Dollar, 1998 erst 330 Millionen Dollar. Doch auch hier blieb die Beschäftigung in den großen Unternehmen konstant oder ging sogar leicht zurück.

Ein gutes Beispiel für das joblose Wachstum der indischen Kfz-Zulieferindustrie ist das Unternehmen Sona Koyo Steering Systems aus New Delhi. Die 1987 gegründete Firma produzierte am Anfang Lenkungszubehör für einen indischen Autohersteller. Wegen restriktiver Handelsgesetze war Sona vor ausländischer Konkurrenz gefeit und hatte „keinen Anreiz, die Kosten zu senken oder für Qualität zu sorgen“, sagt der 60-jährige Unternehmenschef Surinder Kapur. „Mein Unternehmen war ein typisches Beispiel für indische Ineffizienz.“ Das änderte sich Ende der 90er Jahre schlagartig, als große Autokonzerne nach Indien kamen. Die Unternehmen verlangten von den heimischen Zulieferern bessere Qualität zu niedrigeren Preisen – und Sonas Gewinn sank. Kapur sah sich zum Handeln gezwungen: Er holte japanische Unternehmensberater ins Haus und investierte in die Ausbildung seiner Angestellten – seither ist die Produktion effizienter.

Texte übersetzt und gekürzt von Tina Specht (Neelie Kroes), Karen Wientgen (Indien), Svenja Weidenfeld (Bush), Matthias Petermann (Yukos) und Christian Frobenius (China).

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