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Wirtschaft: Aufsichtsräte in Deutschland brauchen mehr Zeit und mehr Wissen. Das deutsche System der Unternehmensaufsicht muss neu geordnet werden

Über die Arbeit deutscher Aufsichtsräte wird nicht erst seit dem Fall Philipp Holzmann diskutiert. Allerdings rücken die Fragen nach der Funktionsfähigkeit der Kontrollgremien meist immer nur dann in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, wenn die Probleme - Beispiel Metallgesellschaft - akut geworden sind.

Über die Arbeit deutscher Aufsichtsräte wird nicht erst seit dem Fall Philipp Holzmann diskutiert. Allerdings rücken die Fragen nach der Funktionsfähigkeit der Kontrollgremien meist immer nur dann in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, wenn die Probleme - Beispiel Metallgesellschaft - akut geworden sind.

Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG), das im Mai 1998 in Kraft getreten ist, zog der Gesetzgeber Konsequenzen und versuchte, Unternehmensführung und Unternehmensüberwachung, die so genannte "corporate governance", dauerhaft zu verbessern. Das Gesetz schreibt nicht nur eine Rotation der Wirtschaftsprüfer vor, beispielsweise verpflichtet es die Unternehmen zur Einführung eines Frühwarnsystems. Die Neuerungen sehen außerdem vor, dass der Aufsichtsrat häufiger im Jahr zusammenkommt und die Mitglieder des Aufsichtsrates weniger Mandate ausüben.

Erstaunlicherweise wird über die Qualifikation von Aufsichtsratsmitgliedern jedoch kaum ein Wort verloren. Eine fachliche Zertifizierung erscheint nicht erforderlich, weil der Aufsichtsrat in Deutschland nicht als eigenständiger Berufsstand zu betrachten ist und verbindliche Anforderungsprofile als wenig zweckmäßig erachtet werden. Immerhin wird gemeinhin die Zusammenstellung interdisziplinärer Aufsichtsräte empfohlen.

Ein Befürworter von Kontrollgremien, deren Mitglieder "aus allen Lebensbereichen" kommen, ist der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter. Walter fordert den "Abschied vom Kastendenken" und plädiert für eine "Ausweitung des Kandidaten-Pools", wie es mustergültig durch die jüngste Berufung des Präsidenten vom Münchner Ifo-Institutes, Hans-Werner Sinn, zum Aufsichtsrat der HypoVereinsbank dokumentiert werde. Zwar gilt Sinn, seit Februar 1999 Chef des Ifo-Institutes und Direktor des Center für Economic Studies an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, nicht unbedingt als geldpolitischer Fachmann, doch hat er sich als exzellenter Wirtschaftswissenschaftler einen Namen gemacht und wird als Vorsitzender des Vereins für Socialpolitik sozusagen als Chef der deutschen Ökonomen-Zunft betrachtet.

So sinnvoll die Mitarbeit von Wissenschaftlern in deutschen Kontrollgremien erscheinen mag - die Berufung des Wirtschaftswissenschaftlers Sinn wirft gleichwohl die Frage auf, inwieweit Vertreter der sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, die aktiv im Geschäft der Politikberatung tätig sind, ein Aufsichtsratsmandat in der freien Wirtschaft ausüben können. Auch die Tätigkeit von Jürgen B. Donges, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, tangiert als Auftsichtsrat bei der Mannesmann AG dieses Problem. Donges war im Frühjahr 1995 vom damaligen Vorstandsvorsitzenden und heutigen Aufsichtsratschef Joachim Funk zum ordentlichen Aufsichtsratsmitglied vorgeschlagen worden.

Manfred J. Neumann, Leiter des Instituts für Internationale Wirtschaftspolitik und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates des Bundeswirtschaftsministeriums, bewertet die Berufung von Wissenschaftlern in Aufsichtsratsgremien grundsätzlich nicht negativ, wenngleich er dahinter vornehmlich Prestigedenken der Konzerne vermutet. Für einen Wissenschaftler sei die Arbeit an konkreten Problemen aus dem Firmenalltag durchaus reizvoll, erklärte Neumann gegenüber dem Tagesspiegel. Im Besonderen könne die Mitarbeit eines Wirtschaftswissenschaftlers in einem Kontrollgremium aber zu Schwierigkeiten führen. Etwa dann, wenn ein Volkswirt zu betriebswirtschaftlich notwendigen Entscheidungen Stellung beziehen müsse. "Konflikte scheinen da programmiert", sagte Neumann.

Anders sieht das der neue Präsident des HWWA-Institutes Thomas Straubhaar. Er bewertet die Mitarbeit von Wissenschaftlern in Aufsichtsräten als durchaus positiv, zumal ein Aufsichtsrat nicht im operativen Tagesgeschäft aktiv werde und allenfalls langfristige Entscheidungen treffen müsse. "Unsere wissenschaftliche Unabhängigkeit wird durch solche Tätigkeiten nicht stärker beeinträchtigt als durch andere Dinge auch," sagte Straubhaar.

Für den Vorsitzenden des Sachverständigenrates Herbert Hax liegen die eigentlichen Probleme an anderer Stelle: "Die Frage bleibt doch, ob der Aufsichtsrat seine Kontrollaufgaben mit Erfolg ausübt oder versagt," bringt Hax die Sache auf den Punkt. "Ob Betriebswirt, Volkswirt oder Wissenschaftler, die Arbeit muss erfolgreich gemeistert werden."

Die vielen Insolvenzfälle der jüngsten Vergangenheit beweisen, dass das nicht uneingeschränkt der Fall ist. Bis heute ist die Frage offen, wie die Arbeit in deutschen Kontrollgremien zu verbessern ist. Dabei könnten ausländische Modelle durchaus als Vorbild dienen, wie eine vergleichende Studie der britischen Unternehmensberatung Myzenburg über "corporate governance" in sechs Ländern belegt. Fazit: Das deutsche System ist isoliert und unhandlich. Deutsche Aufsichtsräte sind überbesetzt, weniger effektiv und tagen seltener als in den USA, Frankreich, Schweden, den Niederlanden und in Großbritannien.

Die Briten sind auch für den Hamburger Harald Erichsen, einer der wenigen hauptamtlichen Aufsichts- und Beiräte in Deutschland, ein Vorbild. Seit längerem schon fordert er die hauptberufliche Tätigkeit von Aufsichtsräten in Deutschland - ähnlich wie in Großbritannien. Anders als hierzulande kennt das britische System auch nicht den Wechsel vom Vorstand zum Aufsichtsrat. Dies verhindert, dass das Aufsichtsratsmandat vornehmlich "als prestigeträchtiges und persönlich motiviertes Ehrenamt" begriffen wird anstatt als professionelle Aufgabe, wie es Florian Schilling, Mitarbeiter bei der Frankfurter Personalberatung Mülder & Partner, formuliert. Als klassischen Fehler etablierter deutscher Aufsichtsräte bezeichnet er die Kandidaten-Auswahl primär auf Grund persönlicher Beziehungen, mangelnde Internationalität und zu geringen zeitlichen Einsatz. Schillings aktuelle Forderung: "Was bei der Rekrutierung externer Manager heute selbstverständlich ist, also die klare Definition des Anforderungsprofils und die gezielte Suche nach dem qualifiziertesten Kandidaten, ist für den Aufsichtsrat mindestens so notwendig." Mehr Wissen und mehr Zeit für die Aufsichtsratsmandate, lautet die logische Schlußfolgerung.

Martina Ohm

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