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Louka Katseli, Griechenlands ehemalige Wirtschafts- und Arbeitsministerin, übt im Auftrag der Syriza-Partei die Aufsicht über die National Bank of Greece aus.

© EPA/SIMELA PANTZARTZI/dpa-Bildfunk

Aufsichtsratschefin der National Bank of Greece: „Griechenland kann ein Wachstumspol werden“

Die ehemalige Arbeitsministerin Louka Katseli führt die Aufsicht über Griechenlands größte Privatbank, die National Bank of Greece. Im Interview spricht sie darüber, wie eng es wirklich für die Banken war und wie die Chancen für eine griechische Wirtschaftserholung stehen.

DIE POLITIKERIN

Louka Katseli, Jahrgang 1952, ist Wirtschaftswissenschaftlerin und Politikerin. Sie war bis Juni 2011 Arbeitsministerin. Weil sie gegen Gesetze zur Beschränkung von Gewerkschaftsrechten gestimmt hatte, wurde sie aus der damals regierenden Pasok ausgeschlossen. Im März 2015 wurde sie von Syriza mit der Leitung des Aufsichtsrates der National Bank of Greece (NBG) beauftragt.

DAS INSTITUT

Die NBG ist das nach Bilanzsumme und Mitarbeiterzahl größte Kreditinstitut Griechenlands. Das Unternehmen mit Sitz in Athen ist als Universalbank tätig und unterhält Tochtergesellschaften in Südosteuropa und der Türkei.

Frau Katseli, was bedeutet die Grundsatzeinigung auf ein drittes Hilfspaket für die griechischen Banken?

Wir erwarten, dass die heute unterschriebene Einigung die Ungewissheiten reduziert, indem sie einen klaren Fahrplan aufzeigt, was die politischen Entscheidungen der kommenden Jahre und den Prozess der Bankenrekapitalisierung angeht. Die Einigung fußt auf realistischen Zielen für die Finanzpolitik, angemessenen Reformen und einem Bekenntnis, das Überschuldungsproblem anzugehen. Zwar werden einige der Beschlüsse bestimmte Einkommensgruppen teuer zu stehen kommen, die Lastenverteilung erscheint aber gerecht. So kann das Abkommen eine Basis sein für nachhaltiges Wachstum und Finanzstabilität.

Vergangene Woche sind Bank-Aktien eingebrochen. Die National Bank of Greece verlor zwischenzeitlich 63 Prozent. Wie ist die aktuelle Lage der Bank?

Der Ausverkauf war keine Überraschung. Nach fünf Wochen Schließung hatten wir mit schweren Verlusten gerechnet. Die Lage wird sich verbessern, sobald das Bankensystem sich erholt und Stabilität garantiert wird. Ich bin zuversichtlich, dass die Verluste wieder wettgemacht werden, sobald die Prüfung der Aktiva-Qualität, und die Stresstests, die die EZB derzeit bei den vier systemrelevanten griechischen Banken durchführt, abgeschlossen sind und der Rekapitalisierungsbedarf ordnungsgemäß abgeschätzt worden ist. Man kann erwarten, dass die National Bank of Greece weiterhin stark bleibt und eine führende Rolle bei der Unterstützung zur Erholung der griechischen Wirtschaft spielen wird.

Können Sie – auf Basis der Geschäftszahlen Ihrer Bank – abschätzen, wie hoch der Kapitalbedarf der griechischen Banken insgesamt ist?

Niemand kann das seriös abschätzen. Das ist eine sehr komplexe Gleichung mit noch sehr vielen Unbekannten. Die EU- Institutionen gehen von zehn bis 25 Milliarden Euro Rekapitalisierungsbedarf für das gesamte griechische Finanzsystem aus.

Also ist das beherrschbar?

Der Erfolg der Rekapitalisierungsmaßnahmen hängt erstens davon ab, inwieweit sich unter den Marktteilnehmern Vertrauen und die Zuversicht durchsetzen, dass die griechischen Regierung die getroffene Vereinbarung auch umsetzen kann; zweitens der Bereitschaft der EU-Regierungen und Institutionen, diese finanziellen Zugeständnisse zu würdigen und drittens, der Bereitschaft der EZB, das System normal mit Liquidität zu versorgen – und von der kollektiven Fähigkeit aller Beteiligten, das Überschuldungsproblem zeitnah, flexibel und mit realistischen Ansprüchen anzugehen.

Es gibt Befürchtungen dass der Kapitalbedarf höher als 20 Milliarden Euro sein wird.

Nicht aus meiner Sicht.

Wie die Rekapitalisierung bewerkstelligt werden soll, ist noch unklar. Kann ein Rückgriff auf die Spareinlagen bei den Banken (Bail-in) ausgeschlossen werden?

Niemand will das oder argumentiert für einen Bail-in. Wenn Privatanleger oder Unternehmen mit einem Schuldenschnitt auf ihre Einlagen – und sei auch nur auf die nicht abgesicherten – rechnen müssen, lassen sie ihr Geld nicht im System. Das verheerende Ergebnis solcher Maßnahmen ist in der Regel Kapitalflucht. Ein Bail-in wäre also nicht ratsam, weil sehr ineffektiv im Hinblick auf die gesamtwirtschaftliche Erholung.

Hat Tsipras vor einigen Wochen zu schnell nachgegeben, um die Verhandlungen zum dritten Hilfspaket zu erreichen?

Ich bin überzeugt, dass ein Grexit oder ein Abbruch der Verhandlungen, die im Raum standen, keine Lösung gewesen wären und mit hohen Kosten für beide Seiten, Griechenland und die Euro-Zone, verbunden gewesen wären. Es musste eine Lösung innerhalb der Euro-Zone gefunden werden. Um die zu finden, mussten beide Seiten Zugeständnisse machen.

Haben Sie bei dem Referendum mit „Nein“ oder „Ja“ gestimmt?

Erlauben Sie mir, diese Frage nicht zu beantworten. In Demokratien sind Wahlen geheim.

"Die Situation war sehr kritisch – und sie ist es weiterhin"

Louka Katseli, Griechenlands ehemalige Wirtschafts- und Arbeitsministerin, übt im Auftrag der Syriza-Partei die Aufsicht über die National Bank of Greece aus.
Louka Katseli, Griechenlands ehemalige Wirtschafts- und Arbeitsministerin, übt im Auftrag der Syriza-Partei die Aufsicht über die National Bank of Greece aus.

© EPA/SIMELA PANTZARTZI/dpa-Bildfunk

Es heißt, der wahre Grund für Tsipras Einlenken war der kritische Zustand der Banken. Wie schlimm war es wirklich?

Die Situation war sehr kritisch – und sie ist es weiterhin. Seit dem Jahr 2008 sind Einlagen im Volumen von mehr als 111 Milliarden Euro aus unserem Bankensystem abgezogen worden. Allein zwischen November 2014 und Juni 2015 sind 40 Milliarden Euro verschwunden. Die Wirtschaft ist wieder in eine Rezession gestürzt, und als das zweite Hilfspaket ausgelaufen war, wurde der Liquiditätsfluss abgebrochen. Die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen und die Schließung der Banken war unvermeidbar. Die Kosten dieser Maßnahmen sind für die Realwirtschaft erheblich. Je früher sie aufgehoben werden, desto besser.

Gibt es dafür einen Zeitplan?

Die Kapitalverkehrskontrollen werden aufgehoben, sobald Zuversicht und Vertrauen in die Wirtschaft und das Finanzsystem wieder hergestellt sind. Ich hoffe, das wird Ende dieses Jahres geschehen. In der Zwischenzeit wird die Bank of Greece in enger Abstimmung mit der EZB, der griechischen Regierung und dem Bankensektor, nach und nach die Auflagen lockern, um die Unternehmen, speziell die Importeure und Exporteure, zu unterstützen, ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen zu können.

Was muss der aktuellen Grundsatzeinigung noch hinzugefügt werden?

Alle Strukturreformen müssen kontinuierlich im Hinblick auf ihre Effektivität und ihren Einfluss aufs Wirtschaftswachstum evaluiert werden. So hat es zum Beispiel keinen Zweck, die Mehrwertsteuersätze anzuheben, wenn dies zu sinkenden Steuereinnahmen und mehr Steuerhinterziehung führt. Unsere institutionellen Kapazitäten müssen vor allem durch Reformen in der Verwaltung, bei der Steuereintreibung und dem Rechtssystem gestärkt werden. Investitionen werden angeregt, wenn bürokratische Prozesse vereinfacht und die Kosten des Geschäftemachens gesenkt werden. Die Gesetze sollten transparenter und unternehmerfreundlicher werden. Zudem sollen das reformierte Steuersystem und die regulatorischen Rahmenbedingungen für zehn Jahre unangetastet bleiben. Schlussendlich wird Griechenland mit seinem bisher unentdecktem Potenzial zu einem europäischen Wachstumspol – sofern die Frage des Schuldenüberhangs vernünftig gelöst wird.

Übersetzt von Kevin P. Hoffmann

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