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Wirtschaft: Auftanken statt ausbrennen

Der Stresspegel in der deutschen Wirtschaft steigt. Personaler schlagen Alarm, psychisch bedingte Fehlzeiten von Führungskräften nehmen zu. Erste Arbeitgeber bieten Krisenunterstützung an

Als alle dachten, für diese Powerfrau geht es auf der Karriereleiter unaufhaltsam nach oben, fiel sie in ein tiefes emotionales Loch. Miriam Meckel, mit 31 Jahren die jüngste Professorin Deutschlands, später Regierungssprecherin und Staatssekretärin, gestand sich und allen anderen ein: „Ich kann nicht mehr.“ Sie sagte alle Termine ab, verzichtete auf alle Posten und sortierte Arbeit und Privatleben neu. „Ich habe mich selbst permanent überfordert“, veröffentlichte sie in ihrem Buch „Brief an mein Leben“.

So offen wie Meckel, heute 44 Jahre alt und inzwischen Institutsleiterin an der Uni St.Gallen, gehen die wenigsten Betroffenen mit ihrem Burnout-Syndrom um. Schon gar nicht in Managerkreisen.

Dafür schlagen Personalchefs jetzt Alarm: Die Zahl der Führungskräfte in Deutschland, die beruflichem Dauerstress zum Opfer fallen, steigt. Und wird auch weiter stark zunehmen. In einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP) erklären 85 Prozent von rund 200 befragten Personalchefs nicht nur, dass die Fehlzeiten wegen psychischer Beanspruchung in ihrem Unternehmen in den letzten zwei Jahren gestiegen sind, sondern fast so viele von ihnen rechnen mit einer weiteren Zunahme stressbedingter Personalausfälle in den nächsten fünf Jahren.

„Egal, ob Konzern oder Mittelstand – dort, wo Kundenkontakt herrscht und Emotionen und Termindruck eine große Rolle spielen, sind die Mitarbeiter sehr stark belastet“, sagt DGFP-Studienleiter Sascha Armutat. Herz-Kreislaufbeschwerden, Tinnitus, Schlafstörungen, Magen-Darmprobleme, Kopf- und Rückenschmerzen sowie Depressionen oder Alkoholsucht deuten auf Überlastung am Arbeitsplatz hin.

Am stärksten leiden die Beschäftigten in der IT-, Medien- und Telekommunikationsindustrie an Überlastung, aber auch in der Beratung und im Handel herrscht mächtig Druck. Im Finanzdienstleistungswesen hat sich der Stresspegel durch die Finanzkrise deutlich gesteigert. Bei der Commerzbank werden die rund 60 000 Mitarbeiter von rund 40 Sozialarbeitern und Psychologen betreut.

Besonders betroffen sind offenbar die unteren und mittleren Ränge des deutschen Führungskaders. Bei Team-, Gruppen- und Abteilungsleitern häuft sich laut DGFP-Studie inzwischen das auffällige Arbeitsverhalten der vormals zuverlässigen Kräfte. Ob Produktion, Controlling oder Service, Benehmen und Erscheinungsbild sind nicht länger untadelig: Fehler häufen sich, bei Konflikten fließen Tränen. Oder es ist das Gegenteil der Fall: Der sonst so engagierte Mitarbeiter legt eine „Ist mir egal“-Haltung an den Tag und macht Dienst nach Vorschrift.

Renitenz und Resignation kommen nicht von ungefähr. Für die Führungskräfte im Mittelbau ist ihre Dreifach-Rolle besonders anstrengend: Zum einen leiden sie selbst unter dem zunehmenden Erfolgs- und Zeitdruck, zum anderen müssen sie ihre Mitarbeiter zur Höchstleistung antreiben – sollen dabei gleichzeitig ihren gestressten Kollegen aufmerksame Ansprechpartner sein und ihnen bestenfalls aus der Misere helfen. Ein klassischer Fall von Überforderung.

Durch die zunehmende Arbeitsverdichtung mit nur geringem Gestaltungsspielraum, ihrer ständigen Erreichbarkeit durch Blackberry & Co. sowie fehlende Ausgleichsmöglichkeiten in der Freizeit spitzt sich die angespannte Lage dieser Manager in Sandwich-Position noch zu. Abschalten wird für sie unmöglich.

Doch wenn Arbeitszeit und Freizeit verwischen, fehlen wichtige Erholungsphasen: „Zur totalen Erschöpfung kommt es, wenn Menschen ihren arbeitsbedingten Energieverbrauch nicht mehr auffüllen können“, sagt Wolfgang Senf. Der Professor von der Universität Essen-Duisburg ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin. Vor allem leistungsorientierte Beschäftigte seien vom Burnout-Syndrom betroffen, weiß Senf. „Gut zu sein wird zum Risiko: Erledigen sie ihre Arbeit effizient, bekommen sie noch ein zusätzliches Projekt obendrauf, anstatt pünktlich Feierabend zu haben.“

Auf Arbeitgeberseite ist das Problembewusstsein wenig ausgeprägt. Wer seine Mitarbeiter bislang in Sachen Gesundheit unterstützt, setzt auf Sportkurse, gesunde Ernährung, eventuell auf medizinische Check-ups für Top-Führungskräfte. Doch das reicht nicht mehr.

Bei Henkel hat die Geschäftsführung umgedacht. Antonius Reifferscheid, Leiter des werksärztlichen Dienstes für die 5500 Mitarbeiter am Standort Düsseldorf, betont: „Gesund zu leben ist keine Frage des Alters. Deshalb haben wir Programme vom Azubi bis zum Top-Manager.“ Führungskräfte können sich neuerdings von externen Spezialisten bei häuslichen, finanziellen oder betrieblichen Problemen anonym beraten lassen. Zudem nehmen bis zu 300 Henkel-Führungskräfte an dem neuen zweieinhalbtägigen Workshop „Strong Leaders“ im Kloster Springiersbach an der Mosel teil. Dort sind Stressbewältigung, Entspannungstechniken und Gespräche mit Psychologen angesagt.

Und auch die Software-Schmiede SAP zählt zu den Pionieren, die den gestiegenen psychosozialen Belastungen der Mitarbeiter den Kampf angesagt haben. Natalie Lotzmann leitet die Abteilung Global Health Management und Diversity Deutschland des Konzerns. „Jeder unserer Mitarbeiter sollte in die Lage versetzt werden, seine individuelle Balance von Job und Privatleben selbst gestalten zu können“, sagt sie. In kostenlosen Einzelcoachings, Workshops und sogar Online-Seminaren mit bis zu 300 Teilnehmern auf fünf Kontinenten zeigt sie ihren Kollegen Wege auf, um Druck und Stress aus dem Alltag zu nehmen.(HB)

Claudia Obmann

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