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Wirtschaft: Aus allen Wolken gefallen

Zur Fußball-WM wollte das Land seine Urlaubsparadiese präsentieren – doch die Seuche kam dazwischen

Berlin - Die Szene erinnert an Hitchcock: Schwärme schwarzer Zugvögel kreisen über dem Ostseebad Binz. Am Strand ist kaum ein Mensch. Es schneit. Der Frühling ist auf Rügen, der beliebtesten Ferieninsel der Deutschen, nicht in Sicht. Stattdessen geht den wenigen Gästen ein Horrorfilm durch den Kopf. Bringen die Vögel weitere Erreger des gefährlichen Vogelgrippe-Virus auf die Insel? Breitet sich die Seuche, die auch für Menschen gefährlich sein kann, weiter aus? Bis Ostern sind es noch sechs Wochen. Dann soll der Strand von Binz zum ersten Mal in diesem Jahr voller Touristen sein.

„Die Lage hat sich stabilisiert“, glaubt der Wirtschaftsminister des Landes, Otto Ebnet (SPD). Er lässt sich täglich über die Lage in den Ferienorten informieren. Am Freitag ist die Zahl der in Mecklenburg-Vorpommern infizierten Wildvögel auf 127 gestiegen, fünf mehr als am Tag zuvor. Im Lagezentrum des Krisenstabs deutet man dies als Entspannung – und Hoffnungszeichen für den Tourismus. „Die Stornierungen in den Hotels halten sich inzwischen in Grenzen“, sagte Ebnet dem Tagesspiegel am Sonntag.

Genaue Zahlen gibt es freilich nicht. In der Vorwoche und nach dem Fund einer infizierten Katze hatten Hotels an der Küste von einem starken Einbruch bei Reiseanfragen und Buchungen berichtet. Eine Blitzumfrage des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) ergab, dass bei einigen Hotels für März schon zehn bis 15 Prozent Stornierungen eingingen, bei manchen Häusern sogar bis zu 70 Prozent. „Der Ostertourismus ist aber nicht gefährdet“, sagt Dehoga-Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges. Alle Betroffenen in der Region sind inzwischen um Deeskalation bemüht. „Die Branche ist besorgt, aber nicht panisch“, berichtet Wirtschaftsminister Ebnet. „Urlauber, die jetzt nicht buchen, können das ja später tun.“

Die Hoffnung des Ministers hat einen guten Grund: Ohne die Einnahmen aus dem Tourismus wäre das strukturschwache Mecklenburg-Vorpommern arm dran. 8,5 Prozent des Sozialprodukts werden im Fremdenverkehr erwirtschaftet, 130 000 Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt von den Urlaubern ab. 24,5 Millionen Übernachtungen zählte das landschaftlich reizvolle Bundesland im Jahr 2005 – die Hälfte der Gäste stammte aus den ostdeutschen Bundesländern.

Für die deutschen Reiseweltmeister, die am liebsten in der Heimat Urlaub machen und dabei 2005 gut 107 Milliarden Euro ausgaben, ist „Meck-Pomm“ nach einer Studie des Europäischen Tourismus Institutes bevorzugtes Sommerreiseziel – vor Griechenland, dem Partnerland der Internationalen Tourismusmesse ITB. Auch Touristen aus dem Ausland schätzen die Strände und Seenlandschaften. Über das Jahr verteilt ist nur Bayern (74,5 Millionen Übernachtungen) beliebter.

Beide Bundesländer dienten der deutschen Tourismuslobby bisher als Beispiele für die Attraktivität des Reiselandes Deutschland. Im Jahr der Fußball-Weltmeisterschaft, die eine Million ausländische Touristen zusätzlich nach Deutschland bringen soll , sollten die heimischen Urlaubsparadiese besonders vermarktet werden. Die vom Bund finanzierte Deutsche Zentrale für Tourismus (DTZ) ließ sich dazu im vergangenen Jahr die Kampagne „Shopping – made in Germany“ einfallen. Sie lockt Urlauber nicht nur zum Einkauf in die Zentren großer Städte, sondern bewirbt auch die „touristisch etablierten ländlichen Regionen mit ihren Produkten sowie die gut erreichbaren Outletcenter“. Eine nationale Service- und Freundlichkeitskampagne im Umfeld der Weltmeisterschaft soll deutscher Gastlichkeit die Krone aufsetzen. Ein Umsatzplus von 500 Millionen Euro verspricht sich das Reisegewerbe vom Fußballereignis.

Doch die Vogelgrippe droht das schöne Marketingkonzept durcheinander zu bringen. Immer mehr Bundesländer sind betroffen. In Brandenburg wurde das Virus in den Landkreisen Märkisch-Oderland und Barnim gefunden. Sie grenzen direkt an Berlin, und es ist nur eine Frage der Zeit, wann die WM-Metropole und Tourismushochburg den ersten Seuchenfall meldet.

Auch im Urlaubsland Bayern plagen sich Hoteliers und Gastwirte inzwischen mit der Tierseuche herum, seitdem tote Vögel in Ostbayern vom Himmel fielen. „Dürfen Urlauber mit Hunden noch in Sperrbezirken spazieren gehen – solche Fragen kommen auf uns zu“, sagt ein Sprecher der Bayern Tourismus Marketing GmbH. Wirtschaftsminister Erwin Huber will sich indes noch keine Gedanken über negative Folgen für den Fremdenverkehr machen. „Hier bleibt die weitere Entwicklung der Tierseuche abzuwarten“, sagte er dem Tagesspiegel am Sonntag.

Das Warten beim Thema Vogelgrippe ist allerdings manchem aus der Tourismuswirtschaft zu lang geworden. „Zuerst ist lange nichts passiert, dann haben Kommunal- und Landespolitiker Panik verbreitet“, beklagt sich Angelo Mezzadonna, Geschäftsführer der Dorint-Resorts in den Ostseebädern Binz und Wustrow. Ein Buchungsminus von 20 Prozent musste er in seinen Häusern hinnehmen. Inzwischen verlässt sich der Hotelchef auf die Besonnenheit seiner Gäste.

Alles hänge jetzt davon ab, wie die Politik das Problem in den Griff bekomme und wie schnell Besserung in Sicht sei, glaubt Dehoga-Hauptgeschäftsführerin Hartges. Und Ulrike Regele, Tourismusexpertin beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag, erwartet, dass die Vogelgrippe dem deutschen Tourismus insgesamt erst dann schadet, wenn sie zur Pandemie werde. Ansonsten werde es lediglich „punktuell Auswirkungen geben“.

Ob die reiselustigen Deutschen diese Einschätzung teilen, werden die kommenden Wochen zeigen. Einige Reiseveranstalter haben vorgesorgt. Sie eröffnen Fluchtwege für Urlauber, die beides fürchten – die Vogelgrippe und die WM. Jahn Reisen, ITS und Tjaereborg bieten für den WM-Zeitraum so genannte „Lady-Specials“ an. Der Clou: Frauen, die ihren Mann zu Hause lassen und mit einer Freundin vor dem Fußball-Taumel fliehen wollen, bekommen bis zu 30 Prozent Rabatt.

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