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Wirtschaft: Aus dem Wall Street Journal: Auf der Jagd nach Fluchtkapital

Die Tatsache, dass mehrere Regierungen gemeinsam ein Abkommen schließen, heißt noch lange nicht, dass das auch ein gutes Abkommen ist. In der vergangenen Woche haben die EU-Finanzminister gemeinsam ein Hirngespinst gejagt: Sie meinten tatsächlich verhindern zu können, dass die Staatsbürger ihr Erspartes in Steueroasen deponieren.

Die Tatsache, dass mehrere Regierungen gemeinsam ein Abkommen schließen, heißt noch lange nicht, dass das auch ein gutes Abkommen ist. In der vergangenen Woche haben die EU-Finanzminister gemeinsam ein Hirngespinst gejagt: Sie meinten tatsächlich verhindern zu können, dass die Staatsbürger ihr Erspartes in Steueroasen deponieren. Schließlich ist Steuerhinterziehung illegal. Aber hinter der Absicht der Finanzminister, die Ersparnisse und Einkünfte der Europäer bis auf den letzten Euro zu schröpfen, stecken wohl eher monetäre und nicht rechtliche Gründe.

Seit einem Jahrzehnt versucht die EU einen Weg zu finden, wie die Mitgliedsländer einheitlich ihren Anteil aus Kapitalerträgen im Ausland einkassieren können. Deutschland und Frankreich halten eine Quellensteuer der EU für die beste Strategie, die Steuerschlupflöcher für Investoren zu stopfen. Doch dagegen stellen sich die Briten. Sie fürchten um ihre so einträglichen Euro-Bonds und warnen, dass das Abkommen zur Zinsbesteuerung ein erster Schritt in die fragwürdige Richtung einer zu breiten Steuerharmonisierung sei.

Derweil ist die EU zu Plan B übergegangen, eine "Light-Version" des ursprünglichen Programms. Statt einer europaweit konsequenten Quellensteuer soll ein System des gegenseitigen Informationsaustausches zwischen den jeweiligen Steuerbehörden über Zinserträge der EU-Bewohner der Steuerflucht Einhalt gebieten. Der Fiskus im Heimatland eines Kontoinhabers würde somit jeden Transfer verfolgen können, um dann die Zinsen besteuern zu können. Luxemburg und Österreich protestierten, weil sie ihr strenges Bankgeheimnis in Gefahr sehen. Aber im Gegensatz zu den Briten hat ihr politischer Einfluß wenig Gewicht. Jetzt hat man sich auf einen Kompromiss geeinigt: Bis Ende 2002 können die Länder zwischen Informationsaustausch der Steuerbehörden und Quellensteuer wählen. Ab diesem Zeitpunkt muss die Quellensteuer von 15 Prozent erhoben werden, die sich nach drei Jahren auf 20 Prozent erhöht. Doch scheint es Zweifel zu geben, ob man der Kapitalflucht so einfach Herr wird. Die Finanzminister gestanden ein, dass sie vor Ende 2002 keine Aussagen darüber machen könnten, ob ihr Plan Erfolg verspricht.

Der Erfolg hängt allerdings auch von der Bereitschaft der USA und der Schweiz zum Informationsaustausch mit der EU ab. Die Schweiz wird ihr Bankgeheimnis nicht aufgeben, könnte sich aber zur Erhebung einer Quellensteuer nach dem Luxemburgmodell durchringen. Die USA haben bisher viel Druck auf ausländische Banken ausgeübt, Informationen über die amerikanischen Steuerzahler zu offenbaren. Neben anderen Mankos greift der EU-Plan vor allem in die Privatsphäre ein, und zwar in die von potenziellen Steuersündern wie auch in die von ehrlichen Anlegern. Es wird jede Transaktion auf elektronischem Weg durch Europa geleitet und auf eine mögliche Strafhandlung hin untersucht. Unweigerlich geht man davon aus, dass beispielsweise ein Franzose mit einem Konto in Luxemburg grundsätzlich seine Steuern hinterzieht.

Wenn die Schweizer und Amerikaner das europäische Modell nicht übernehmen, können auch Luxemburg und Österreich ihr Veto einlegen. Ohne die Zustimmung der Schweiz und der Vereinigten Staaten wird Kapital eben in Steueroasen der Alpen oder über den Atlantik transferiert. Aber wohin wird es verschwinden, wenn die beiden mit der EU kooperieren? Die Welt ist bekanntlich groß und es gibt genügend andere Steuerparadiese. Die Jagd nach Fluchtkapital ist ein schwieriges Unterfangen.

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