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Wirtschaft: Aus der Schmuddelecke an die Börsen der Welt - Aber nur bei wenigen Werten ist die Sex-plus-Internet-Euphorie berechtigt

Aktien sind sexy. Das behaupten jedenfalls manche Börsianer - freilich ohne es wörtlich zu meinen.

Aktien sind sexy. Das behaupten jedenfalls manche Börsianer - freilich ohne es wörtlich zu meinen. Doch manche Titel sind sogar so reizvoll, dass Investoren sie lieber stillschweigend ins Depot legen: Erotikaktien. Zusammen mit dem Börsengang der Beate Uhse AG rückte im Frühjahr 1999 hier zu Lande ein neues Marktsegment ins Blickfeld einer breiten Analysten- und Anlegerschar.

Die Orientierung in diesem Börsen-Neuland fällt Laien wie Fachleuten schwer - abgesehen von moralischen Bedenken. So verglich die Hamburgische Landesbank Beate Uhse in ihrer Emissionsstudie nicht nur mit dem Kondomhersteller SSL International, sondern auch mit dem Bekleidungsfilialisten Hennes & Mauritz sowie der Parfümeriekette Douglas. Und mit dem Zahlenmaterial ist es eine Qual, weiß Claudia Erdmann, Wertpapieranalystin der Hamburgischen Landesbank: "Es gibt keine übergreifende Studie für den Markt und kaum Ehrlichkeit in der Branche."

Eines zumindest ist klar: Das Geschäft mit dem Sex boomt. Der weltweite Umsatz der Branche belief sich laut einer Analyse des Apollo-Wirtschaftsverlags 1998 auf 56 Milliarden Dollar. Dabei entfielen allein 20 Milliarden Dollar auf einschlägige Videos und elf Milliarden Dollar auf so genannte Begleitagenturen. Vor allem das World Wide Web lässt auf Wachstum hoffen. Das Internet könnte den Anbietern helfen, den Weg aus der Schmuddelecke an die Börsen der Welt zu finden. Rund 70 Prozent der kostenpflichtigen Web-Angebote drehen sich der Apollo-Analyse zufolge um die drei Buchstaben. Branchenkenner gehen von extrem hohen Steigerungsraten aus. Auf diese hofft auch die Mutter aller Erotikanbieter, Playboy Enterprises. Sie will bis zum Sommer ihre Internet-Tochter Playboy.com an die US-Technologiebörse Nasdaq bringen.

"Content is King" - die Devise gilt auch für die deutschen Senkrechtstarter im Netz. Die Mobilcom-Tochter freenet.de etwa hat jüngst eine Kooperation mit dem Orion Versand angekündigt. Ziel sei unter anderem die Bereitstellung von "Erotik-News aus aller Welt". Und die Börsenaspirantin Eurogay Media AG meldete erst kürzlich Verhandlungen mit Primus-Online über den Aufbau einer Online-Auktionsplattform. An Werten mangelt es also nicht. Für die Anleger sind die Erotik-Papiere dennoch kein sicherer Fahrschein zu Kursgewinnen. Wer sich auf Erotikaktien einlässt, "muss daran glauben, dass der E-Commerce-Bereich stark wächst", sagt etwa Internet-Sektoranalyst Martin Decot von Value Research. Und eine Analystin meint, dass die gesamte Branche schon relativ hoch bewertet sei. Letztlich handele es sich um einen Modetrend, der fundamental nur schwer zu begründen sei.

Nicht selten ist also der Verstand das erste Opfer der Erotik-plus-Internet-Euphorie. Das sagt auch Michael Kübbeler von der Internet-Analyse-Firma internet@venture und führt als Paradebeispiel Adultshop.com an. Der Artikelversender vom fünften Kontinent - der auch in Deutschland notiert ist - erlebte seit November zeitweise eine Vervierfachung seines Kurses, obwohl sich kaum je ein Analyst damit befasst hat. Der Kursanstieg lasse sich nur mit der "massiven Mobilmachung in diversen Brokerboards und dem aggressiven und umfassenden Marketing des Unternehmens erklären", meint Kübbeler. Der Wert sei hochspekulativ und berge die große Gefahr eines Rückschlags.

Dennoch bleibt die Akzeptanz das größte Problem bei den Konsumwerten der besonderen Art. In Amerika, wo bereits mehrere Unternehmen der Branche an Börsen notiert sind, machen Analysten einen weiten Bogen um die "sin stocks" (Sünden-Aktien). Der Versuch der Macher dort, sich ein seriöses Image zuzulegen, verfängt bei einer in intimen Fragen äußerst zurückhaltenden amerikanischen Bevölkerung überhaupt nicht. Hierzulande wurden Anleger von den Profis nach dem Start von Beate Uhse alleine gelassen. Analysten der gleichen Banken, die sich um einen Platz im Konsortium rissen, kichern heute wie Schulkinder, wenn sie auf Erotik-Aktien angesprochen werden.

Leichter hat es da schon ein Anbieter wie Condomi. Der Hersteller von Kondomen bewegt sich zwar im weitesten Sinne im Bereich Erotik, läuft jedoch wesentlich weniger Gefahr, als anrüchig eingestuft zu werden. Ihn beobachten denn auch einige Analysten - und das auch noch nach der erfolgreichen Neuemission. Die Stadtsparkasse Köln hält sich allerdings mit Prognosen zurück. Sie erwartet jedoch viel Positives, zumal auch die Übernahme des polnischen Herstellers Unimil bereits sehr weit fortgeschritten ist.

Die anderen Firmen werden sich jedoch von ihrem Stigma nur schwer befreien können. Das sollten Investoren im Hinterkopf behalten. Robert G. Routh, Analyst des Investmenthauses Ladenburg Thalmann & Co.: "Die Firmen werden niemals das Image eines Disney-Konzerns bekommen."

P. Köhler, F. Schönauer

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